Duisburg/Essen. .
Gerüchte um den Zuzug eines Sexualstraftäters erschüttern das beschauliche Duisburg-Baerl. Es sei vor allem die Unsicherheit, die die Familien umtreibe, weil man keine genauen Informationen bekomme, so der hiesige Pfarrer.
„Keine Grubengasanlage in Baerl“, liest man auf einem Plakat, wenn man in dem westlichen Duisburger Stadtteil die Schulstraße Richtung Lohheider See fährt. Das geplante Kraftwerk war bisher das einzige Vorhaben, das die Baerler Bürger in ihrem beschaulichen Ort auf die Barrikaden brachte. Doch seit Wochen erschüttert ein Gerücht mit einem, so glauben die Menschen dort, ganz anderen Ausmaß die dörfliche Gemeinschaft. Dieses Gerücht besagt, dass ein aus der Sicherungsverwahrung entlassener Sexualstraftäter nach Baerl ziehen könnte, in eben jene Schulstraße, die sich der Länge nach durch den Stadteil zieht. „So was wie eine tickende Zeitbombe“ sagt die junge Frau, die mit ihrem Fahrrad Prospekte verteilt, allein die Vorstellung mache ihr Angst. Das idyllische Baerl mag ein Sonderfall sein, ein Einzelfall ist es nicht.
Etwa 70 Straftäter
Etwa 70 Straftäter mit unterschiedlichsten Delikten - vom Serienbankräuber bis zum Mörder - sind bundesweit von jener Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte betroffen, die besagt, dass eine nachträglich verhängte Anordnung der Sicherungsverwahrung gegen die Menschenrechte verstößt. Seitdem wurden einige Straftäter, die ihre Strafe verbüßt haben, aber immer noch als gefährlich gelten, aus der Sicherungsverwahrung entlassen.
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Manchmal geschieht das ohne großes Aufsehen. Manchmal gerät die ganze Umgebung in einen Ausnahmezustand. In Heinsberg lebt Karl D. (58) seit fast zwei Jahren und wird rund um die Uhr von Beamten bewacht. Karl D. war ein übler Vergewaltiger, der auch in und nach der Haft alle Therapien abgelehnt hat. Die Heinsberger standen Kopf, als er bei seinem Bruder, einem Gabelstaplerfahrer, einzog, und der Landrat persönlich warnte damals vor dem „neuen Nachbarn“.
Mittlerweile steht Heinsberg nicht mehr im Fokus der Öffentlichkeit, doch „normal“ ist die Lage dort nicht. Ein Verwaltungsgericht verbot erst neulich Demonstranten, Karl D.’s Familie weiterhin in Sichtweite mit Trillerpfeifen zu behelligen. Doch auch Karl D. sei bis heute „wenig kooperativ“, versuche ein ums andere Mal, „der Polizei zu entwischen“, sagt Sprecher Wilfried Peters.
Sorgen sind geblieben
Eine „Rund-um-die -Uhr“-Überwachung in Baerl, das mag sich Andreas Prumbaum-Bidovsky nicht vorstellen. Der Pfarrer der evangelischen Gemeinde hat die Ängste der Leute hautnah mitbekommen, als eine örtliche Zeitung vor knapp drei Wochen die Nachricht vom möglichen Zuzug des Mannes veröffentlichte, der getötet und vergewaltigt haben soll. Zwar seien die Anrufe etwas weniger geworden, aber „die Sorgen sind sicherlich geblieben“, sagt er. Es sei vor allem die Unsicherheit in den Familien, weil man ja keine genauen Informationen bekomme: „Die Menschen verstehen nicht, wieso das Persönlichkeitsrecht des Täters höher steht als das auf Information.“ Nach Baerl würden gerade Familien wegen Ruhe und Sicherheit hinziehen, sagt der Pfarrer.
„Sie sehen doch, wie beschaulich es hier ist“, meint auch Hans-Gerd Bosch von der örtlichen SPD. „Da hört man theoretisch was von einem Straßburger Urteil, und auf einmal ist man mittendrin in der Praxis“, so Bosch. „Das bringt hier jeden von Null auf 100.“ Seitens der Parteien setzte man darauf, „keine Panik zu verbreiten“. Aber er wisse auch, dass es „unter der Oberfläche brodelt“, auch wenn es noch gar nicht feststehe, ob der Mann überhaupt freikomme. Bosch lobt die Polizei, die sich bemühe, in Veranstaltungen die Baerler aufzuklären. Und er hofft, dass der Kelch an ihnen vorbeigeht.
Aber irgendwo müssen sie hin, die entlassenen Straftäter, und es ist in erster Linie die Polizei, die mit ihnen umgehen muss, wenn vom Gericht die sogenannte „Führungsaufsicht“ verordnet wird. „Kurs“ - Konzeption zum Umgang mit rückfallgefährdeten Sexualstraftätern - so heißt das neue landesweite Sicherheitskonzept, unter das auch Sicherungsverwahrte fallen. Der Entlassene soll je nach Kooperationsbereitschaft eingebettet werden in ein Bündel an Hilfsangeboten, aber auch Überwachungsmaßnahmen. Die meisten Straftäter würden in den ersten Monaten nach der Haft rückfällig, sagt Frank Scheulen vom Landeskriminalamt. Es gelte, den Entlassenen in dieser Zeit zu stabilisieren. „Kurs“ biete „ein deutliches Maß an Sicherheit“ gegenüber früher, so Scheulen, als „Entlassene einfach so untertauchen konnten“.
Umgang bleibt schwierig
Doch der Umgang mit der Klientel bleibt schwierig. 25 Beamte überwachen zurzeit einen entlassenen Sextäter in Dortmunds City, obwohl er kooperationsbereit ist. In Essen sollen demnächst „Fallkonferenzen“ über das weitere Vorgehen im Fall eines ebenfalls zu zweistelligen Haftstrafen verurteilten Sextäters bestimmen. Auch er hat stets Zivilbeamte im Schlepp, wenn er auf die Straße geht.
In der ZDF-Reportage „37 Grad“ kam am Dienstag Fred E. zu Wort. Der entlassene Sextäter steckt im „Kurs“-Programm, hat strenge Auflagen zu akzeptieren. So durfte er nicht in eine Wohnung ziehen, die in Sichtweite eines Kinderspielplatzes liegt. Der Mann, der bis heute nicht begriffen hat, was er einer behinderten Zehnjährigen mit seinem Missbrauch antat, fühlt sich „dreifach bestraft“. Er akzeptiert die Überwachung, verstehen kann er sie nicht.
Letztlich, so zieht Pfarrer Prumbaum-Bidovsky Bilanz, müsse die Politik die Sicherungsverwahrung neu regeln. Es müssten Orte geschaffen werden, wo Menschen, die als „Gefahr für die Allgemeinheit“ gelten, leben könnten. Das könne jedenfalls nicht ein Ort wie Baerl sein.