Duisburg-Marxloh. Ein Film über Duisburg-Marxloh zeigt verheerende Zustände im Stadtteil. Ist es dort wirklich so schlimm? Das sagen, alteingesessene Marxloher.
Marxloh hat ein schlechtes Image – und das befeuert ein Film von Spiegel TV, den sich schon fast zwei Millionen Menschen im Internet angesehen haben, weiter. Da ist von wilden Müllkippen und verwahrlosten Wohnungen die Rede, von sinkenden Immobilienpreisen und freien Wohnungen trotz Wohnungsnot. Es kommen Marxloher zu Wort, die es inzwischen unerträglich finden, in dem Stadtteil zu leben, aber keine Chance sehen, wegzuziehen. Viele von ihnen verknüpfen in ihren Statements die Situation mit einem unkontrollierten Zuzug von Menschen aus Südosteuropa.
Doch was sagen alteingesessene Marxloher und Marxloherinnen zu dieser Darstellung? Werden hier nur Klischees bedient oder befindet sich Marxloh tatsächlich in einer immer heftigeren Abwärtsspirale? Hier kommen vier Anwohner zu Wort.
Brennpunkt Duisburg-Marxloh – Rikarda Licht sagt: „Man kann hier bürgerlich leben“
„Vieles trifft zu, keine Frage, es ist aber nur eine Seite der Medaille“, sagt Rikarda Licht. Die pensionierte Lehrerin ist in Marxloh zur Schule gegangen, hat hier als Lehrerin gearbeitet und lebt seit vielen Jahren in dem Stadtteil. „In Marxloh kann man sich durchaus wohlfühlen und ein bürgerliches Leben führen“, sagt sie. Das Problem sei nicht die Migration, sondern das Knubbeln von einzelnen Nationalitäten. Besser wäre, es würde sich mehr mischen. „Aber ich bin damit aufgewachsen und alt geworden“, lautet ihr Fazit.
Sabine Wittschonnke: „Ich erwarte von einigen Zugezogenen etwas mehr Anpassung“
Sabine Wittschonnke ist vor 30 Jahren aus dem Duisburger Süden nach Marxloh gezogen. „Mein Vater hat mich damals gefragt, ob ich noch alle Tassen im Schrank habe, als ich mir meine Eigentumswohnung gekauft habe“, sagt sie lachend. Heute hat die 53-Jährige großen Spaß daran, wenn „die Leute immer so geschockt gucken, wenn ich erzähle, wo ich wohne. Das finde ich witzig – ich spiele gerne damit.“
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Sie selbst sei noch nie angepöbelt worden, allerdings sieht Wittschonnke die Probleme: „Ich erlebe das direkt im Nachbarhaus. Seit da Rumänen und Bulgaren wohnen, ist es da laut und sie räumen ihren Müll nicht weg. Früher haben in dem Haus türkischstämmige Mitbürger gelebt. Das war ein riesiger Unterschied.“ Eine Nachbarin habe das nicht mehr ausgehalten: „Sie hat ihre Wohnung verkauft und ist weggezogen.“
Viele der Hauseigentümer gehörten der türkischen Community an. „Mich stört, dass sie die Wohnungen an Bulgaren und Rumänen vermieten und sich dann hinterher aufregen.“ Sie selbst ärgere sich auch über den Müll überall und den hohen Geräuschpegel. „Aber wir werden damit leben müssen. Allerdings erwarte ich von einigen Zugezogenen etwas mehr Anpassung.“
Rainer Enzweiler: „Wenn es nicht sauber ist, kann man nichts gewinnen“
Das Müllproblem beschäftigt auch Rechtsanwalt Rainer Enzweiler. „Ich hatte neulich eine Diskussion mit meiner Putzhilfe, die den Müll nicht mehr wegräumen wollte“, sagt er. Der Jurist hat seit 1975 eine Kanzlei an der Weseler Straße. „Ich bin der Meinung, wenn es nicht sauber ist, kann man nichts gewinnen.“
Und er ergänzt: „Inzwischen leben viele Menschen aus anderen Kulturen in Marxloh, für die Sauberkeit nicht so wichtig ist.“ Der Film habe die extremsten Ecken gezeigt. „Leider treffen die Schilderungen für viele Bereiche zu. Auf der Weseler Straße geht es ja noch. Aber schon in den Seitenstraßen, zum Beispiel der Ottostraße, häuft sich der Müll.“
Zum Werteverfall der Immobilien bemerkt der Jurist und langjährige CDU-Ratsherr: „Warum sind die Mieten in Marxloh so billig? Weil es viele Menschen gibt, die vom Bürgergeld leben. Und warum zieht der Stadtteil so viele Bürgergeld-Empfänger an? Weil die Mieten so billig sind.“ Ein Teufelskreis, der Marxloh nicht guttue.
Selgün Çalisir: „Die Hausbesitzer in Marxloh müssen umdenken“
Als Chef des Marxloher Werberings sind die Zustände in Marxloh auch Selgün Çalisir ein Dorn im Auge. Vieles, was der Film thematisiere, sei wahr, zum Beispiel das wachsende Müllproblem. „Wenn man die wilden Müllkippen der Stadt meldet, werden die schnell beseitigt. Das ist aber ein mühsames Unterfangen, denn die Stelle entwickelt sich dann schnell zu einem Müllabladeplatz.“
Die Behauptung des Films, die Immobilienpreise würden sinken, teilt er nicht. „In vielen Ecken Marxlohs, etwa rund um die Brautmodenmeile, steigen sie sogar“, sagt Çalisir, der seit 1992 ein Lohnsteuerbüro in Marxloh betreibt.
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„Wie sich Marxloh entwickeln wird, steht und fällt auch mit den Hauseigentümern“, so der Kaufmann. „Sie müssen ihre Mieter zur Rechenschaft ziehen, wenn sie den Müll etwa aus dem Fenster werfen und Hinterhöfe und Straßen vermüllen.“ Man ernte dabei oft nur ein Schulterzucken, weiß er aus eigener Erfahrung. Aber wegzugucken mache alles nur schlimmer.
Dabei nimmt der 54-Jährige auch die türkische Community in die Pflicht: „Viel türkische Hausbesitzer vermieten an Menschen aus Südosteuropa. Immer mehr stellen aber fest, dass die Mieteinnahmen und entstandenen Schäden in den Wohnungen und Treppenhäusern in keiner Relation stehen.“ Es müsse ein grundsätzliches Umdenken stattfinden, damit die Situation in Marxloh endlich in geregelte Bahnen komme.
>> Film beschäftigt sich auch mit dem Erlinghagenplatz in Friemersheim
- In dem Film „Brennpunkt Duisburg-Marxloh: Bloß weg hier“ von Spiegel TV geht aus auch um den Erlinghagenplatz im Stadtteil Friemersheim, wo es seit Jahren einen starken Zuzug von Menschen aus Südosteuropa gibt.
- Zu sehen ist der Film auf Youtube. Es ist schon der Zweite von Spiegel TV, der sich mit Marxloh beschäftigt. Zuletzt hatte die sich die Fernsehsendung vor sieben Jahren im Duisburger Norden für einen TV-Beitrag umgesehen.