Essen. . Ein Essener war lange Mitglied bei den Bandidos. Er mischte in illegalen Geschäften mit, wurde verurteilt, hat sich losgesagt und baut sich jetzt ein neues Leben auf.
An diesen Ur-Moment der inneren Umkehr kann sich der Aussteiger noch gut erinnern. Der Essener saß in U-Haft und blickte auf seine Lebenswaage. „Wo viele Menschen ihr Gleichgewicht haben, war ich völlig aus der Balance.“ Er hält seine beiden Hände flach nebeneinander und führt dann die rechte nach oben und die linke ganz weit nach unten. „Oben war das Böse. Unten das wenige Gute. Da hat es bei mir Klick gemacht.“ Der Bandido-Rocker hatte seinen Einstieg in den Ausstieg gefunden. Vier Jahre ist das inzwischen her.
Seine Vergangenheit kann Peter Thomsen, der in Wahrheit anders heißt, auch in der Gegenwart nicht ganz ablegen. Die muskulösen Oberarme sind mit Tätowierungen verziert. Am Arm eine dicke Uhr, ein Stecker glänzt im Ohr. Seine Worte sind deutlich, Kraftausdrücke würzen immer wieder die Sätze, unterstreichen seine Aussagen.
Boxen und "Faszination Motorradfahren"
Über das Boxen und Kickboxen gab es für ihn den Erstkontakt mit den Bandidos. „Nette Kerle, Malocher“, erinnert sich der Huttroper. „Dazu die Faszination Motorradfahren. Und dann dieser Zusammenhalt.“ Peter Thomsen, der eine Lehre als Installateur abgeschlossen hatte, stieg in die lukrative Sicherheitsbranche ein, wo durchsetzungsfähige Kerle wie er begehrt sind. Er „machte die Tür“, wie es heißt, bei Essener Discos und Nachtclubs.
Irgendwann war er selbst Arbeitgeber. Sein Branchen-Mix: Events, Sicherheit und Gastronomie mit einem Restaurant im Essener Süden. Bei den Bandidos hatte er die Hierarchie-Stufen durchlaufen, besetzte eine führende Rolle. Illegale Geschäfte gehörten zu seinem Portfolio. Das Geld floss. „Und die Polizei hat jeden meiner Schritte begleitet.“
„Ich erinnere mich genau an die roten Leuchtpunkte auf meiner Brust“
Ausgerechnet, als er eine Anzeige auf der Wache in Rüttenscheid aufgeben wollte, griff ein Einsatzkommando zu. „Ich erinnere mich genau an die roten Leuchtpunkte auf meiner Brust.“ Es kam zur Anklage, zum Prozess, zur Verurteilung am Essener Landgericht.
„Ich war kein Unschuldslamm“, sagt er heute. Hehlerei, Waffenbesitz, Drogen, Erpressung, Bedrohung. Von anfangs 15 geforderten Jahren blieben fünf Jahre Strafe übrig. Dreieinhalb Jahre saß Peter Thomsen in Gefängnissen ab. Da hatte er längst entschieden, sein Leben umzukrempeln, die Balance wiederzufinden. „Die Gespräche mit den Haft-Psychologen haben mich in meinem Entschluss bestärkt.“
Rückkehr-Angebote aus der Rocker-Szene
Seit Herbst letzten Jahres ist er draußen. Es gab Kontaktversuche aus der Rocker-Szene, Rückkehr-Angebote, aber Peter Thomsen bleibt auf seinem neuen Weg. Kein Motorrad mehr. Keine Kutte mehr. Die Insignien des umstrittenen Männerbunds hat er abgelegt. Er spürt bei Gesprächspartnern immer noch Bedenken, wenn die Sprache auf sein wildes, illegales Damals kommt. „Ich staune manchmal selbst, was ich da alles gemacht habe.“
Das ist aber Vergangenheit. In der Gegenwart baut sich der 38-Jährige seine Zukunft auf: Eine Existenz im Rheinland. An seiner Seite: Die Freundin, die all die Jahre auf ihn gewartet hat und die seit kurzem seine Ehefrau ist. „Es wurde auch Zeit“, sagt der Ex-Bandido. Und lächelt glücklich. Wenn er heute an seine Lebenswaage denkt, haben sich die Hände erheblich angenähert. Ein Mann hat sein Gleichgewicht wiedergefunden.