Essen. Wochenlang haben 14 teils hochbetagte Tänzer und ihre jüngeren Partner für einen Auftritt im GOP Variété trainiert – am Dienstagabend zeigten sie dann in Essen eine hinreißende Tanz-Show. Da rockte der 98-Jährige im Rollstuhl, da schmiss eine Tänzerin den Gehstock weg.
„Ich tanze mit Dir in den Himmel hinein“ – dieses Versprechen löst nicht nur der 93 Jahre alte Kurt Mehlhase ein, als er Veronika Hellebrandt auf der Bühne des GOP Variétés zum English Waltz bittet. Es erfüllt sich auch für alle Freunde, Verwandten und Kollegen, die am Dienstagabend das Privileg haben, die Gala „Revuetänzer“ als Zuschauer verfolgen zu dürfen. Da lassen die betagten Tänzer eben nicht nur Erinnerungen aus ihrer Jugend Revue passieren, da leben sie bei Walzer und Foxtrott, bei Tango und Twist so auf, dass selbst die Juroren dahinschmelzen.
„Sie haben so viel Feuer und Temperament“, schwärmt etwa Motsi Mabuse. Und Sarah Latton ruft aus: „Wer möchte nicht mit Ihnen tanzen!“ Beide Damen sind Profitänzerinnen und haben Jury-Erfahrung in der Fernsehsendung „Let’s Dance“ gesammelt. Die Gala im GOP ist an das TV-Format angelehnt, während dort aber Promis mit Profis tanzen, treten hier Bewohner von Seniorenheimen der Contilia Pflege und Betreuung an, die mit einem Mitarbeiter tanzen. Wochenlang haben die 14 Paare trainiert, haben Choreographien erarbeitet, auch mit Hilfe von Tanzlehrer Thomas Püttmann-Lentz, der ebenfalls in der Jury sitzt.
Blick für Harmonie, Verführung und Tanzbegeisterung
Selbstredend erkennen die Fachleute, wenn eine Schrittfolge nicht ganz sitzt oder ein Paar aus dem Takt gerät, viel wichtiger ist jedoch, dass sie einen Blick haben für Harmonie, Verführung und Tanzbegeisterung. Die zeigt sich oft schon in den Einspielfilmen, mit denen alle Tänzer porträtiert werden. Da ist von lebenslangen Liebesgeschichten die Rede, die in der Tanzschule begannen, da hört man auch: „Man kriegt ja doch nie die, die man will.“ Auf dem Parkett wie im Leben.
Horst Koepp setzt dieses Bekenntnis auf der Bühne in einen wunderbaren Tango mit Lydia Jambrosic um. Da sitzen sie erst beide vor schweren Telefonen wie sie einst in Tanzcafés standen, da beginnt die Aufforderung zum Tanz mit dem Klingeln des Apparats. Dann entspinnt sich zu „Ich küsse Ihre Hand, Madame“ ein zartes Hin und Her zwischen den Tanzpartnern, denn wie heißt es in dem Schlager: „Mein Pech dabei ist, dass, ach, Ihr Herzchen leider nicht mehr frei ist.“ Am Ende regnet es Rosen auf die Bühne für diesen Tanz, der Humor und Hingabe so wunderbar vereint.
Gebrechlichkeit und Handicaps werden mit Selbstironie behandelt
Auch andere Paare erzählen tanzend kleine Geschichten. Vorgeführt aber wird hier niemand, Alter, Gebrechlichkeit und Handicaps werden mit Selbstironie behandelt. Da schmeißt eine Tänzerin zu Beginn ihren Stock weg, da hat sich der 98-jährige Rollstuhlfahrer Friedrich Schmidt „Surfin USA“ ausgesucht.
Dieser Abend ist der Kontrapunkt zu all den traurigen Geschichten von Pflegenotstand und Sauber-satt-still-Ideologie. Er zeigt, dass die Lebensfreude auch im Altenheim zu Hause sein kann. Er zeigt Mitarbeiter und Bewohner, die freundschaftlich mit einander umgehen. Wie Altenpfleger Kevin Eykeln (25), dem vor dem Auftritt „die Beine schlotterten“ – und der auf der Bühne der umsichtige Tanzpartner ist, auf den die 102 Jahre alte Maria Weimer vertrauen kann.
Zur Siegerin kürt die Jury Erna Schenk, die mit ihrem Charleston zu „Ausgerechnet Bananen“ eine geradezu jugendliche Rasanz zeigt. Gewonnen aber haben an diesem Abend alle. Wie seufzt Motsi Mabuse: „Ich habe Gänsehaut.“