Duisburg-Rheinhausen. Auf seiner Flucht trieb Hassin Ali eine Stunde hilflos im Meer. Angekommen in Duisburg sprach er kein Wort Deutsch. Das ist seine Geschichte.
Routiniert lenkt Hassin Ali sein Fahrrad über die Kaiserstraße in Friemersheim. Nicht nur mit seiner gelben Weste fällt er auf. Hassin Ali lächelt. Und das eigentlich immer. Als „Sonnenschein“ ist der 23-Jährige bei seinen Arbeitskolleginnen und -kollegen bekannt und beliebt. Er hält an, greift in den Korb vorne an seinem Rad und zieht einen dicken Stapel Briefe hervor. Hassin kennt sein Revier genau. Als Postbote radelt er tagtäglich durch Rheinhausen, stellt Briefe zu – und genießt die gelegentlichen Gespräche an den Haustüren.
Dass er heute so arbeiten kann, war vor zehn Jahren noch undenkbar. Als 13-Jähriger ist Hassin vor dem Krieg im Sudan geflohen. Drei Jahre verbrachte er in Libyen, ehe er weiter über Italien, Frankreich und Belgien im Duisburger Westen ankam. „Das war sehr schwer für mich“, sagt er heute. Er floh mit einem Boot nach Europa, das schließlich kenterte. „Ich trieb fast eine Stunde im Meer.“ Seine Familie musste er zurücklassen.
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Als er endlich in Duisburg ankam, kam die Überforderung. Hassin, der sich heute gut verständigen kann, sprach zu diesem Zeitpunkt weder Deutsch noch Englisch. Über Umwege kam er in einer Jugendgruppe unter. „Das war für mich alles sehr komisch. Ich kannte ja niemanden und habe die Sprache nicht verstanden.“ Ein Umstand, der den 23-Jährigen dennoch nicht entmutigte.
Hassin Ali aus dem Sudan besuchte in Duisburg Deutschkurse
Er besuchte Deutschkurse, sein Betreuer vermittelte Jahre später einen Kontakt zur Deutschen Post. Die DHL-Gruppe bot ihm ein Jahrespraktikum in Rheinhausen an. „Das war sehr gut“, sagt er heute. Die Arbeit als Zusteller gefiel ihm so gut, dass er eine Ausbildung starten konnte.
Zwei Jahre lang lernte er sämtliche Bereiche genau kennen, erkundete die unterschiedlichen Arbeitsfelder zusammen mit seinem Ausbilder. Eine Erfolgsgeschichte – wäre da nicht die Abschlussprüfung gewesen. Durchgefallen! „Es hat leider nicht geklappt“, sagt Hassin. Er hatte Probleme mit den Prüfungsaufgaben, seine mangelnden Deutschkenntnisse erschwerten die Sache. Ein Jahr lang konnte er seine Ausbildung verlängern, trat erneut an – und fiel schon wieder durch. Die Hürde der Abschlussprüfung konnte Hassin auch im zweiten Anlauf nicht überwinden.
Aus dem Sudan nach Duisburg geflüchtet: „Ich möchte arbeiten“
Seine Reise mit der Deutschen Post endete trotzdem nicht. Weil Hassin Ali Einsatz, Bereitschaft und Teamgeist in überdurchschnittlichem Maße zeigte, gab das Unternehmen ihm eine einmalige Chance. „Er kam damals auf mich zu und sagte: Ich möchte arbeiten“, erinnert sich Karin Tschorn, Standortleiterin an der Beethovenstraße in Rheinhausen. Sie suchte den Kontakt zum Integrationsbeauftragten, machte sich für ihren „Sonnenschein“ stark. Mit Erfolg: Seit Juni 2023 hat Hassin Ali trotz nicht bestandener Prüfung einen unbefristeten Arbeitsvertrag.
„Das war in Duisburg bislang einmalig“, erklärt Dirk Pottbeckers, Leiter der Duisburger Zusteller. Normalerweise gibt es diese Chance nicht. „Aber er ist ein so zuverlässiger Mitarbeiter“, schwärmt er. Ihn gehen zu lassen, kam für das Team nicht infrage. Dass Hassin seinen Job schätzt, zeige sich auch in seiner großen Bereitschaft, die schwere deutsche Sprache immer weiter zu perfektionieren.
Hassin Ali arbeitet in Duisburg als Postbote: Auch heute lernt er noch Deutsch
Im Zusammenspiel mit der Sozialberatung und des Integrationsbeauftragten konnte die DHL-Gruppe erreichen, dass Hassin jeden Montag Nachhilfe in Deutsch bekommt. Eine Chance, die er konsequent nutzt: Selbst wenn sein Nachhilfelehrer Urlaub hat, bearbeitet er Aufgaben, die er vorher zugeschickt bekommt.
„Hassin hat seinen Platz bei uns gefunden“, sagt Standortleiterin Karin Tschorn. „Wir achten hier alle auf ihn.“ Das beruht auf Gegenseitigkeit. Wer Hassin im Umgang mit seinen Kolleginnen und Kollegen beobachtet, der spürt, dass das Verhältnis untereinander ausgezeichnet ist. Und auch die vielen kleinen Gespräche an den Haustüren in Rheinhausen genießt der 23-Jährige. „Die Leute hier sind unfassbar nett“, sagt Hassin, während er einen weiteren Stapel Briefe aus der Tasche zieht und lächelt. So wie eigentlich immer.