Duisburg. . Wie steht die Bevölkerung heute zu der Kohlenmonoxid-Leitung in ihrer Nachbarschaft? Ein Spaziergang durch Ungelsheim und die Huckinger Angerbogen-Siedlung.

Die Verkäuferin in einem der wenigen Geschäfte in Ungelsheim weiß Bescheid: „Mein Sohn arbeitet bei Bayer“, sagt sie. „Ich vertraue ihm, wenn er sagt, mit der Leitung kann nichts passieren.“ Gleichwohl hat sie Verständnis für die Ängste, hält sich mit ihrer Meinung aber zurück. Eine junge Frau lädt Getränkekästen aus ihrem Auto. Sie ist erst vor wenigen Wochen zugezogen. Von der CO-Pipeline hat sie noch nie gehört. Dabei wohnt sie fast daneben.

Ganz heftig tobte er vor etwa vier Jahren, der Kampf gegen die 67 Kilometer lange Kohlenmonoxid-Leitung zwischen den Bayer-Werken Dormagen und Uerdingen. Woche für Woche fanden rund 100 Bürger zu den Versammlungen der Pipeline-Gegner, war das umstrittene Projekt fast täglich Thema in dieser Zeitung. Jetzt ist es ruhig geworden.

Ab 22. August nun liegen die Pläne für die längst fertiggestellte Leitung erneut öffentlich aus, sollen Änderungen nachträglich genehmigt werden. Anlass genug für uns, in Ungelsheim und der Angerbogen-Siedlung in Huckingen nachzuhören. Wie wird dort heute über das Projekt gedacht?

Ungelsheim ist bekannt für seine alte Bevölkerung. Viele Alte aber wollen sich gegenüber uns dazu nicht äußern. „Wenn da mal etwas mit passiert, ich erlebe das nicht mehr“, sagt eine Frau, die am Rollator geht. Klaus Lützeler (74), der im Cabrio vor dem verwaisten Edeka-Markt döst, ist dagegen bereit, mit Namen und Foto zu seiner Meinung zu stehen: „Warum muss das Gas überhaupt transportiert werden?“, fragt er. „Wir ver­recken doch, wenn das Ding undicht wird.“ Was nebenan, im Neubaugebiet Angerbogen, gemacht wurde, bringt ihn auf die Palme: „Die bauen da eine ganze Siedlung, ohne dass die Leute das wussten. Die kriegen doch die Häuser nicht mehr verkauft.“

Warum sind zwei linksrheinische werke rechtsrheinisch verbunden

Junge Mütter sind in Ungelsheim selten. Anita Seeliger (27) wohnt auch noch nicht lange im Ort. Sie begegnet uns mit Säugling Tim (14 Monate), der uns mit seinen stahlblauen Augen anblickt. Seine Mutter ist im Bilde: „Grundsätzlich“, sagt sie, „finde ich es nicht gut, wenn sich die Bürger gegen alles wehren, was dem Industriestandort Deutschland dienen soll.“ „Aber“, gibt sie weiter zu bedenken, „man muss ja auch seine Interessen schützen, die Gesundheit.“ Und da frage sie sich doch, wieso zwei Werke auf der linken Rheinseite ausgerechnet rechtsheinisch und über Duisburg miteinander verbunden wurden.

Wir fahren in die Angerbogen-Siedlung, wo sich ein prächtiges Einfamilienhaus an das andere reiht. Nur hält sich kaum jemand vor den Häusern auf. Einen Hausherrn treffen wir. Er gibt sich als Befürworter zu erkennen: „Damit wird viel Geld verdient“, sagt er, will aber anonym bleiben. Iris Schlüter (40) ist da anders. „Als wir 2004 unser Baugrundstück gekauft haben“, erzählt sie, „war von dieser Leitung keine Rede. Wir fühlen uns verarscht.“ Sie könne sich nicht vorstellen, dass Vodafone und Stadt, die die Grundstücke verkauft haben, auch nichts gewusst hätten. „Sie hätten die damaligen Grundstückspreise nicht erzielen können“, vermutet sie. „Ich hoffe, dass das Ding nie in Betrieb geht.“

