Duisburg-Rheinhausen. . Bewohner der Eisenbahnsiedlung schauten sich bei RTL II die sogenannte Sozialdokumentation „Hartz und herzlich“ gemeinsam an und waren entsetzt
- Die RTL-II-Doku "Hartz und herzlich – Die Eisenbahnsiedlung von Duisburg" sorgt für Empörung bei den Bewohnern
- "Das ist nicht meine Siedlung!", schimpft einer der Anwohner
- Zweiter Teil der Dokumentation wird am 27. Februar ausgestrahlt
Vier Monate lang hat ein Kamera-Team die Bewohner der Eisenbahnsiedlung bei ihrem alltäglichen Leben gefilmt. Entstanden ist eine zweiteilige sogenannte Sozialdokumentation mit dem Titel „Hartz und herzlich – Die Eisenbahnsiedlung von Duisburg“. Die erste Folge wurde am Samstag bei RTL II ausgestrahlt. Etwa 20 Eisenbahnsiedler trafen sich im Johannes-Büttner-Haus, um ihr Zuhause gemeinsam im Fernsehen zu sehen.
„Was soll das denn?“
„Der Name der Sendung macht mir Sorgen, aber uns wurde gesagt, dass Hartz-IV-Empfänger zwar mit dabei sind, aber auch andere Themen eine Rolle spielen“, sagt Eisenbahnsiedler Uwe Leibner vor Beginn der Sendung. Seine Sorgen sind nicht unbegründet. Es geht fast ausschließlich um eine Hand voll Hartz-IV-Empfänger, die in der Eisenbahnsiedlung wohnen. Deren alltägliche Leben stehen im Mittelpunkt. Eine der Protagonisten ist die vierfache Mutter Nina, die noch nie einen Job hatte und nicht versteht, dass die Krankenkasse ihr keine Brust-OP bezahlt. Dem Kamera-Team erzählt sie munter von ihrem gewalttätigen Ex-Freund, der ihre Waschmaschine mit einem Baseballschläger zerstört habe.
„Was soll das denn?“, kommt der erste entsetzte Aufschrei von den Zuschauern. Ein paar Szenen später erfahren die Zuschauer von einem Nachbarschaftsstreit zwischen den zwei Hartz-IV-Empfängerinnen Bärbel und Marina. Bärbel wirft Marina vor, ihr ein DVD-Set nicht komplett zurückgegeben zu haben. Unter dramatischer Musik erzählt der Moderator, dass die damals besten Freundinnen durch diesen Streit zu Feindinnen geworden sind.
Vom Gemeinsinn sieht man nichts
Auf dem Bildschirm sieht man dreckige Küchen und vermüllte Wohnzimmer. Die Eisenbahnsiedler verschränken die Arme. „Das ist nicht meine Siedlung!“, schimpft Anwohner Jürgen Vieten, „Wo sind all die positiven Aspekte? Wo sind all die anderen Leute, die sich in den Vereinen betätigen und zusammen feiern?“ Das Kamera-Team hat den Billard-Club und die Chorprobe gefilmt. Davon sieht man nur ein paar Sekunden zu Beginn des Berichts mit der Aussage: „Die Menschen pflegen ihre Gemeinschaft und hängen alten Zeiten nach, aber sie haben sich auch vieles bewahrt.“
Auch die Geschichte der Eisenbahnsiedlung wird in ein paar Sätzen zusammengefasst. Der Zuschauer erfährt lediglich, dass die Eisenbahnsiedlung 1915 entstanden ist und für Arbeiter der Bahn gebaut wurde. Man sieht Aufnahmen von Karnevalsfesten und Menschen. Diese Bilder werden mit den heute relativ leeren Straßen kontrastiert.
Die Siedler waren Kollegen
Heimathistoriker und Eisenbahnsiedler Wolfgang Faber reicht das nicht: „Ich hatte gehofft, dass der Wandel unser Siedlung ein großes Thema ist. 1986 wurde der Bahnhof geschlossen. Vorher haben die Siedler für die Reichsbahn gearbeitet. Die meisten hier waren Kollegen und kannten sich untereinander“, betont der 65-Jährige, dessen Vater von Beruf Zugführer war.
Von dieser Kameradschaft ist in der „Dokumentation“ nichts zu sehen. Die Eisenbahnsiedler im Johannes-Büttner-Haus schütteln nur den Kopf, als Hartz-IV-Empfängerin Marina sich darüber aufregt, dass sie sich um Jobs bewerben soll, da ihr sonst Sanktionen drohen.
„Die Eisenbahnsiedlung hat sich negativ entwickelt. Früher war hier viel los. Wir hatten viele Geschäfte und die Leute kamen von weit her, um sich die Siedlung anzuschauen“, erinnert sich Resi van Briel.
Heute gibt es nur noch einen Kiosk: „Zum Siedlertreff“. Auch der ist Thema in dem Bericht. Der 28-jährige Julian betreibt die Bude. Eigentlich wäre er gerne Lehrer geworden, aber als Kioskbesitzer ist er sein eigener Chef. Er nimmt das Leben in der Eisenbahnsiedlung mit Humor. Im Gegensatz dazu stehen die Protagonisten, Hartz-IV-Empfänger oder wie RTL II sie nennt: „Menschen auf dem sozialen Abstellgleis“. Sie meckern über ihr Leben und über das Jobcenter.
Absolut enttäuscht
„Ich bin absolut enttäuscht von dem Ergebnis. Jetzt kommt doch keiner mehr zu uns in die Siedlung“, klagt Uwe Leibner, dessen Sorgen bestätigt wurden. Die Zuschauer im Johannes-Büttner-Haus haben Hoffnung, dass ihre Gemeinschaft im zweiten Teil thematisiert wird, aber so richtig daran glauben, tun sie nicht. „Nach dem was da gezeigt wurde, guckt sich die Fortsetzung sowieso keiner mehr an“, meint Eisenbahnsiedlerin Angelika van Bebber.