Essen. Die private Unterbringung bei Profis ist für schwer belastete Mädchen und Jungen oft die einzige Chance, dem Heim zu entgehen. Eine „Pflegemutter“ berichtet in Essen.
Ein fremdes und noch dazu stark belastetes Kind in die eigene Familie holen? Und als so genannte „Pflegestelle“ jahrelang den Spagat zwischen Herz und Professionalität aushalten? Im Essener Büro des sozialen Trägers „Trotzdem e.V.“ in Steele berichtete „Mutter“ Heike Ziegler aus ihrem Alltag, in dem sie eigentlich keine Mutter sein sollte.
„Wir waren anfangs sehr unsicher, ob wir das überhaupt leisten können. Aber dann lernt man zusammen mit den Kindern jedes Jahr dazu.“ Als Heike Ziegler und ihr Mann vor zehn Jahren „Pflegestelle“ wurden, waren ihre Pflegekinder sieben und fünf Jahre alt. Die leiblichen Eltern waren kurz vorher im Abstand von vier Wochen verstorben, die Angehörigen waren mit den Halbgeschwistern beschäftigt. Im Umfeld des Geschwisterpaars war die Drogensucht der Eltern prägend - keine leichte Baustelle für die Zieglers.
„Die Pflegestellen – das sind Familien, Paare oder Einzelpersonen – sind häufig in schlimmen Fällen die einzigen Alternativen zum Heim. Die Kinder sollen in Familien Geborgenheit, Kontinuität und Verbindlichkeit erfahren“, erläutert Elke Wehaus, Geschäftsführerin des Düsseldorfer Trotzdem e.V. mit Außenstelle in Steele. Insgesamt 21 Kinder hat der Verein in ganz NRW derzeit in Pflegestellen untergebracht. Sie werden über die Jugendämter oder die Arbeitsgemeinschaft Individualpädagogik an Trotzdem vermittelt.
Trennung zwischen Herz und Verstand nicht immer einfach
Da die drei bis 14 Jahre alten Kinder meist durch ihre Lebensgeschichte schwer belastet sind, braucht es pädagogische Fachkräfte, also keine Adoptiv- oder Pflegeeltern. Die Pädagogen bekommen ihr Engagement bezahlt und je nach Schwere des Falls, kann daraus ein Vollzeitjob werden. „Die Herkunftsfamilien sind schon präsent, und wenn eine Rückführung dem Wohl des Kindes entspricht, wird dies vorbereitet und begleitet“, ergänzt Ilona Götz, Büroleiterin von Trotzdem in Essen.
Auch wenn das Geschwisterpärchen von Heike Ziegler in zehn Jahren wichtiger Teil des ansonsten kinderlosen Haushaltes geworden ist, war die Trennung zwischen Privat und Job, zwischen Herz und Verstand, für sie nicht immer einfach. Die Belastung durch das „Sorgenkind-Programm“ inklusive psychologischer Betreuung, Klinikaufenthalten oder gar der Polizei zu Hause hat auch die Lehrerin und staatlich geprüfte Erzieherin erlebt. „Es gibt halt Hochs und Tiefs. Als die Beiden noch klein waren, brauchten wir die breite Unterstützung von verschiedenen Stellen nicht immer, aber in der Pubertät wurde es schwieriger.“
Auflehnung, die Frage nach der Herkunft, der Vorwurf der bezahlten „Lebensabschnitts-Mutter“ - typische Konflikte. Oft sind die Kinder durch die früh enttäuschte Mutterliebe stark beziehungsgestört. „Es geht mitunter ans Eingemachte. Wenn ich aber die Fortschritte über die zehn Jahre sehe weiß ich, dass es gut war, durchzuhalten“, sagt Heike Ziegler. Und sie räumt gerne ein: So ganz ist das Herz dann eben doch nicht aus dem Spiel zu halten.