Essen. Die Familie Hayrapetyan/Simoyan hat eine Flucht von Armenien über Sibirien und Syrien nach Deutschland hinter sich. In Essen fühlt sie sich endlich zu Hause und freut sich auf das erste Weihnachtsfest in ihrer eigenen Wohnung.

Marina Hayrapetyan (50) und ihr Mann Aladzik Simonyan (52) sind seit mehr als 20 Jahren auf der Flucht, aber nun sind sie angekommen, in einer Wohnung ist Frohnhausen. In einem Zuhause.

Die Weltgeschichte hat es nicht gut gemeint mit der Familie: Als die Sowjetunion zusammenbrach und sich der gewalttätige Konflikt um Bergkarabach entzündete, verlässt sie 1991 fluchtartig mit dem gerade einen Monat alten David ihr Heimatland Armenien, lässt sich im sibirischen Wladiwostok nieder. Marina Hayrapetyan arbeitet in einem Café, ihr Mann betreibt einen Spielsalon; bis es eines Tages heißt, die Gesetze seien geändert, der Spielbetrieb illegal. So handfest sei die staatliche Gewalt gewesen, dass die Familie erneut flieht, mit nur einem Koffer – und jetzt zwei Söhnen.

Das Zauberwort Asyl hat gewirkt

Weil sie dort Freunde haben, gehen sie 2010 nach Syrien, wo sie es als Christen von Anfang an nicht leicht gehabt hätten. Der kleine Suren kann keine Schule besuchen, wird zu Hause unterrichtet. David hat sein Studium abbrechen müssen, macht sich nun seine Computerkenntnisse zunutze, die Eltern jobben in einem Restaurant. Bald nach ihrer Ankunft aber bricht der Bürgerkrieg aus. Im Sommer 2013 lässt die Familie erneut alles zurück.

„Wir haben unsere Ersparnisse den Schleusern gegeben, und dann mussten wir wochenlang bei eisiger Kälte in einem Zelt an der türkisch-syrischen Grenze auf unsere Papiere warten“, erzählt Marina Hayrapetyan. Schließlich können sie von Istanbul nach Berlin fliegen, werden von dort per Auto nach Bielefeld gebracht. „Da setzte man uns vor einer Polizeiwache ab mit der Anweisung: Geht da rein und sagt ,Asyl’“. Beklommen betritt die Familie die Wache, aber das Zauberwort wirkt: Man setzt sie in ein Taxi und bringt sie in ein Hotel.

„Sobald jemand Asyl sagt, muss ein formelles Verfahren eingeleitet werden“, erklärt Dirk Berger von der Flüchtlingsberatung des Diakoniewerkes Essen. Er lernt die Familie im August 2013 kennen, als sie in das Asylheim an der Sartoriusstraße in Rellinghausen einzieht. Da hat sie schon eine Handvoll Unterkünfte und stete Ungewissheit kennengelernt. Jetzt darf sie ankommen: Suren geht zur Ardeyschule, Marina Hayrapetyan besucht Deutschkurse, lernt die Sprache mit Ehrgeiz. Die Familie lebt auf 29 Quadratmetern, aber die Nachbarn aus aller Welt werden zu Freunden.

"Bei uns ist die Tür immer offen"

Trotzdem freuen sie sich, als ihnen Dirk Berger in diesem Februar hilft, in die eigene Wohnung umzuziehen. „Wenn es eine mittelfristige Aufenthaltsperspektive gibt, nehmen wir mit dem Amt für Soziales und Wohnen Kontakt auf.“ Ein Jahr lang mietet das Amt die Wohnung, das ermutige viele Vermieter. Außerdem gibt es das Diakoniewerk als Ansprechpartner, helfen Sprachmittler bei Ämter- und Arztbesuchen. 417 Asylbewerber hat die Stadt im Jahr 2014 in Privatwohnungen vermittelt, „und Stress mit den Nachbarn gab’s in keinem Fall“.

Ginge es nach Marina Hayrapetyan, gäbe es nur mehr Kontakt zu ihnen: „Wenn ich sage: ,Kommen Sie zum Kaffee.’ Antworten sie: ,Gern, wir machen einen Termin.’“ Die lebhafte Frau schüttelt den Kopf: „Termin? Bei uns ist die Tür immer offen.“ Man glaubt es gern, wenn man sieht, wie großzügig sie den Besuch von der Zeitung bewirtet. Und man weiß, was sie meint, wenn sie auf die Frage, wie die Familie Weihnachten feiern wolle, antwortet: „Ja, richtig!“

Suren habe gesehen, dass im Haus gegenüber ein Mädchen die Fenster schmücke: „Das macht er nun auch!“ Der Zwölfjährige besucht ein Gymnasium, hat Freunde gefunden. Ihr Mann und ihr 23 Jahre alter Sohn David ringen dagegen noch mit der deutschen Sprache, ohne die sie nicht arbeiten können. Sie selbst weiß nicht, ob ihre Ausbildung als Hebamme anerkannt wird: „Aber wir schauen immer nach vorn!“ Das Asylverfahren der Familie läuft noch, Marina Hayrapetyan sagt schon jetzt: „Es war ein gutes Jahr. Danke, Deutschland!“