Duisburg. Claus Krönke, Vize-Bezirksbürgermeister von Hamborn, führt öfter Gruppen durch Marxloh. Seine Botschaft: Es ist eben ganz anders als sein Ruf.

Es wird wieder länger dauern. Bestimmt eine Stunde länger. Gegen 18 Uhr hatte Claus Krönke seine Führung durch Duisburg-Marxloh beenden wollen, jetzt geht es entschieden auf 19 Uhr. Noch eine letzte Geschichte, noch eine allerletzte, und, im Vorbeigehen: wie Bundespräsident Steinmeier einmal in der Henriettenstraße ein künstlerisch gestaltetes Blumenbeet rettete. Es ist immer noch da. Marxloh, sagt Krönke, ist anders als sein Ruf.

Krönke, muss man wissen, ist der stellvertretende Bezirksbürgermeister. Ein Mann aus Marxloh, lange in Berlin gewesen, in der Bank gearbeitet, zurückgekehrt. Wohnt mitten in der Hagedornstraße, in dem Viertel, das man immer im Fernsehen sieht, wenn Krawall gewesen ist. Mehrmals im Jahr bietet der 52-jährige SPD-Mann Führungen durch den Duisburger Stadtteil an, der in den Medien gern dargestellt wird als das Herz der Finsternis.

„Bei der Führung geht ja einer mit, da wird schon nichts passieren“

Müll gehört zu den größten Problemen von Marxloh. Müll zeigt Armut an.
Müll gehört zu den größten Problemen von Marxloh. Müll zeigt Armut an. © FUNKE Foto Services | Christoph Wojtyczka

Kommt bei Krönke auch alles vor: Drogen. Schrottimmobilien. Müll. „Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass Müll mit Armut zusammenhängt. Aber alles redet nur über den Müll und nicht über die prekären Lebensverhältnisse in den Wohnungen.“ Er nennt Marxloh einen „Ankunftsstadtteil“, wie es ihn überall auf der Welt gibt. Erzählt von Zuwanderern, die nichts haben und dann natürlich dorthin kommen, wo die Mieten niedrigst sind. „Wer sich hochgearbeitet hat, zieht in einen anderen Stadtteil.“

An einer großen Kreuzung warten schon seine Gäste. Etwa zwanzig werden es heute, wie immer: überwiegend Duisburger aus anderen Stadtteilen. „Viele sagen sich: Ich möchte das mal sehen, bei der Führung geht ja einer mit, da wird schon nichts passieren“, hat Krönke vorher gesagt.

„Nirgendwo in Duisburg ist soviel Gold gelagert wie in Marxloh“

Ein Paar, misstrauisch. Ein Mann, der sich abgelehnt fühlt von rein türkischen Auslagen in Geschäften. Eine Frau, neu in der Stadt, aber schon gewarnt worden vor Marxloh. Krönke greift das Klischee vor der Gruppe sofort auf: „Sie können hinterher sowieso nichts erzählen. Wir verlieren immer so drei Leute. Da gibt’s so’n Keller.“ Das glauben sie dann doch nicht, lachen vorsichtig. Ein Mann geht vorbei mit einem riesigen Teddybären im Arm. Krönke: „Alles Drogen drin.“

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Es geht zum türkischen Juwelier, einem von 16 oder 17 auf der Hauptgeschäftsstraße. „Nirgendwo in Duisburg ist soviel Gold gelagert wie in Marxloh.“ Selgün Calisir erzählt, warum es keine Preisschilder gibt. Weil es funktioniert wie in der Türkei: Das Gold wird gewogen, der tagesaktuelle Wert gezahlt und über die Arbeitskosten diskutiert. Wenige Meter weiter: die Biertrinkerszene. Harmlos, doch der Anblick stört viele. Krönke erzählt, der Leiter eines nahen Supermarkts habe sich über die Leute beschwert. Und ihnen das Bier verkauft.

Der Werbering will weg von rein türkischen Auslagen und Schildern

Zwischenstopp in einem türkischen Supermarkt.
Zwischenstopp in einem türkischen Supermarkt. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Dann ein anderer, großer, türkischer Supermarkt. Der Inhaber wartet schon stolz vor der Tür. Krönke: „Wir gehen dann mal bei dir klauen.“ – „Bin ich gewohnt.“ Drinnen zeigt sich, dass der neue Kurs des Werberings Marxloh hier schon zieht: Alle Lebensmittel sind nicht mehr nur auf Türkisch bezeichnet, sondern auch auf Deutsch. Die Chefin hinter der Fleischtheke redet über Integration und verteilt türkischen Schinken. Der indische Kaufmann zwei Straßen weiter ärgert sich über Straßenreinigungsgebühren. Sie würden falsch berechnet. Zwei seiner Kinder studieren Jura. Passt. Wieder draußen, fällt auf, dass am Geschäft „La Fée“ nicht mehr „Gelinlik“ steht, sondern „Brautmoden“. Man sieht nur, was man weiß.

Von der Geschäftsstraße geht es in die No-Go-Area. Viele Männer stehen auf der Straße. „Gypsy Street“ sagen die Einheimischen. Wo man angeblich mit seinem Leben spielt. Den 30 Kindern auf dem teuer sanierten Spielplatz hat das offenbar niemand gesagt. Sie spielen, klettern, rennen, auch auf die Rolfstraße. Es nähert sich Romeo, ein stämmiger Mann vom Balkan, inoffizieller Halb-Hausmeister eines Hauses hier. Er kennt den Bezirksbürgermeister, bedrängt ihn: dass die Stadt hier wegen des Verkehrs Warnschilder aufhängt, auf denen „Kinder“ steht.

Navi leitet die Autos durch die Fußgängerzone

Krönke liebt es, selbst nachzusehen, was Sache ist. Immer. „Politik ist so mit Themen überfrachtet, dass sie sich oft nach Drucksachen eine eigene Meinung bildet statt nach dem Bild vor Ort.“ Wie sich später zeigen wird, fahren auch nicht so viele Autos durch die Fußgängerzone, weil in Marxloh Verkehrsregeln nicht zählen. Sondern weil das Navi sie so leitet.

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Drei Stunden, viele Einsichten, drei türkische Autokorsos und eine dröhnende bulgarische Hinterhof-Hochzeit weiter. Es ist dunkel geworden, Menschen, die vorbeikommen, sind nur noch Schemen und Gestalten. „War spannend“, sagen Krönkes Gäste. Manche gehen noch zusammen essen im Restaurant „KBAB“. In Marxloh. Einfach so.