Obermeiderich. Der Deutsche Alpenverein ist mit 7700 Mitgliedern nach dem MSV der zweitgrößte Klub unserer Stadt. Er betreut den Landschaftspark-Klettergarten.
Dieses Loch ist winzig. Gerade mal einen Zentimeter weit reicht es in die Betonwand hinein. Mit viel Wohlwollen passen da die Spitzen dreier Fingerkuppen rein. Mehr nicht! Und doch reicht diese winzige Aushöhlung allen Topkletterern als Griff- oder Trittmöglichkeit, um den eignen Körper in die Höhe zu hieven. Willkommen an der Route „Nummer 5 lebt“. Sie hat die Schwierigkeitsstufe neun (von maximal elf) und ist damit die härteste Prüfung, die der Deutsche Alpenverein (DAV), Sektion Duisburg, in seinem Klettergarten im Landschaftspark Nord zu bieten hat. Oder wie Klettergartenwart Horst Neuendorf es sagt: „Das ist nur was unsere richtigen Könner.“
Und von denen gibt es im Duisburger DAV immer mehr: 7700 Mitglieder zählt der im Jahr 1901 gegründete Verein inzwischen. Jedes Jahr kommen etwa 300 weitere hinzu. „Nach dem MSV sind wir der zweitgrößte Klub der Stadt“, sagt Neuendorf (71). Er ist nicht nur 2. Vorsitzender und Kletterwart, sondern auch eines von noch zehn verbliebenen Mitgliedern, die von Beginn an im Landschaftspark dabei waren.
Das Kuriose: Als sich der DAV im Frühjahr 1990 auf dem ehemaligen Thyssen-Gelände niederließ, war noch gar nicht klar, was aus dieser Industrieruine später einmal werden sollte. „Wir haben hier trotz der ungewissen Zukunft mit 30 Vereinsmitgliedern angefangen, die Anlage nach unseren Bedürfnissen umzubauen – und das alles ehrenamtlich und in Eigenarbeit“, sagt Neuendorf und zeigt von einem erhöhten Standpunkt auf die riesige Erzbunkeranlage, die sich da gen Himmel erhebt. An jeder Betonwand sind stählerne Haken und bunte, aus Polyesterharz gefertigte Kunstgriffe zu erkennen. Sie dienen Aktiven als Kletterhilfen.
Der Klettergarten des DAV ist in sechs Sektoren mit addiert 650 verschiedenen Kletterrouten aufgeteilt. „Zwei weitere Sektoren mit nochmals 150 neuen Routen sind derzeit in Bau“, sagt Neuendorf. „Wir wachsen ständig weiter.“ Jede der Kletterrouten trägt einen Namen. Die Palette reicht von „Schoki“ und „Müslimann“ bis zu „Goldener Oktober“ und „Turnschuhtango“. Wer legt diese Namen fest? „Derjenige, der die Route in den Beton gemeißelt hat“, sagt Neuendorf und lacht.
200 Routen hat er selbst angelegt
Er selbst hat rund 200 der Routen angelegt. Von ihm stammt auch der Name „Hochwasserfrust“. Die Inspiration dazu? „Ich habe einen Kleingarten in Kaßlerfeld. Der stand vor rund 20 Jahren nach einem Ruhrhochwasser mal einen ganzen Meter unter Wasser“, erzählt Neuendorf. Den Frust über den Schaden hat er nach ersten Aufräumarbeiten dann im Klettergarten abgebaut – und in Rekordeile eben diese Route in den Stein geschlagen. Die taufte er auf: „Hochwasserfrust“.
Der Grund für die immer größer werdende Beliebtheit des Vereins liegt für Neuendorf auf der Hand: „Viele wollen nicht im Gebirge klettern, weil sie sich nicht den Gefahren und den Widrigkeiten des Wetter dort aussetzen wollen.“ Andere hingegen üben bewusst an den Wänden im Landschaftspark, um sich dort auf die Kraxelei im Gebirge vorzubereiten. „Wir sind ein offizielles Kletter- und Alpinzentrum, weil sich bei uns alle Formen des Bergsteigens üben lassen“, so Neuendorf.
Dazu zählt auch der imposante Klettersteig-Parcours. Mit seinen beachtlichen 530 Metern Länge ist es der längste außerhalb der Alpen. Die DAV-Sektion Duisburg kann mit einem weiteren Rekord aufwarten: Ihr Vereinsheim, das den schönen Namen „Duisburger Nordparkhütte“ trägt, ist die am tiefsten gelegene Alpenvereinshütte in ganz Deutschland. „Und meine Frau Sonja ist dort die Hüttenwirtin“, sagt Neuendorf und strahlt.
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Eine weitere Kletterdisziplin ist das so genannte Drytooling. Dabei schlagen die Kletterer stählerne Haken in Holzbalken, die an den Betonwänden montiert sind und ziehen sich mit deren Hilfe nach oben. „Die Holzbalken sollen das Eis im Gebirge imitieren“, erklärt Neuendorf diese Trainingsstation.
Ein Kind des Ruhrgebiets
Der frühere Maschinenbaukonstrukteur lebt im Süden in Buchholz und nennt sich selbst „ein Kind des Ruhrgebiets“. Daher liebt er das Ambiente im Landschaftspark sehr, noch mehr aber das intakte Vereinsleben in seinem DAV. „Hier sind so viele Freundschaften entstanden. Wir sind eine tolle, funktionierende Gemeinschaft.“ Und das sei die Grundvoraussetzung, um eine so komplexe Anlage wie den Klettergarten ehrenamtlich zu betreiben.
Aus der Redaktion: Redakteur Thomas Richter hat die Lokalredaktion Duisburg nach knapp zehn Jahren Arbeit vor Ort verlassen und ist ab 1. Oktober in der WAZ-Lokalredaktion Gelsenkirchen im Einsatz.