Duisburg. Frauen mit Behinderung sind oft von körperlicher und sexueller Gewalt betroffen. Ein spezieller Selbstverteidigungskurs soll ihnen helfen

Wer mit beiden Beinen fest auf dem Boden steht, den kann so schnell nichts erschüttern. Das gilt auch für die Selbstverteidigung. Ein Bein leicht nach vorne gestellt, den Körper anspannen, schon steht man sicher und stabil. Und wenn jemand trotzdem zu nahe kommt? Die Frauen im Heilpädagogischen Zentrum am Könzgenplatz in Duisburg wissen genau, was sie dann tun müssen: mit den Händen abwehren und so laut wie möglich „Stopp!“ rufen.


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Das klappt gut an diesem Morgen. Die Frauen, die sich im LVR-Heilpädagogischen Zentrum (HPR) getroffen haben, sind keine Anfängerinnen. Seit Anfang des Jahres nehmen sie an einem besonderen Angebot teil: „Stark wie die Frau“ ist ein Selbstbehauptungs- und Selbstverteidigungskurs für Frauen mit Behinderung.

Frauen sprechen über unangenehme Erlebnisse

Aus Studien geht hervor, dass Frauen mit Behinderung im Vergleich zu Geschlechtsgenossinnen ohne Behinderung doppelt bis dreimal so oft von psychischer, körperlicher und sexueller Gewalt betroffen sind, erklärt Walburga Lindemann. Deshalb bekam die Leiterin der Heilpädagogischen Zentren am Könzgenplatz und in Rheinhausen vor sechs Jahren den Auftrag, ein solches Angebot zu schaffen. Gesagt, getan – so leicht war es nicht. „Irgendetwas fehlte immer, irgendetwas klappte nicht“, erzählt Lindemann.


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Doch im Laufe der Jahre, in denen sie das Thema nicht aus den Augen verlor, baute sie ein großes Netzwerk auf. Schließlich hatte sie Erfolg: „Wir stießen auf eine Frau aus dem Großraum Köln“, sagt Lindemann. „Das Thema ihrer Diplomarbeit war ein Konzept für Selbstverteidigungs- und Selbstbehauptungskurse für Frauen mit Behinderung.“ Die Autorin bot eine Multiplikatorenschulung an, das LVR-HPH-Netz Niederrhein um Walburga Lindemann griff zu, „und so wurden aus verschiedenen Regionen Mitarbeiterinnen entsprechend geschult“.

Elf Frauen meldeten sich für den ersten Kurs in Duisburg an, wovon drei durchgehend teilnahmen. Beim zweiten und dritten Kurs waren es schon acht, darunter auch Teilnehmerinnen des Kooperationspartners Verein für körper- und mehrfachbehinderte Menschen Alsbachtal. Die Themenpalette ist weit gefächert: Es geht unter anderem um Nähe und Distanz, um Haltung, darum, Nein sagen zu können.

Selbstvertrauen stärken und lernen, „Nein“ zu sagen

Im laufenden Kurs stehen zudem Schlag- und Stoßtechniken auf dem Programm. „Die Frauen sind an diesen Themen stark interessiert und machen prima mit“, ist Lindemanns Erfahrung nach einem halben Jahr. Und: „Sehr schnell wird über eigene Erlebnisse gesprochen, über Situationen, in denen sie sich unwohl gefühlt haben, bis hin zu Missbrauchserfahrungen.“ Nicht alles könne im Kurs besprochen werden, aber in jedem LVR-HPH-Wohnverbund gebe es eine Ansprechpartnerin, an die sich die Frauen jederzeit wenden könnten.


Nein sagen zu lernen ist ein wichtiger Bestandteil des Kurses. Ebenso Übungen, die das Selbstbewusstsein stärken. Eine davon geht so: Nacheinander sollen die Frauen etwas nennen, das sie gut können. „Das ist nicht einfach“, weiß Sandra Huß, die mit Walburga Lindemann und Manuela Ziermann die einzelnen Kurstage betreut. „Aber es hört sich gut an, wenn die anderen im weiteren Verlauf der Übung die Fähigkeiten der Vorrednerinnen wiederholen.“

Der dritte Kurs ist gerade angelaufen, und die meisten Frauen sind dabei geblieben. Sie hätten bislang sehr viel gelernt, sind sie sich einig. Nicht nur für kritische Situationen, sondern auch für den ganz normalen Alltag. „Ich sage jetzt, wenn mir etwas nicht passt“, sagt eine Teilnehmerin selbstbewusst. Zum Beispiel dann, wenn jemand versuche, sie unterzubuttern und ihr das Wort abzuschneiden. „Dann sage ich: ‘Jetzt bin ich dran mit Reden!’“