Essen. Vier Monate nach der antisemitischen Hetze in der Essener Innenstadt musste die Staatsanwaltschaft 45 der 49 eingeleiteten Strafverfahren wieder einstellen. Die Taktik der Polizei, während der Demo auf Reizgas zu verzichten und die Täter später per Videobeweis zu überführen, ging nicht auf.
Die polizeiliche Taktik der deeskalierenden Zurückhaltung auf der überhitzten Doppel-Nahostdemo im Juli mag aufgegangen sein. Doch die vollmundig verkündete Hoffnung von Behörde und Innenministerium, nach dem bewussten Verzicht auf Schlagstock und Reizgas in der Innenstadt möglichst alle Täter durch Videobeweise und Ermittlungen im Nachhinein und in aller Ruhe zu überführen, erfüllte sich zu einem großen Teil nicht.
Vier Monate nach der antisemitischen Hetze mit provozierenden Plakaten und Holocaust-Parolen bleibt die Bilanz der Strafverfolger deutlich hinter den selbst gesteckten Zielen zurück: Von 49 Verfahren gegen Unbekannt wurden 45 eingestellt, weil die Täter nicht ermittelt werden konnten. Zwei davon sind noch nicht abgeschlossen. In zwei weiteren Fällen kamen die Behörden Verdächtigen auf die Spur, berichtete Staatsanwalt Rainer Kock jetzt auf Anfrage der NRZ.
Lange Liste der Vorwürfe
In 22 Fällen sei gegen namentlich bekannte Teilnehmer der Demo ermittelt worden. Einige dieser Verfahren sind noch offen, drei wurden eingestellt, vier endeten mit dem Befund einer geringen Schuld. Sechs Mal reichte die Essener Behörde die Akten an eine andere Staatsanwaltschaft weiter, weil es sich bei den Beschuldigten um Jugendliche handelte, bei denen der Wohnort und nicht der Tatort maßgeblich für die Zuständigkeit einer Staatsanwaltschaft ist.
Zudem wurden zwei Geldstrafen in ungenannter Höhe verhängt. Erst vor wenigen Tagen hat die Staatsanwaltschaft sechs mutmaßliche Täter angeklagt. Wann die Männer zwischen 20 und 30 Jahren unterschiedlicher Herkunft auf der Anklagebank sitzen werden, ist noch offen, so Kock: „Die Anklagen sind gerade erhoben worden.“
Die Liste der strafbaren Vorwürfe gegen die Beschuldigten ist lang: „Im Regelfall“, so der Staatsanwalt, handele es sich um Volksverhetzung, Verstöße gegen das Versammlungs- oder Waffengesetz, weil Klappmesser mitgeführt worden seien. Aber auch der Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung steht im Raum, weil Demonstranten Gegenstände auf Polizisten geworfen hatten.