Essen. Mehrmals im Jahr lässt das Ordnungsamt unangemeldete Verkaufsveranstaltungen hochgehen. Die NRZ war diesmal inkognito bei einem Einsatz dabei.

Mit wackeligen Schritten geht eine ältere Dame auf ihren Platz am festlich gedeckten Tisch eines Restaurants in der Steeler Straße zu, in der Hand die freundliche „Einladung zur Adventsfeier“, die sie vor einigen Tagen in ihrem Briefkasten gefunden hat. Darin wurde ihr so einiges versprochen: „Im Auftrag unserer Kooperationspartner aus Frankfurt überreichen wir Ihnen ein persönliches Wertgeschenk in Höhe von 299,- Euro“, heißt es in dem Schreiben vollmundig. Und das sei erst der Anfang – Kosmetikartikel und einen Präsentkorb mit allerlei Leckereien erhielten die Gäste ebenfalls gleich vor Ort. Alles kostenlos versteht sich. Einen Absender gibt es nicht.

Zwei Männer wollen hier gleich mit ihrer „Präsentationsveranstaltung“ beginnen, wie sie das, was hier geschehen soll, euphemistisch bezeichnen. Um Verkauf gehe es dabei keineswegs, beteuert einer der Veranstalter auf Nachfrage, man wolle den Herrschaften „lediglich etwas schenken.“ In der Mitte des Raumes steht ein Tisch, auf dem diverse Waren dekorativ ausgestellt sind, unter anderem flauschige Plüschdecken und ein Flachbildfernseher.

Als Kaffeefahrt-Schreck im Einsatz

Auch Heinrich Groß* (*Name von der Redaktion geändert) hat sich unter die Gäste gemischt. In der Butterfahrt-Branche ist der streitbare Essener bereits berüchtigt, denn dort, wo arglosen Senioren das Geld aus der Tasche gezogen werden soll, ist der Rentner zur Stelle. Schon oft hat er das Ordnungsamt über unangemeldete Veranstaltungen informiert, so auch diesmal: „Wenn ich sehe, wie ältere Menschen abgezockt und für dumm verkauft werden, macht mich das einfach nur wütend“, ärgert sich der 79-Jährige. Wann immer er ein fragwürdiges Angebot erhält, setzt er alles daran, den Verantwortlichen das Handwerk zu legen.

Beim Ordnungsamt befürwortet man sein Engagement: „Wir nehmen Hinweise von Bürgern sehr ernst und gehen diesen auch nach“, sagt Ursula Bönte, Sachbearbeiterin beim Ordnungsamt Essen. „Es kommt etwa fünf bis sechs Mal im Jahr vor, dass wir solche unseriösen Aktionen auflösen müssen.“

Solche als Kaffeeklatsch getarnten Verkaufsnachmittage sind nur die Spitze des Eisberges, weiß Margret Schulte, Leiterin der Verbraucherzentrale Essen: „Gerade vermeintliche Reisegewinne entpuppen sich oft als Kaffeefahrten, wo mit aggressiven Methoden verkauft wird.“ So verfrachte man die Gäste gern an einen entlegenen Ort, von dem es keine Fluchtmöglichkeit gibt. „Das hat Methode“, so Schulte.

Eintrag ins Gewerbezentralregister möglich

Laut Gewerbeordnung benötigen Händler für eine Verkaufsveranstaltung, die außerhalb ihres Ladenlokals stattfindet, einen Reisegewerbeschein. Sobald ein Gewerbetreibender seine Räumlichkeiten verlässt, handelt es sich um ein sogenanntes Wanderlager, das zwei Wochen vor der Veranstaltung beim Ordnungsamt angemeldet werden muss. Ferner verbietet der Gesetzgeber, angebliche Geschenke auf Einladungen anzukündigen und so als Lockmittel einzusetzen, zumal die versprochenen Waren selten tatsächlich ausgehändigt werden. Bei Verstößen handelt es sich um eine Ordnungswidrigkeit, die oft mit empfindlichen Geldbußen belegt ist – ein Fall von unlauterem Wettbewerb.

„Die Veranstalter scheuen dennoch weniger das Bußgeld als vielmehr einen möglichen Eintrag ins Gewerbezentralregister“, erklärt Bönte. „Wer dann einmal ein ordentliches Gewerbe anmelden möchte, wird Probleme bekommen.“

Bekommt das Ordnungsamt Wind von organisiertem Verbraucher-Nepp, vereitelt es die Veranstaltung nach Möglichkeit sofort. „Wir schreiten ein, bevor jemand sein Portmonee zücken kann“, sagt Bönte. „Unsere Mitarbeiter sind es gewohnt, dass die Veranstalter dann höchst ungehalten reagieren.“

Einschüchtern und Druck aufbauen

Und so ist auch diesmal die Party in Steele ganz schnell vorbei. Eigentlich sollte der Verkauf im Erdgeschoss des Restaurants stattfinden, doch einer der Mitarbeiter scheint drohendes Unheil zu wittern und scheucht die betagten Besucher hektisch in den Keller. Eine Dame erklärt, sie könne wegen eines Arzttermins nicht lange bleiben. „Das geht so nicht“, mahnt einer der Veranstalter in strengem Ton. „Hier kann nicht einfach jeder rein und raus laufen. Das stört ja die anderen Gäste.“ Sichtlich eingeschüchtert gibt die Dame klein bei.

Dann geht die Tür auf und zwei Mitarbeiter des Ordnungsamtes erklären die Veranstaltung für beendet; damit ernten sie teils verständnisloses Kopfschütteln bei den Besuchern. Als die beiden das Restaurant verlassen haben, verkündet der Veranstalter den verbliebenen Besuchern: „Das Ordnungsamt möchte nicht, dass wir Ihnen etwas schenken. Sie kennen das aus dem Dritten Reich, da gab es auch immer Menschen, die andere angeschwärzt haben.“ Dabei verzieht er keine Miene. Überhaupt seien die Ausländer an vielen Übeln in unserer Gesellschaft schuld. Im Hintergrund läuft rechtspopulistisches Liedgut. Eines aber könne er versprechen: „Sie erhalten auf jeden Fall eine neue Einladung.“