Duisburg-Baerl. Irma Möllenkamp ist die älteste noch lebende Schützenkönigin von Binsheim. Ende September wird sie 99 Jahre alt. Ein Besuch bei der Dorfältesten.
Die Blumen stehen noch in der Vase. Mehr als zwei Wochen hat der Strauß mit den hübschen Hortensien gehalten. „Die Schleife habe ich aufbewahrt“, sagt Irma Möllenkamp. Zur Erinnerung an ein besonderes Ereignis: Denn dass eine ganze Schützenkompanie aufmarschiert, um der ältesten noch lebenden ehemaligen Schützenkönigin mit Pauken und Trompeten einen Blumenstrauß zu überreichen, wird so schnell nicht mehr passieren. Erst in vier Jahren feiern die Binsheimer wieder ihr großes Fest. „Das erlebe ich nicht mehr.“
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Irma Möllenkamp schüttelt lachend den Kopf. „Abwarten“, sagt ihre Tochter Renate. Die kürzlich im Alter von 96 Jahren gestorbene Queen hat die Binsheimer Schützenkönigin jedenfalls längst überlebt. Und sie ist die Dorfälteste! Am 28. September wird auf dem Hof an der Orsoyer Straße ihr 99. Geburtstag gefeiert.
1960 war die Dorfälteste in Binsheim Schützenkönigin
Irma Möllenkamp schlägt ein altes Fotoalbum auf. Da steht sie als Schützenkönigin mit einem Krönchen auf dem Kopf und einem schmucken Strauß Blumen im Arm. Lange ist das her. „Das war 1960“, sagt sie. Das Bild ist schwarz-weiß, aber an die Farbe des Kleides erinnert sie sich noch sehr genau. Grün war es. „Und ein hellblaues gab es auch.“ Der Schützenkönig, an dessen Arm sie sich auf dem Foto einhakt, ist nicht ihr eigener Mann. Es war der Nachbar, der den Vogel abgeschossen hatte. Und weil dessen Frau schon gestorben war, übernahm Irma Möllenkamp den Job an seiner Seite.
„Ich wurde ausgeliehen.“ Mit einem Lächeln erinnert sie sich. „Ich kannte diese niederrheinische Tradition ja gar nicht.“ Erst in den 40er Jahren ist Irma Möllenkamp aus dem schlesischen Langheinersdorf nach Baerl gekommen. Geflüchtet vor einem grausamen Krieg. „Wir haben Haus und Hof verloren.“ Als Dienstmädchen hat sie als junge Frau damals auf dem Binsheimer Hof gearbeitet. Und sie ist geblieben. Eine ihrer drei Schwestern heiratete den Bauern und sie den Bruder des Bauern. Ihren Heinrich, der elf Jahre älter war und vieles konnte – aber leider nicht tanzen.
Schützen in Binsheim brachten einen Blumenstrauß
Umso schöner, dass sie vor mehr als 60 Jahren mit dem Schützenkönig ihre Freude am Tanzen ausleben konnte. Ein Erlebnis, das sie nachhaltig geprägt hat. Mit 98 Jahren ist Irma Möllenkamp noch immer Fan des Schützenfestes. Als die Binsheimer am letzten Augustwochenende durchs Dorf gezogen sind, da hat sie im Gartenstuhl vor der Tür gesessen. Ein Logenplatz, denn von hier aus war sogar das Königsschießen auf dem Festplatz zu sehen. Und als dann auch noch die Schützen bis zu ihrem Haus marschierten und ein Ständchen für sie spielten, da hat sich das alles ein bisschen so wie früher angefühlt.
Irma Möllenkamp hat die weißen Haare mit einem Kamm hochgesteckt. Frisch sieht sie aus. Die Wangen schimmern rosa. So oft wie möglich geht die Seniorin nach draußen. Mit Stock, Rollator und der Hilfe ihrer Tochter, die auch auf dem Hof lebt, ist noch so manches möglich, was das Leben schön macht. Die 98-Jährige streckt die Hände aus. „Gucken Sie mal, ich habe Walnüsse gepellt.“ Man sieht’s! Ihre Finger sind braun gefärbt. Wenn sie sich freut, so wie jetzt, dann lachen auch ihre Augen. Jeden Tag immer auch das Gute im Blick haben – das hält jung.
Was eine Dorfälteste aus Duisburg über die Energiekrise denkt
Wie fühlt sich das eigentlich an, wenn man die Dorfälteste ist? Irma Möllenkamp zuckt mit den Schultern. Die Älteste zu sein, daran hat sie sich gewöhnt. Greifbar werden die vielen Jahre, die sie schon erlebt hat, wenn sie ihre Hände auf den Stapel an Fotoalben legt. Ein ganzer Lebens-Schatz liegt da vor ihr auf dem Tisch. Irma Möllenkamp schlägt eine Seite mit den Bildern vom Schwarzwald-Urlaub auf. In den 50ern war das. Mit ihrem Mann und Freunden ist sie bis zum Bodensee gefahren. Das weiß sie noch ganz genau. Geschlafen hat man damals im Zelt. „Wir mussten sparsam sein.“
Wer so alt ist wie sie, der sieht manches anders als andere. Die Debatte über die aktuelle Energiekrise zum Beispiel. „Für uns war das früher selbstverständlich, dass nur ein Zimmer geheizt wurde.“ Nachts schlief man unter einer dicken Bettdecke. Die war selbst gemacht – aus Federn von den eigenen Hühnern. Viel schlimmer ist für sie, dass es überhaupt wieder einen Krieg gibt. „Das ist so furchtbar. Ich möchte keinen Krieg mehr miterleben!“ Irma Möllenkamp weiß, wie sich das anfühlt, wenn man ein Zuhause verliert.
99. Geburtstag in Duisburg: Körperliche und geistige Gesundheit
Das Thema tut ihr nicht gut. Wenn abends zu viel über die Ukraine gezeigt wird, dann schaltet sie den Fernseher aus. „Dann lese ich lieber.“ Momentan ist es die „Schlesische Weihnacht“, ein Geschenk eines Nachbarn. „Ein schönes Buch.“ Das Lesezeichen steckt auf Seite 77. Allzu schnell kommt die 98-Jährige nicht voran, denn es muss auch noch Zeit für ihr Hobby bleiben: Socken stricken. Für die ganze Familie.
Und was wünscht sich die Dorfälteste zum 99. Geburtstag? Neben dem geliebten Apfelkuchen, den sie als Spätsommerkind so gerne isst? Gesund bleiben! Körperlich und vor allem auch geistig. „Hauptsache, man ist noch klar im Kopf.“ Und dann überlegt sie doch noch mal, wie das wäre, wenn sie das nächste Schützenfest in vier Jahren tatsächlich noch erleben würde. „Dann würde ich ja noch mal so schöne Blumen bekommen.“ Wieder schüttelt sie lachend den Kopf und wischt die Vorstellung mit der Hand aus der Luft. Immer schön eines nach dem anderen: Erst mal wird der 99. Geburtstag gefeiert. Herzlichen Glückwunsch, Frau Möllenkamp!