Duisburg. Schon bei 1000 Euro Schulden sollen Betroffene zur Insolvenzberatung, rät ein Awo-Experte. Und verspricht: „Dann können wir sofort viele retten.“

Die Armut in Duisburg wächst, insbesondere im Stadtnorden. Das spüren auch die Schuldnerberaterinnen und Schuldnerberater der Arbeiterwohlfahrt. Immer mehr Betroffene kommen nach Röttgersbach zur Beratungsstelle der Awo-Integration. Demnach gibt es allein in diesem Jahr bisher 800 Klientinnen und Klienten. Die zahlreichen rein telefonischen Hilfsgesuche sind darin gar nicht enthalten, denn über Telefonberatungen führt die Awo keine Statistik.

Schuldner- und Insolvenzberater Bülent Adigüzel und sein Team an der Kopernikusstraße erwarten jetzt im Dezember einen neuen Ansturm. „Die Weihnachtszeit und das Jahresende sind immer stark nachgefragt“, weiß Adigüzel. Neu ist jedoch, „dass viele Schuldner aus der Mittelschicht sind“. Darunter Lehrer, Ingenieure oder Volljuristen.

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Mehr als 65.000 Menschen in Duisburg gelten laut dem aktuellen Schuldneratlas Ruhrgebiet als überschuldet. Die Quote von knapp 16 Prozent ist zwar kleiner als in den Vorjahren, so Bülent Adigüzel, aber immer noch „extrem hoch“. Denn die Dunkelziffer ist groß. „Der tatsächliche Bedarf an Insolvenzen ist viel höher, als sie gestellt werden“, betont der 48-jährige Experte. Zumal Betroffene meist deutlich zu spät Hilfe suchen. Sie leihen sich zunächst von Freunden und Verwandten Geld, bevor sie sich eingestehen, dass sie von ihren Raten erdrückt werden und professionelle Unterstützung brauchen.

Nicht selten warten Duisburger, bis ihr Konto mit 20.000 Euro oder mehr in den Miesen ist oder der Gerichtsvollzieher anklopft, bevor sie die Awo-Integration an der Kopernikusstraße oder eine andere Beratungsstelle aufsuchen. „Oft ist das Kind dann schon in den Brunnen gefallen“, so Adigüzel. Deshalb rät er Betroffenen, einen Termin zu machen, sobald sie merken, dass die nächsten Raten schwierig werden. Auch schon, wenn es lediglich um tausend Euro geht. „Dann könnten wir viele sofort retten.“

Überwiegender Großteil gerät in Duisburg ohne eigenes Verschulden in Geldprobleme

Der überwiegende Großteil der Betroffenen gerät ohne eigenes Verschulden in finanzielle Schwierigkeiten. „Der Hauptgrund ist der Verlust der Arbeit“, erläutert Bülent Adigüzel. Wenn in einer Familie, in der beide Eltern arbeiten, ein Elternteil plötzlich seinen Job verliert oder arbeitsunfähig wird, dann wird es finanziell sehr schnell ernst. Ebenso, wenn eine Seniorin zur Witwe wird. Mit einem deutlich geringeren Einkommen ist schnell die Lebensgrundlage bedroht. Je nach Einkommen geht es dann darum, das Eigenheim oder die Mietwohnung zu retten oder dafür zu sorgen, dass die Kinder nicht hungern.

Daher ist die Existenzsicherung der Klienten für die Berater immer der erste Ansatz. Bei Mietschulden, Strom- und Heizungsschulden sowie Strafen und Bußgeldern müssen sie schnell handeln und mit Banken oder anderen Gläubigern sprechen. Dagegen verhalten sich viele Schuldner anders, sie bedienen in der Regel zuerst denjenigen, der am meisten Druck macht. Wenn also ein Versandhandel ein hartnäckiges Inkasso-Unternehmen beauftragt, bekommt es eher das Geld als der Vermieter oder die Energieversorger.

Da unterstützt die Awo nicht nur mit ihrer Expertise, für ihre Klienten habe sie durchaus bereits „sehr gute Vergleiche“ erreicht. Aber mit Erfolgen in Fernsehsendungen wie Peter Zwegats „Raus aus den Schulden“ haben diese Übereinkünfte nichts zu tun. „Wer 100.000 Euro Schulden hat, kommt nicht mit nur 3000 Euro aus einer Verhandlung heraus“, betont der Awo-Schuldnerberater.

Geldschulden und Insolvenz sind mit großer Scham und mit Ängsten verbunden

Bei den Beratungsterminen geht es jedoch längst nicht nur ums Finanzielle. Hohe Geldschulden oder eine Insolvenz sind für viele Menschen mit „einem großen Schamgefühl und mit Ängsten verbunden“, insbesondere für die ältere Generation. Deshalb bietet die Beratungsstelle auch immer psychosoziale Beratung an und ist bemüht, die Ursachen für die Verschuldung zu bekämpfen. Und Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten.

Manchmal sind Ratschläge simpel, etwa mit einem Haushaltsplan seinen Einnahmen und Ausgaben zu kennen. Doch Adigüzel betont, dass es selten falsches Kaufverhalten ist, das die Menschen zu ihm und seinem Team führt.

Großer Ansturm wegen der Energiekrise kommt erst noch

Der größte Ansturm kommt jedoch erst noch. „Wir merken die Energiekrise noch nicht“, betont Bülent Adigüzel. Erst nächstes Jahr wird der „Andrang sehr, sehr, sehr extrem“ – wegen Energieschulden und gleichzeitig hoher Abschläge. Gerade der Duisburger Norden, wo besonders viele Geringverdiener und viele arme Menschen leben, bekommt dann die explodierenden Energiekosten und steigenden Lebenshaltungskosten zu spüren.

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Deshalb fordert die Awo ein Moratorium für Energiesperren und einen Erlass von Energieschulden. Adigüzel hat dazu bereits die Landesregierung beraten. „Mit Jobcenter-Bezügen“, weiß er, „sind Tilgungsraten an die Stadtwerke bei der aktuell hohen Inflation nicht bezahlbar.“

Die Situation wird also 2023 noch schlimmer. Schuldnerberater Bülent Adigüzel sieht langfristig nur eine einzige Lösung: „Duisburg braucht ganz dringend mehr Arbeitsplätze – für alle Schichten.“

>> Ratschläge gegen das Schuldenmachen

● Der Hauptgrund für eine Verschuldung und für Insolvenz ist in Duisburg der Arbeitsplatzverlust. Dennoch rät Schuldnerberater Bülent Adigüzel immer zu einem Haushaltsplan. Außerdem ist Vorsicht geboten bei Ratenverträgen und man solle sich von Werbeaktionen wie dem Black Friday nicht blenden lassen.

● Schuldnerberatung wird finanziell von der Stadt Duisburg gefördert, Insolvenzberatung vom Land NRW. Betroffene berät die Awo nicht nur an der Kopernikusstraße 110 in Röttgersbach, sondern auch einmal pro Monat in Laar, Meiderich und Hochfeld. Infos unter 0203 595674.

● Weitere Beratungsstellen unterhalten etwa die Stadt, die Diakonie und die Caritas.