Ein paar Meter weiter begegnen wir Fabian Bremer (36) mit Frau und Kind. Auch sie haben hier ihre Bleibe gefunden. Der Familienvater bezieht Position: „Das Technik-Risiko ist, glaube ich, beherrschbar.“ Jedenfalls sei ihnen eine solche Leitung lieber als Flug- oder Autobahnlärm. Aber: „Was mich irritiert“, fährt er fort, „ist die gewählte Streckenführung, die ganz offensichtlich auf politische Willkür schließen lässt.“ Wirtschaftlich sei sie nicht zu erklären. „Wir hoffen, dass sie nicht in Betrieb gehen wird – oder erst nach Beseitigung aller heute bekannten Mängel.“

Die zehn wichtigsten Argumente der Pipeline-Gegner 
  1. Das Enteignungsgesetz, das den Bau der CO-Pipeline erst möglich machte, ging davon aus, dass in Dormagen ein CO-Überschuss besteht, der sonst abgefackelt werden müsste. Tatsächlich herrscht dort zurzeit CO-Mangel, wird dort die vierfache Menge benötigt.
  2. Das Gesetz ging davon aus, dass die CO-Pipeline Kernstück eines Leitungsverbundes sein würde, der von Wesseling südlich Köln bis zu Scholven-Chemie in Gelsenkirchen reichen sollte. Das wird heute von Bayer angeblich nicht mehr geplant.
  3. Um den Eingriff in die Natur so gering wie möglich zu halten, sollte ursprünglich eine optimale Trasse für ein Bündel von fünf Leitungen bestimmt werden. Auf der südlichen Hälfte wurde aber nur die CO-Pipeline gebaut, im nördlichen Bereich zusätzlich die Erdgas-Leitung von Wingas.
  4. Es wird mit nachgeschalteten 100.000 Arbeitsplätzen in der kunststoffverarbeitenden Industrie argumentiert. Die Beschäftigten dort aber interessiert nur, dass Bayer über CO zur Produktion von Polycarbonat/Polyurethan verfügt, nicht aber, auf welche Weise.
  5. Es wird mit der Verletzlichkeit der CO-Produktion in Uerdingen argumentiert. Seit 50 Jahren wird dort CO durch Vergasung von Koks gewonnen. Ein einziges Mal hat es einen mehrmonatigen Ausfall durch einen Brand in der Steuerzentrale gegeben. In den letzten zehn Jahren hat es dort keinen CO-Mangel gegeben. Planmäßige Unterbrechungen durch Wartung der eigentlichen Produktionsanlagen wird es immer geben.
  6. Vorgeschrieben war eine reißfeste Kunststoffmatte von 80 Zentimeter Breite oberhalb des Rohres. Es wurde aber nur eine 60 Zentimeter breite Matte verlegt, die einem Baggergriff ebenso nicht standhält, wie die zusätzlich nachgerüstete 80 cm-Matte. Die Sicherheit wird dadurch aufgeweicht, dass ihr nur Warnfunktion zukommt.
  7. Stellenweise wurden Rohre mit minderer Stahlqualität und mit dünnerer Wandstärke verbaut. Anders als vorgeschrieben, wurden an Stellen mit besonderem Schutzbedürfnis nicht 6,3 mm Wandstärke verwendet, sondern nur 5,6 mm. Das soll jetzt legitimiert werden
  8. Die Trassenführung durch Ungelsheim und Huckingen verstößt gegen die Grundregel für Rohrleitungen, Wohngebiete möglichst zu meiden.
  9. Die Abweichungen von der genehmigten Trasse betragen angeblich nur wenige Meter. Unter der B 288 bei Ungelsheim sind es aber zehn Meter.
  10. Die Trasse gilt als kampfmittelfrei. Tatsächlich gibt es aber kein zuverlässiges Verfahren, unter einem bereits verlegten Rohr Blindgänger sicher auszuschließen.