Essen. . Im Oktober 2011 gerieten zwei Libanesen und Polizisten in Essen aneinander. Wer Täter und wer Opfer ist, versucht das Landgericht Essen am Mittwoch in einer Berufungsverhandlung erneut zu klären. In dem Fall steht Aussage gegen Aussage. Und der Richter muss ein Urteil fällen.
„Es gibt keine Wahrheit. Es gibt nur verschiedene Perspektiven“, heißt es in einem beeindruckenden Film, der die Todesstrafe thematisiert. Diese Perspektiven werden am Mittwoch in einem Saal des Landgerichts gehört, verglichen und bewertet. Danach wird ein Urteil gefällt. Der Fall, der verhandelt wird, soll das aufklärende Licht ins noch dunkle Geschehen bringen, das sich vor drei Jahren im Essener Südostviertel ereignet hat. Ein Fall, in dem bis heute nicht klar ist, wer Täter und wer Opfer ist. Und ob diese Begriffe hier überhaupt getrennt werden können.
An einem Abend im Oktober 2011 wird die Polizei zu einem Familienstreit an der Franziskanerstraße gerufen. Libanesen sind dort nicht nur aneinander geraten, sie haben auch die Beamten alarmiert. Die fahren mit Unruhe und Anspannung zum Ort des Geschehens. Denn, das ist bekannt, wenn es bei Libanesen zu Konflikten kommt, kann aus einer kleinen Streitgruppe schnell ein aufgeregter, lauter Familienauflauf werden.
Eine Waffe wird nicht gefunden
An der Franziskanerstraße treffen die Polizisten Khaled K. und seinen Sohn Hadi. Die allgemeine Verkehrskontrolle eskaliert, weil ein Beamter eine Pistole im Wagen der Libanesen gesehen haben will. Die Bedrohungslage ändert sich in diesem Moment und erweitert die Befugnisse der Polizei. Weitere Libanesen kommen hinzu. Und herbeigerufene Beamte.
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Die Situation eskaliert. Die Polizei sprüht Pfefferspray. Khaled K. und Sohn Hadi landen unsanft auf dem Boden. Sie klagen über Tritte und Schläge ins Gesicht. Hadi sagt, ein Polizist habe ihm mit dem Funkgerät zwei Mal auf den Kopf geschlagen. Die Beamten sagen, sie seien, als die Ereignisse eskalierten, von den zwei Libanesen geschlagen und getreten worden. Es soll ein aufklärendes Handy-Video geben. Das wurde aber gelöscht und konnte auch vom Landeskriminalamt nicht wiederhergestellt werden.
Ein Beteiligter hat Prellungen und zwei kaputte Zähne
Hadi (29), der Prellungen hat und zwei kaputte Zähne beklagt, und sein Vater Khaled K. werden zur Wache gebracht. Ein Arzt sorgt dafür, dass der angeschlagene 49-Jährige, der an Asthma und Diabetes leidet, einen Schlaganfall und einen Herzinfarkt hinter sich hat, ins Krankenhaus kommt.
Eine Waffe wird an der Franziskanerstraße nicht gefunden. Die Polizei vermutet, dass diese im Getümmel jemand eingesteckt hat. Die Angeklagten bestreiten, dass es diese Waffe gegeben hat. Reden wollen sie vor der Berufungsverhandlung nicht. „Ein laufendes Verfahren“, erklärt ihr Anwalt Stephan Bester. Er wirft den Polizisten vor, dass sie sich „nicht im Griff hatten und massiv über die Stränge geschlagen haben.“
„Widerstand gegen die Staatsgewalt“ lautete der Vorwurf
Im April wurde erstmals verhandelt. „Widerstand gegen die Staatsgewalt“ lautete der Vorwurf gegen die Libanesen. Ein Polizist berichtete von „erhobenen Fäusten“, mit denen Khaled K. ihn attackiert habe. Der Libanese hat seit einer Explosion in seiner Heimat nur noch eine Hand. Ein Polizist wurde bei der Befragung vor Gericht motzig, stürmte aus dem Saal, soll sich auf dem Flur eine furchteinflößende verbale Entgleisung geleistet haben, der Zeugen einen Schauer über den Rücken jagte.
Die angeklagten Libanesen wurden freigesprochen. „Wir nehmen die erhobenen Vorwürfe ernst und werden sie sorgfältig prüfen“, sagt ein Essener Polizeisprecher. Seine Behörde will das Ergebnis der Berufungsverhandlung abwarten. „Der Sachverhalt muss aufgeklärt werden. Egal wer Opfer und Täter ist“, so gestern ein Sprecher des Landgerichts. Vielleicht kann das auch heute nicht geklärt werden.
Staatsanwaltschaft hatte den Freispruch gefordert und ging dann in Berufung
Es war ein „nicht üblicher“ Verhandlungsverlauf, wie ein Sprecher des Landgerichts Essen sagt, der sich dort im April beim Termin zwischen Khaled K., seinem Sohn und den Polizisten ereignete. Am Ende des Verfahrens plädierte die Staatsanwaltschaft auf Freispruch. Die Richterin folgte dem Antrag und sprach die angeklagten Libanesen frei.
Danach ging die Staatsanwaltschaft in Berufung, offenbar war man, nach einer erneuten Überprüfung der Unterlagen, nicht zufrieden mit dem Ergebnis der Verhandlung. Am heutigen Mittwoch steht ab 10 Uhr im Raum 244 der Hauptverhandlungstermin in der Strafsache „33 Ns 110/14“ an.
Hintergrund: Der Staatsanwalt, der Anfang des Jahres den Fall betreut und die Unterlagen für die Verhandlung zusammengestellt hatte, hatte im April nicht am Verfahren vor Gericht teilgenommen, sondern eine Vertreterin. Der Staatsanwalt ist aber am Mittwoch im Einsatz.
Die möglichen Ergebnisse der Verhandlung im Landgericht: Die beiden Angeklagten werden dieses Mal verurteilt. Oder die Berufung wird am Mittwoch verworfen. Dann wäre zwar eine Revision möglich, wobei es eher unrealistisch ist, dass die Staatsanwaltschaft diesen Weg weiter geht. Nach Abschluss des Verfahrens dürfte die Rolle der Polizisten von der Staatsanwaltschaft untersucht werden.