Duisburg. Nick (7) aus Duisburg verbrachte drei Jahre nur in Kliniken. Ärzte hatten ihn schon aufgegeben, doch die Familie pochte auf eine Zweitmeinung.

Das noch so junge Leben von Nick war dem Ende nah. Durch eine tückische Krankheit verbringt der siebenjährige Duisburger seine frühe Kindheit in Krankenhäusern. Die meiste Zeit isoliert, durften seine Eltern nur vermummt zu ihm. Ärzte hatten das Kind bereits aufgegeben, doch seine Familie klammerte sich an den letzten verbliebenen Strohhalm.

Als Nick zum ersten Mal in ein Krankenhaus eingeliefert wird, tappen die Ärzte mit einer Diagnose im Dunkeln. Der damals Zweijährige hat 41 Grad Fieber und einen gewölbten Bauch. Die Mediziner vermuten zunächst Leukämie, später Knochenkrebs. Beides sind Fehldiagnosen. Es beginnt eine Odyssee durch Krankenhäuser in ganz Deutschland.

Nick musste 26 Tabletten am Tag nehmen

Nicht zu wissen, was dem Kind fehlt, lässt die Familie verzweifeln. „Es vergingen vier Monate bis zur richtigen Diagnose“, sagt Mutter Melanie Zrodlewski. Mediziner stellen fest: Nick leidet an der Krankheit Hämophagozytische Lymphohistiozytose, kurz HLH. Eine seltene Immunerkrankung. Der Körper beginnt, sich selbst zu bekämpfen und Fresszellen des Abwehrsystems greifen gesunde Blutzellen an.

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Unzählige belastende Untersuchungen und Therapien stehen bevor. Eine Chemotherapie hilft nicht. „Er musste bis zu 26 Tabletten am Tag nehmen“, erinnert sich seine Mutter. Gegen die starken Schmerzen bekommt er Morphin. Der Zustand des Jungen ist kritisch.

Wie erklären Eltern einem Kind den Tod?

„Die Ärzte haben mit uns über den Tod gesprochen“, sagt Vater Martin Zrodlewski. Aber wie erklären Eltern einem dreijährigen Kind, dass es um sein Leben kämpft? „Gar nicht“, sagt die Mutter. „Er ist in dieses Leben reingewachsen und wusste nicht, was der Tod überhaupt bedeutet.“

Gemeinsam formuliert die Familie kleine Ziele: Endlich wieder Tomaten oder Erdbeeren essen, auf die er im Krankenhaus verzichten musste und die er doch so sehr liebt. Den Kindergarten besuchen, um mit all den anderen Jungen und Mädchen zu spielen. Endlich wieder auf dem Fußballplatz stehen. Nick darf den Lebenswillen nicht verlieren.

Knochenmarktransplantation als letzte Rettung

Max (links) und Nick mit ihrer Mutter Melanie Zrodlewski.
Max (links) und Nick mit ihrer Mutter Melanie Zrodlewski. © FUNKE Foto Services | Lars Fröhlich

Eine Knochenmarktransplantation soll dem Knirps das Leben retten. Der Spender: sein damals neunjähriger Bruder Max. Doch Nicks Körper stößt vor vier Jahren die Stammzellen ab. Die behandelnden Ärzte geben ihn auf. „Wir können nichts mehr machen. Er wird sterben“, sollen die Ärzte den Eltern mitgeteilt haben.

Die Familie könne sich aber eine Zweitmeinung einholen. „Wir wollten nichts unversucht lassen“, so die Mutter. „Wir wussten, dass er ein Kraftpaket und Kämpfer ist“, sagt sein Vater.

Mit dem geschwächten Sohn fahren sie im Herbst 2016 im Auto über 700 Kilometer von Freiburg nach Hamburg. Dort wird nach vielen Untersuchungen entschieden: Die Ärzte versuchen eine zweite Knochenmarktransplantation. Sein Bruder Max ist erneut der Spender.

Verlust der Firma und Hartz IV: Belastung für die ganze Familie

Nach der Transplantation hat Nick starkes Fieber und Schmerzen. Die Sorge, sein Körper könnte die Stammzellen wieder ablehnen, ist groß. 21 Tage nach der Transplantation kommt die erlösende Nachricht: Die Spende ist geglückt. „Wir haben sofort angefangen zu weinen“, sagt die 36-Jährige.

Drei lange Jahre dauert der Kampf ums Leben. Über 1000 Tage, an denen die Familie bis an die Grenze der Belastbarkeit geht. Rund um die Uhr sind die Eltern bei Nick. Beide geben in dieser Zeit ihre Jobs auf. Er verliert seine eigene Baufirma, muss den Mitarbeitern kündigen. Sie kann nicht mehr als Versicherungskauffrau arbeiten. Die Familie lebt in dieser Zeit von Hartz IV und ist durchweg in Krankenhäusern. „Wir haben alle Ersparnisse rausgehauen und alles für Nick getan“, sagt der Vater.

„Nick wurde nochmal ein Leben geschenkt“

63 Tage nach der Transplantation darf Nick nach Jahren im Krankenhaus endlich wieder zurück nach Duisburg. Seinen fünften Geburtstag feiert er zuhause im Dellviertel. Der Tag der geglückten Transplantation ist für die Familie wie ein zweiter Geburtstag. „Nick wurde nochmal ein Leben geschenkt.“

Mittlerweile ist Nick sieben Jahre alt. „Wir haben wieder einen ganz normalen Alltag“, erzählt Mutter Melanie. Sie und ihr Ehemann sind wieder berufstätig, die Familie ist vereint in Duisburg. Nick besucht die erste Klasse der Mozartschule in Neudorf.

Auf die Frage der Mitschüler, warum er kleiner ist als die anderen, antwortet er souverän und fast schon lapidar: „Ich lag drei Jahre im Krankenhaus, hatte Krebs und dann Magen-Darm.“ Sein Lieblingsschulfächer? „Die große Pause und Sport.“

Lebenslange Gefahr eines Rückfalls

Tagebuch im Internet

Die Krankheitsgeschichte ihres Sohnes hat Melanie Zrodleswki im Internet festgehalten. Auf der Facebook-Seite „Nick HLH #meinnameistnick“ hat die 36-Jährige die letzten Jahre Tagebuch geführt. Die Anteilnahme war weltweit riesig.

Angetrieben hat sie die Suche nach Hilfe, denn sogar für viele Ärzte ist die Krankheit HLH unbekannt. Heute hilft sie mit ihrer Seite anderen HLH-Patienten und macht Mut. „Man darf nie die Hoffnung aufgeben.“

Dass er flink und schnell ist, zeigt Nick regelmäßig auf dem Fußballplatz des SV Wanheim 1900. „Ich bin schon in der F-Jugend“, sagt er stolz. „Nick ist mittlerweile ein kleiner Teufel“, sagt die Mutter und lacht. Wie andere aufgeweckte Kinder in seinem Alter rennt er mit viel Energie durch die Wohnung. Doch auch wenn die Krankheit besiegt ist: „Sein ganzes Leben besteht die Gefahr eines Rückfalls. Aber wir sind vorbereitet und haben so viel geschafft – das würden wir auch noch einmal packen.“