Duisburg-Aldenrade. Bunte Würmchen aus Wolle erobern das Ruhrgebiet. Sie verstecken sich an Bäumen, Bänken, in Parkscheinautomaten. Welche süße Idee dahintersteckt.
Andrea Steinhüser hat sich mit einem Virus infiziert, und zwar einem äußerst hartnäckigen: dem Würmchen-Virus. Seit sechs Wochen häkelt die Walsumerin emsig kunterbunte Glückswürmchen, die sie irgendwo aufhängt. In Büschen, an Zeitungsständern oder Parkbänken.
Manchmal legt sie ein Würmchen aber auch in die Klappe eines Parkscheinautomaten. Wer ein Würmchen findet, darf es mitnehmen. „Ich möchte den Leuten ein Lächeln ins Gesicht zaubern“, bringt sie ihre Motivation auf den Punkt. „Bei all den schlimmen Nachrichten, die uns im Augenblick täglich erreichen, ist es ja nicht immer ganz leicht, positiv zu denken.“
Duisburgerin hinterlässt überall im Ruhrgebiet ihre Glückswürmchen
Andrea Steinhüser häkelt quasi immer und überall: vor dem Fernseher, beim Arzt im Wartezimmer, wenn sie mit einer Freundin ein Pläuschchen hält oder bei ihrem Freund zu Besuch ist. „Ich habe seinen ganzen Wohnzimmertisch mit meinen Utensilien belegt“, lacht die 47-Jährige.
Und da kommt einiges zusammen. Natürlich braucht sie vor allem ganz viel Wolle. Aber die Würmchen haben auch ein Köpfchen, gefertigt aus einer Holzkugel. „Anfangs habe ich die fertig gekauft. Aber die Gesichter sind sehr einfach und nicht schön. Deshalb male ich sie jetzt selbst.“ Mit den ersten Versuchen war Steinhüser nicht zufrieden, aber inzwischen gelingen ihr hübsche, fröhliche Gesichter, die einen anlachen – jedes ein Unikat.
Als i-Tüpfelchen bekommen die Würmchen am Ende noch eine hübsche Perle oder ein anderes Accessoire verpasst. Dann werden sie gemeinsam mit einem Glücksspruch in kleine Plastiktüten verpackt. „Zunächst habe ich Organza-Säckchen genommen, aber draußen können die Würmchen nass werden. Darum packe ich sie jetzt doch lieber in Plastiktütchen.“
Perlen und andere Utensilien kauft Andrea Steinhüser auf dem Trödelmarkt
Die Walsumerin ist großer Fan von Upcycling, möchte die Umwelt möglichst schonen. Deshalb ist sie froh, dass ihr Freund die Tüten noch in rauen Mengen im Schrank liegen hatte und nicht mehr benötigt. Was sie sonst noch braucht, zum Beispiel Perlen, kauft sie gerne auf dem Trödelmarkt.
Vor rund sechs Monaten sind Andrea Steinhüser die Würmchen zum ersten Mal bei Facebook über den Weg gelaufen – da nannte die Macherin sie „Sorgenwürmchen“. Die Idee, anderen damit eine Freude zu machen, hat ihr gefallen. „Allerdings liegt mir das Glück näher, deshalb nenne ich sie Glückswürmchen.“ An die 100 hat sie in den letzten Wochen schon produziert – und Routine entwickelt: „Inzwischen brauche ich fürs Häkeln nur noch 15 Minuten.“
Ihre Facebook-Gruppe hat nach einem Monat schon mehr als 125 Mitglieder
Andrea Steinhüser ist ein großer Ruhrgebietsfan. „Ich komme aus dem Oberbergischen, lebe seit 20 Jahren im Pott. Wenn ich eine Hymne für den Pott schreiben könnte, würde ich es machen“, sagt sie mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Da ihr in diesem Punkt die Fähigkeiten fehlen, hat sie ihre Glückswürmchen Ruhrpottwürmchen getauft. Diesen Namen trägt auch ihre Facebook-Gruppe: #RuhrpottWürmchen&Co. Vor gerade einmal einem Monat gegründet, hat diese jetzt schon mehr als 125 Mitglieder.
„Ich bin mit meinem Freund viel per Rad im Ruhrgebiet unterwegs. Überall, wo ich bin, hinterlasse ich ein paar Glückswürmchen“, berichtet die 47-Jährige. Anhand des beiliegenden Zettels erfahren die glücklichen Finder von ihrer Facebookgruppe. Einige posten, wie sehr sie sich darüber gefreut haben. Das wiederum freut Andrea Steinhüser.
Ihr Hobby zieht immer weitere Kreise: „Neulich hat meine Mutter acht Stück bei ihrem Zahnarzt verteilt und wollte wissen, was ich für ein Würmchen nehme.“ Auch bei Facebook wird sie gefragt, was so ein Würmchen kostet. Doch Geld zu nehmen, passt nicht zu ihrer Idee, anderen einfach eine Freude machen zu wollen. Also bittet sie neuerdings um Wollspenden, die auch schon bei ihr einlaufen.
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Als Katzenfan – Steinhüser teilt ihre Wohnung mit ihren beiden Samtpfoten Puma und Linus – hat sie noch ein zweites „Tauschmodell“ entwickelt: Würmchen gegen Katzenfutterspende. „Das Futter geht an Sabine Kräftig, die sich um Straßenkatzen kümmert.“ Ein Thema, das ihr am Herzen liegt. Auch hier ist schon einiges zusammengekommen.
In den ersten Wochen haben die Würmchen anonym einen neuen Besitzer gefunden. Oder aber die Walsumerin hat Menschen beschenkt, die sie kennt: Kollegen oder die Postbotin zum Beispiel. Neulich hat sie sich zum ersten Mal getraut, fremde Leute auf der Straße anzusprechen: „Darf ich Ihnen etwas schenken, ganz einfach so?“ Vor diesem Schritt hatte sie immer eine gewisse Scheu.
Völlig unnötig, wie schnell klar war. „Alle haben sich bisher gefreut und gelächelt. Man kann Menschen eben auch mit Kleinigkeiten eine Freude machen“, sagt Andrea Steinhüser. Sie selbst hat bisher noch kein Würmchen aus anderer Quelle gefunden: „Sollte sich das ändern, dann kommt es an meinen Rucksack.“