Duisburg-Rheinhausen. Drama um 30 Quadratmeter: Ein Hausbesitzer wirft der Stadt vor, Bürger zu beklauen. Warum Duisburg ein Grundstück zum „Schnäppchenpreis“ bekommt.

Seine Zeit in Duisburg wird Moritz Müller nicht in guter Erinnerung behalten. Das hat mit dem Ärger zu tun, den er beim Verkauf seines Hauses am Herkenweg in Rheinhausen hatte, als er im Sommer aus der Stadt wegzog. Müller hatte Käufer für sein Wohnhaus mit dem Baujahr 1890 gefunden, man war sich einig über den Peis geworden – und dann machte die Stadt von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch und forderte einen Teil des Grundstücks ein: zwei kleine Flächen rechts und links des Hauses an der Straßenseite, einmal 26 und einmal vier Quadratmeter.

Damit hatte Moritz Müller nicht gerechnet. „Als ich das Haus 2015 gekauft habe, war das Vorkaufsrecht überhaupt kein Thema“, sagt er. „Und jetzt wollen sie hier plötzlich einen Fluchtlinienplan aus dem Jahr 1921 umsetzen. Was soll das?“ In der Vergangenheit sei das Haus mehrfach verkauft worden und nie habe die Stadt von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch gemacht. Seine Vermutung: „Die wollen sich an uns Bürgern bereichern.“

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Der Quadratmeterpreis, den die Stadt bei ihrem Vorkaufsrecht am Herkenweg zahlen muss, richtet sich nämlich nach dem Zustand des Grundstücks vor Inkrafttreten des Fluchtlinienplans. „Die zu bewertende Fläche wird aufgrund der damaligen Grundstückstiefe als ‘vorgeschobenes Hinterland’ qualifiziert“, erklärt die Stadtverwaltung.

Das bedeutet: Die Stadt zahlt 30 Euro pro Quadratmeter für eine Fläche, die heute laut Bodenrichtwert als „baureifes Land“ 200 Euro wert ist. „Die beklauen uns Bürger“, wettert Moritz Müller, der sich über diesen „Schnäppchenpreis“ ärgert. „Ich möchte mal wissen, wie viele Hektar die sich auf diese Weise schon unter den Nagel gerissen haben.“

„Grundstücksklau“? Stadt Duisburg weist Vorwurf zurück

Diesen Vorwurf weist die Stadt vehement zurück. „Der Begriff Grundstücksklau ist unangebracht“, sagt Pressesprecher Malte Werning. Die Stadt erwerbe Flächen dort, wo ein Vorkaufsrecht nach den gesetzlichen Voraussetzungen vorhanden ist, zum Wohl der Allgemeinheit. In der Regel passiere das, um Straßen auszubauen oder Teile bereits ausgebauter Gehwege in das Eigentum der Stadt Duisburg zu überführen. „Weder bereichert sich die Stadt, noch werden Grundstücke geklaut“, stellt er klar.

Hausverkäufer Müller hatte Glück, dass sich die Interessenten von der veränderten Situation nicht abschrecken ließen. Seit dem 1. August gehört die Immobilie am Herkenweg Constanze Bohmann und ihrem Mann. Sie freuen sich trotz der Querelen sehr über das neue Zuhause, sind aber immer noch verwundert über den Ankauf der 30 Quadratmeter durch die Stadt.

Ein Hausbesitzer wirft der Stadt Duisburg vor, Bürger zu beklauen. Es geht um ein Grundstück am Herkenweg in Rheinhausen.
Ein Hausbesitzer wirft der Stadt Duisburg vor, Bürger zu beklauen. Es geht um ein Grundstück am Herkenweg in Rheinhausen. © FUNKE Foto Services | Karl Banski

„Das ist doch irgendwie irrsinnig“, sagt die Hausbesitzerin und zeigt uns die beiden Flächen. „Was wollen die bloß damit?“ Links vom Haus ist es nur ein winziges Eckchen, rechts geht es um eine 26 Quadratmeter große Stellfläche, wo jetzt unter anderem das Auto der Eigentümer parkt.

