Homberg/Walsum. Der Duisburger Schaustellerchef und seine Kollegen hadern wie kaum andere mit der Corona-Krise. Aufgeben ist aber für Mike Bengel keine Option.

Für Mike Bengel hat es schon bessere Zeiten gegeben. Es lief gut, richtig gut. Die Duisburger Schausteller mit ihm als Verbandschef waren aus dem Veranstaltungsreigen der Region nicht wegzudenken. Rund 30 Wagen stehen im Fuhrpark des alteingesessenen Familienbetriebs in Homberg. Ein halbes Vermögen. Mittlerweile sieben Generationen haben sich etwas aufgebaut. Für Bengel ist das sein Leben, „ich wollte nie etwas anderes.“ An diesem Mittag, an der Fähranlegestelle in Walsum, wirkt es nicht gerade wie eine schillernde Existenz. Bengel hat den Eiswagen hergebracht, ein paar Wochen darf er hier stehen. Jedesmal, wenn ein Boot anlegt, wechselt er vom Campingstuhl hinter den Tresen.

Pandemie-Stillstand - keine Einnahmen

Es läuft mittelprächtig, aber mit Früher, vor Corona, hat der Job nichts mehr zu tun. Seit fast acht Monaten geht das jetzt so. Pandemie-Stillstand, keine Einnahmen. Der Virus und sein Regelwerk haben Bengels Zunft an den Rand des Ruins katapultiert. Ende offen. Täglich wachsen Wut und Verzweiflung. Bengel spricht von einer „Riesenbettelei“ um städtische Genehmigungen, die am Ende doch nicht mehr brächten als ein paar Tropfen auf dem heißen Stein. Das Gefühl der Hilflosigkeit macht ihn fertig. „Wir wollen“, sagt der 54-Jährige, „endlich unser Leben zurück, unsere Veranstaltungen.“

Das 150-jährige Familienjubiläum steht an

Eigentlich sollte 2020 ganz anders laufen. Das 150-jährige Familienjubiläum steht an, Bengel wollte ein bisschen feiern, eine Ausstellung war geplant. Vieles weiß er von den Eltern, die heute über 80 sind. 1870 begann das Geschäft mit Pferden und Wagen. Die Tiere zogen die Karussells, die Schiffschaukeln waren Riesenschiffe, die mit Muskelkraft angeschoben wurden, „daher der Begriff Schiffschaukelbremser.“ Dann eine Berg- und Talbahn, die Amor-Bahn, zum heimlich Knutschen. Später der Autoscooter, immer mehr Technik.

Mike Bengel und sein Kumpel Peter. Die beiden konnte man in den letzten Wochen an der Fähre in Walsum treffen.
Mike Bengel und sein Kumpel Peter. Die beiden konnte man in den letzten Wochen an der Fähre in Walsum treffen. © FUNKE FotoServices | Kerstin Bögeholz

Mike ist ein Rummelkind, von klein auf haben er und seine Schwester mit angepackt. Und das hat ihn geprägt. Schausteller sind Allrounder. „Lkw-Fahren, Kranfahren, Elektro, Lackieren“ zählt er auf. Auch wenn er eine Lehre zum Bürokaufmann gemacht hat, der Schreibtisch wurde nie sein Ding. Bengel hat eine Zeit Diskotheken betrieben, in Moers und Bochum. Längst hat er selbst Familie, drei kleine Enkel, und führt er den elterlichen Betrieb. Inzwischen beschränkt er sich auf den Bereich der Gastronomie, seine Schwester hat außerdem eine Kindereisenbahn, den Märchenexpress. „Aber nicht mal der darf irgendwo stehen.“ Ebenso ergeht es seiner Tochter, die gerade in ein neues Fahrgeschäft investiert hat. „Aber das ist in diesem Jahr nicht ein Mal aufgebaut worden.“

Den Eiswagen hat er neu gebaut, man sieht den Germanengott Thor darauf. Kumpel Peter ist da, um Bengel am Ufer Gesellschaft zu leisten. Als Bengel Eis verkauft, weist Peter auf das Gefährt. „Der Mike“, sagt er, „macht alles selbst. Ein Teufelskerl. Wie MacGiver. Der baut aus ein paar Streichhölzern ein Hochhaus.“ Zwei Männer in Sportklamotten steigen vom Rad. Bengel blüht auf. „Das letzte Eis vor Marokko!“, ruft er. „Und den Corona-Test gibt’s gleich dazu, alles für 80 Euro.“ Die Ausflügler müssen lachen. Nee, lass mal. Fürs erste tun es ein paar Kugeln Malaga.

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„Die politischen Entscheidungen bringen Hassbürger hervor“

Dabei ist Bengel wütend. Hinter seiner coolen Fassade kocht er vor Zorn. Er hält die Pandemie-Maßnahmen für überzogen, daraus macht er keinen Hehl. Bei der ersten Großdemo in Berlin war er auch, mit Kollegen und Maschinen, ob er dort mit Rechten marschiert, ist ihm egal. „Die politischen Entscheidungen bringen Hassbürger hervor.“ Bengel hat schon öfter von einem „Berufsverbot“ gesprochen, das die gesamte Veranstaltungsbranche trifft und den Schaustellern mehr zu schaffen mache, als alles andere. „Wir sind Macher, wir wollen arbeiten, das haben wir unser ganzes Leben getan. Jetzt werden wir am langen Arm zum Betteln geschickt. Das ist unserer Zunft nicht würdig.“

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Bengel ärgert sich, dass in seiner Stadt „nichts erlaubt ist, kein Kinderkarussell, nix.“ Obwohl die Schausteller Konzepte für eine Kirmes unter Corona-Auflagen entwickelt haben. Um die paar Wagen mit Eis und Mandeln, die aktuell in der Fußgängerzone stehen dürfen, hat er wochenlang kämpfen müssen. Andere Städte wie Moers, Dortmund oder Düsseldorf sorgten für ihre Schausteller und erlauben sogar eine kleine Kirmes. Und das versteht er nicht. Geschäfte haben geöffnet, Wochenmärkte auch. Aber der Weihnachtsmarkt steht auf der Kippe. „Der muss stattfinden, das ist eine Grundversorgungsstätte“, sagt Bengel. „Gleiches Recht für alle!“

Überbrückungsgeld kann die Branche nicht über Wasser halten

Aktuell hofft er auf einen Rettungsschirm für die Schausteller aus Berlin, das war eine der Forderungen auf der Demo. Die paar 1000 Euro Überbrückungsgeld können seine Branche, die immer viel und regelmäßig investieren musste, nicht über Wasser halten. 5000 Schaustellerfamilien hat die Region, über 50 000 Jobs, dazu kommen Zulieferer, Techniker, Spielzeugfabrikanten. Und für die will Bengel kämpfen. Aufgeben ist keine Option. Nach einer beruflichen Alternative gefragt, winkt er ab. Einmal Schausteller, immer Schausteller. Warum? „Wir wollen den Menschen Freude machen. Das Feiern, das Leben, das Zusammensein. Das ist das beste Antidepressiva, das es gibt. Wenn es jemandem schlecht geht, machen wir ihn wieder fröhlich.“

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Eine Fähre legt an. „Alles klar bei euch?“, ruft ein Mann. Peter grinst. Bengel grinst auch. Er zeigt auf das Ufer, den Strom. Schön hier, eigentlich. „Sterben mit Aussicht“, witzelt er. „Das ist doch schon mal was.“