Duisburg-Hochheide. In Hochheide geht ein roter Sessel auf Tour. In ihm können Neugierige dem Demenz-Hörspiel „Die Vergessenen“ lauschen. Ein ungewöhnliches Projekt.

Wie ist das, wenn einen der eigene Mann nicht mehr erkennt? Wenn er vergessen hat, wie man den Frühstückstisch deckt? Nicht mehr weiß, dass man zum Schmieren des Brötchens ein Messer braucht. Wie fühlt sich das an? Für ihn? Für seine Partnerin? „Er war doch früher so groß und stark und plötzlich verliert er seine ganze Persönlichkeit.“ Es ist die Ehefrau, deren Stimme uns über die Kopfhörer erreicht. Sie schildert ihre Geschichte nüchtern und doch so anrührend, dass man als Zuhörer ein Gefühl dafür bekommt, wie die Krankheit Demenz ein ganz normales Familienleben ins Wanken bringen kann.

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„Die Vergessenen“, so hat der Musiker und Theaterpädagoge Julian Gerhardt sein Hörspiel genannt, das er kurz vor der Pandemie nach den Motiven eines Theaterstücks über Demenz kreiert hat. An dieser künstlerischen Auseinandersetzung war auch das „Sozialwerk St. Georg Care“ beteiligt, das durch die eigenen Demenzwohngruppen auf der Homberger Ehrenstraße ein großes Interesse daran hat, dem Thema mehr Raum in der Öffentlichkeit zu geben. „Wir wünschen uns, dass wir Menschen die Angst vor dem Kontakt zu Demenzkranken nehmen können“, sagt Thomas Kaczmarek von der Geschäftsführung des Sozialwerks. Denn oft sei es eine Mischung aus Hilflosigkeit und Unwissenheit, die dazu führe, dass demente Menschen im Alltag von denen, die keinen Bezug zu dem Thema haben, ausgegrenzt werden.

Gemeinsam schicken sie den roten Sessel in Duisburg-Hochheide auf Reisen: Rosemarie Ring vom Quartiersbüro (v.l.), Projektleiterin Aline Wybranietz, Ralf Krause, Leiter des DRK-Hauses Am Sandberg und Thomas Kaczmarek vom Sozialwerk St. Georg.
Gemeinsam schicken sie den roten Sessel in Duisburg-Hochheide auf Reisen: Rosemarie Ring vom Quartiersbüro (v.l.), Projektleiterin Aline Wybranietz, Ralf Krause, Leiter des DRK-Hauses Am Sandberg und Thomas Kaczmarek vom Sozialwerk St. Georg. © FUNKE Foto Services | Volker Herold

Gemeinsam mit dem Quartiersbüro Hocheide hat das Sozialwerk jetzt die ungewöhnliche Aktion „Ein Sessel geht auf Reisen“ gestartet. In dem roten Ohrensessel, der zum Auftakt des Projekts draußen auf der Ehrenstraße präsentiert wurde, soll Demenz künftig hör- und fühlbar gemacht werden. An wechselnden Orten wird der Sessel stehen, in dem man über Kopfhörer und CD-Player das Hörspiel „Die Vergessenen“ auf sich wirken lassen kann. So soll die Demenz einen Platz mitten im Quartier bekommen. „Unser Ziel ist, dass der Umgang mit Demenz zur Selbstverständlichkeit werden kann“, formuliert Kaczmarek die Hoffnung, die das Kunstprojekt begleitet.

Der Sessel setzt die Tradition der roten Bänke fort

Einen Anfang haben 2017 schon die roten Bänke gemacht, die ebenfalls aus dem Geldtopf des Quartiersbüros gesponsert wurden. Sie sorgen in Hochheide mit ihrer Signalfarbe für Aufmerksamkeit und sollen Orte der Begegnung und der lebendigen Inklusion sein. Das bedeutet, dass hier Menschen mit und ohne Demenz zueinander finden können und jeder mit seinen Eigenheiten akzeptiert wird. „Viele wissen einfach zu wenig über Demenz“, sagt Thomas Kaczmarek. Hier soll der rote „Wandersessel“ jetzt ansetzen.

Julian Gerhardt, der Schöpfer des Hörprojekts „Die Vergessenen“, hat ein gefühlvolles Potpourri zusammengestellt. In der 20-minütigen Arbeit werden Wortbeiträge und Musik zu einem informativen und bewegenden Kunstwerk verwoben. Betroffene, Angehörige, Pflegekräfte und Soziologen kommen zu Wort. Manches ist sachlich, anderes geht tief unter die Haut.

„Es handelt sich um eine enorm relevante Thematik und doch verschließt man mehrheitlich die Augen davor und lagert die Betroffenen an die Ränder unserer Gesellschaft aus“, hat der Künstler Julian Gerhardt mal in einem Interview des Internetportals „Ruhrbarone“ gesagt. Und daran erinnert, dass jeder dement werden könnte: „Ich habe einfach den Wunsch, dass man einmal darüber nachdenkt, wie man dann selbst leben will.“ Ein guter Ort für Gedanken wie diese, ist der rote Wandersessel, der jetzt auf Reisen geht.

>>> DIE STATIONEN DES ROTEN WANDERSESSELS:

Ab sofort wandert der Sessel samt Hörspiel „Die Vergessenen“ durch Hochheide. Erste Station wird das multikulturelle Seniorenheim „Haus am Sandberg“ sein. Das Angebot richtet sich hier etwa sechs Wochen lang an Bewohner, Besucher und Mitarbeiter. Anschließend folgen Orte wie die Erich Kästner Gesamtschule, Kindergärten, Bibliothek oder der Markt. Informationen zu den aktuellen Orten gibt es beim Sozialwerk unter 02066/99 38 919.