Grundstück in Duisburg-Rheinhausen: Konkrete Pläne gibt es nicht

Konkrete Pläne gibt es laut Pressestelle der Stadt aktuell keine. Aber: „Durch die Inanspruchnahme des Vorkaufsrechtes haben wir die Möglichkeit, in diesem Bereich langfristig zu planen und ihn zu entwickeln.“ Bei einer künftigen Neubebauung des Grundstücks könnten sich zum Beispiel andere Entwicklungsmöglichkeiten für den Straßenraum ergeben. „Darüber hinaus kann der Querschnitt des Gehwegs verbreitert werden.“ Mehr Platz für Fußgänger wäre also eine der möglichen Zukunftsvisionen für den Herkenweg.

Constanze Bohmann kann über diese Ideen nur den Kopf schütteln – denn das würde bedeuten, dass die Passanten durch ihr Schlafzimmer marschieren. „Unser Haus steht doch mitten auf der Fluchtlinie“, sagt sie. Genau so wie die Immobilien der jeweils übernächsten Nachbarn zur rechten und zur linken Seite. Mit dem historischen Begriff „Fluchtlinie“ ist übrigens eine Begrenzungslinie gemeint, die den Abstand der Bebauung zum Straßenraum vorgibt. Und da, so Werning, galten in den vorigen Jahrhunderten natürlich andere Maßstäbe als heute, wo sich Menschen nicht in Kutschen, sondern in Autos fortbewegen.

Herkenweg in Duisburg-Rheinhausen: Häuser haben Bestandsschutz

Die Häuser, die einem Ausbau von Straße oder Bürgersteig momentan noch im Weg stehen, haben Bestandsschutz. Sollte Constanze Bohmann das alte Häuschen auf ihrem Grundstück aber irgendwann einmal durch einen Neubau ersetzen wollen, dann würde die Stadt das fehlende Stück zur Einhaltung der Fluchtlinie kaufen und die Bohmanns müssten ihr neues Heim ein Stück von der Straße weg bauen. Zukunftsmusik! Ihr Haus ist solide gebaut und sie mögen den Charme der alten Steine.

Constanze Bohmann ist seit August 2023 Eigentümerin des Hauses am Herkenweg in Rheinhausen. Dass die Stadt Duisburg hier eine kleine Fläche gekauft hat, wundert sie.
Constanze Bohmann ist seit August 2023 Eigentümerin des Hauses am Herkenweg in Rheinhausen. Dass die Stadt Duisburg hier eine kleine Fläche gekauft hat, wundert sie. © FUNKE Foto Services | Karl Banski

Es scheint sehr wahrscheinlich, dass sich die Stadt Duisburg noch lange gedulden muss, bis der Herkenweg umgestaltet werden kann. Offen bleibt die Frage, warum sie erst jetzt von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch macht, obwohl es seit dem Fluchtlinienplan von 1921 doch schon mehrere Eigentümerwechsel gab. Dazu gibt es nur diese Antwort: „Im letzten Jahr wurde das Nachbargrundstück gekauft, so dass die Ausübung des Vorkaufsrechtes jetzt sinnvoll war.“

Grundstück in Duisburg-Rheinhausen: Eigentümer können Fläche nutzen, ohne zu bezahlen

Constanze Bohmann hat sich mit der Situation arrangiert. Anders als befürchtet, dürfen sie die Fläche neben ihrem Haus nutzen, ohne eine Pacht zu zahlen. Für Moritz Müller, der durch die Verzögerung des Verkaufs 700 Euro für eine Zwischenfinanzierung mehr ausgeben musste, hat die ganze Sache nur ein Gutes: Er ist froh, dass er aus Duisburg weg ist.