Essen. Stricken liegt bei jungen Leuten wieder im Trend. Wir haben einen Kurs in einem Wollgeschäft besucht und den Teilnehmern über die Schulter geschaut.

Es gab Zeiten, da galt Stricken als die etwas angestaubte Lieblingsbeschäftigung von Tante Berta. Doch die gehören definitiv der Vergangenheit an, denn die alte Handarbeitskunst erlebt auch bei jungen Leuten gerade einen neuen Boom. Selbermachen ist angesagt – und auch bei vielen Essener Anbietern wie der Arbeiterwohlfahrt (AWO) oder in Wollgeschäften, die passende Workshops zum Warensortiment anbieten, sind Strickkurse auf Monate hin ausgebucht – die Teilnehmer sind zwischen 9 und 99 Jahren alt, wie Roberto Diaz, Mitarbeiter bei Idee Creativmarkt, erzählt: „Die unterschiedlichsten Leute wollen plötzlich stricken lernen; auch einige Männer entdecken das gerade für sich.“ Zwar sei dies noch immer eine Frauendomäne, doch sei es wohl auch den gehäkelten Boshi-Mützen geschuldet, die zurzeit im Trend liegen, dass Handarbeit mittlerweile auch bei den Herren salonfähig ist.

Theoretisch ist ja alles ganz einfach: Bei der rechten Masche wird die neue von hinten kommend nach vorn durch die alte Schlaufe gezogen. Und dann wären da noch die linken Maschen... Praktisch erfordern die ersten Strickreihen jedoch bei den meisten Anfängern viel Geduld und starke Nerven: „Hoffnungslose Fälle gibt es eigentlich nicht“, sagt die Stricklehrerin Andrea Wegerich. „Klar ist es am Anfang mühselig, aber wenn man Spaß daran hat, hält man auch durch.“ Und mit einem Augenzwinkern an die Herren der Schöpfung gewandt: „Jedenfalls ist ein Strickkurs eine ideale Möglichkeit, um eine Frau kennenzulernen.“

Stricken in geselliger Runde

So ist auch die Runde in Rüttenscheid von jungen Frauen geprägt, die aus ganz unterschiedlichen Motiven eine Kunst erlernen möchten, die ihre Mütter und Großmütter zumeist noch beherrschen. „Für mich ist der meditative Aspekt das Schöne am Stricken. Wenn ich so ruhig und konzentriert arbeite, kann ich dabei super abschalten“, sagt die 32-jährige Julia Heer, die sich gleich ein ganzes Kleid vorgenommen hat. „Es ist toll, den Entstehungsprozess eines Stückes verfolgen zu können.“ Dabei ist Strickkleidung in Modegeschäften nicht gerade Mangelware, doch vielleicht ist es damit ähnlich wie beim Backen: Selbstgemachtes hat einfach einen anderen Wert.

Wenn der Weg das Ziel ist, gehören Misserfolge leider dazu, meint zumindest Marisa Klasen, ebenfalls 32. Einmal hat sie sich auch an einem Kleid abgearbeitet, das später nicht richtig saß – nun steckt sie sich erstmal kleinere Ziele: „Das wird ein Pullunder für meine kleine Tochter, sie ist sieben Monate alt. Dann hat man schneller ein Erfolgserlebnis.“

Beate Honnacker kann in puncto Stricken dagegen nicht mehr viel dazulernen, die 52-Jährige strickt seit über 40 Jahren und ist eher hier, weil sie lieber in Gesellschaft die Nadeln schwingt – sogar ihren Sohn hat sie schon mit dem Strickfieber angesteckt: „Er macht das schon richtig gut! Da bin ich schon ein bisschen stolz auf ihn.“ Der Kreativität sind beim Stricken keine Grenzen gesetzt und die Vielfalt an Garnen und Mustern erlauben unendliche Variationsmöglichkeiten. Auch Taschen und Tierfiguren mit beweglichen Gliedern werden gestrickt – eine originelle Geschenkidee und wohl auch eine echte Herausforderung selbst für geübte Hobbystricker.

Von der Arztpraxis ins Wollgeschäft

Trotzdem musste Gudrun Wöhler, Inhaberin von „Maschen Fantasie“, viel Mut aufbringen, als sie sich im Jahr 2000 entschloss, ihr Hobby zum Beruf zu machen und ein Fachgeschäft für Wolle und anderen Strickbedarf zu eröffnen. Die Entscheidung traf die ausgebildete Arzthelferin aus der Not der Arbeitslosigkeit heraus: „Am Anfang war es schwierig. Die Lieferfirmen hatten mich schon darauf vorbereitet, dass es drei bis fünf Jahre dauern wird, bis das Geschäft ins Rollen kommt.“ Ursprünglich in einem anderen Ladelokal in Rüttenscheid untergebracht, verfügte sie anfangs nur über einen Bruchteil der heutigen Verkaufsfläche.

2007 zog „Maschen Fantasie“ dann in die Reginenstraße um und die Mühen zahlten sich aus. „Ich brauchte eben Geduld, aber die habe ich zum Glück beim Stricken gelernt!“ sagt die 60-Jährige. Während der Fußballweltmeisterschaft im vergangenen Jahr bestrickten sie und einige Freundinnen Poller in der Fußgängerzone in Rüttenscheid in den Landesfarben schwarz-rot-gold. „Auf die Aktion haben wir eine wunderbare Resonanz erhalten, sogar das Fernsehen hat darüber berichtet“, freut sich Gudrun Wöhler. So hat sie sich ihre persönliche Erfolgsgeschichte gestrickt.