Duisburg-Marxloh. Duisburg-Marxloh ist durch die Wohnungspolitik der Nachkriegszeit geprägt, sagt ein Historiker. Wo die Bundesregierung Fehler gemacht hat.
Wie ist Marxloh zu dem Duisburger Stadtteil geworden, der er heute ist? Eine schwierige Frage, die Historiker Kevin Weintritt am Donnerstagabend im Stadtarchiv zumindest teilweise beantworten kann: Mithilfe eines Blicks auf die Wohnungspolitik der Nachkriegszeit bis in die 70er Jahre. Tatsachen, vor denen die Bundesregierung ihre Augen verschloss, und die fatale Liberalisierung des Wohnungsmarkts legten demnach den Grundstein für soziale Probleme, die den Stadtteil auch heute noch bundesweit ins schlechte Licht rücken
Duisburg: Die Wohnungspolitik und das Anwerbeabkommen prägten Marxloh
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Insgesamt, sagt Kevin Weintritt, müsse die Wohnungspolitik der Nachkriegszeit auch auf Bundesebene betrachtet werden, nicht bloß kommunal. „Von immenser Bedeutung sind die Anwerbeverträge von Arbeitern aus Italien, Spanien, Jugoslawien und der Türkei.“ Die Eisen-, Kohle- und Stahlindustrie wuchs enorm und brauchte mehr Arbeitskräfte.
Wichtig, erklärt Kevin Weintritt, wurde dann die Frage des Familiennachzugs. „Eigentlich wurde der Familiennachzug nur nach einem Nachweis ausreichenden Wohnraums genehmigt“, weiß der Master-Student. Die Bundesrepublik baute aber keine familiengerechten Wohnungen, die (Falsch-)Annahme war, dass die Arbeiter nach einem bis vier Jahren in Wohnheimen wieder zurück in die Heimat ziehen würden. Zeitweise, erklärt Weintritt, sah die Regierung den Mangel an Familienwohnungen sogar als Steuerinstrument für den Zuzug – wer keine entsprechende Wohnung hat, darf die Familie auch nicht nachholen.
Gastarbeiter wurden Opfer der neuen Freiheiten des privaten Wohnungsmarkts
Die meisten Gastarbeiter hielten es aber gerade mal ein Jahr in den beengten Unterkünften aus, dann entschieden sie sich dazu, stattdessen auf dem privaten Wohnungsmarkt eine Bleibe zu suchen. Fatal war dann die „Liberalisierung des Wohnungsmarkts“, wie Weintritt es nennt. So wurde zum Beispiel der Mietpreisschutz aufgehoben, was aber nicht dazu führte, dass der private Wohnungssektor boomte, sondern das viele Vermieter Immobilien in fragwürdigem Zustand auf den Markt brachten.
Fragwürdige Immobilien wie in Marxloh, wo viele Altbauten standen und stehen, und nach dem Krieg viel Wohnraum in schlechtem Zustand war. Die Bundesregierung aber verschloss weiter die Augen vor dem Bedarf an familiengerechten Wohnungen. Kevin Weintritt zitiert aus dieser Zeit: „Ausländer stellen keine Ansprüche an den Wohnkomfort, sie wollen nur niedrige Mieten.“ Dass der Wohnungsbau der teuerste Teil der Anwerbeverträge war, hatte da auch schon die Bundesregierung bemerkt.
Mietschwache Gruppe der Ledigen war in Duisburg übermäßig stark vertreten
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Die Konsequenz der Versäumnisse der Bundesregierung: Bald wohnten zwei Drittel der ausländischen Arbeiter in privaten Wohnungen, die vielen Wohnheime, die Bund und Kommunen statt familiengerechter Wohnungen gebaut hatten, standen leer.
Dass so viele ausländische Arbeitskräfte in die „fragwürdigen“ Immobilien in Marxloh zogen, lag auch daran, dass in Duisburg übermäßig viele ledige Arbeitskräfte vertreten waren, die wenig Geld zur Verfügung hatten, weil sie zum Beispiel einen Teil ihres Gehaltes in die Heimat schickten. Kevin Weintritt verdeutlicht Duisburgs besondere Situation mit Zahlen: „Bundesweit machte die Gruppe der Ledigen 28 Prozent der ausländischen Arbeiter aus, in Duisburg waren es 76 Prozent.“
Wohnungspolitik wurde erst nach dem Ende der Anwerbeverträge angepasst
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Trotz der offensichtlichen Tatsache, dass viele so genannte Gastarbeiter in Deutschland blieben, sah sich die Bundesrepublik weiterhin nicht als Einwanderungsland. Folglich passte die Regierung ihre Wohnungspolitik auch zu spät an, nämlich erst nach dem Auslaufen der Anwerbeverträge. Die mietschwachen Arbeiter wurden durch die äußeren Bedingungen in einen bestimmten Teil des Wohnungsmarkts gezwungen, so bildeten sich ganze Straßenzüge, die fast ausschließlich von ausländischen Arbeitern bewohnt wurden.
All diese Faktoren prägen das Stadtteilbild in Marxloh auch heute noch. Das Publikum im vollen Vortragsraum des Stadtarchivs ist begeistert ob der klaren Aufschlüsselung der Marxloher Stadtgeschichte. Viele Nachfragen prasseln auf Kevin Weinkauf ein, unter anderem lernen die Besucher so, dass auch alleinstehende Frauen als Gastarbeiter nach Duisburgkamen – für einige Zuhörer eine ganz neue Information im komplizierten Themenfeld.