Duisburg/Düsseldorf. Im Loveparade-Prozess hat die Beweisaufnahme begonnen. Die ersten Zeugen berichten, was ihnen am 24. Juli 2010 in Duisburg widerfahren ist.
Wenn sie an die Duisburger Loveparade denken, dann haben viele genau diese Bilder im Kopf. Menschen, die sich im Tunnel oder der Rampe zum Loveparade-Gelände drängen und versuchen, dieser Masse zu entkommen. Diese Bilder sind sofort präsent, als die 31 Jahre Rosalinda B. über das berichtet, was ihr am 24. Juli 2010 bei der Duisburger Loveparade widerfahren ist. Am Donnerstag sagte die Duisburgerin, die auch als Nebenklägerin im Loveparade-Verfahren auftritt, vor Gericht aus. Die 31-Jährige ist die erste Betroffene, die in dem Verfahren zu Wort kommt.
Zusammen mit ihrer Schwester und einer Freundin hatte sie sich am Mittag des 24. Juli getroffen, um gemeinsam die Loveparade zu besuchen. Das Taxi setzte sie damals auf der Düsseldorfer Straße in Höhe des Polizeipräsidiums ab, von dort aus gingen sie auf das zu der Zeit noch nicht überfüllte Gelände.
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Weil sich ihre Schwester an einem zerbrochenen Glas an der Hand verletzt hatte, wollten sie das Gelände wieder verlassen. Doch das war wegen einer Polizeikette nicht mehr möglich. „Wir wollten raus, doch die Polizei hat gesagt, es ginge nicht. Es kamen immer mehr Leute rein“, schilderte sie unter Tränen die Dramatik der Situation an jenem Nachmittag.
Sie stürzte auf der Treppe - wie sie von dort weg kam, weiß sie nicht
Die gerade mal 1,58 Meter große Frau und ihre Schwester versuchten noch, zusammen zu bleiben, wurden dann aber auseinandergerissen. „Der Druck war so stark. Ich habe sie aus den Augen verloren. Wir wurden von vorne und von hinten gedrückt, wie "Sardinen in der Büchse. Ich bekam keine Luft. Man konnte sich nicht bewegen. Ich habe nur noch Rucksäcke und Oberkörper gesehen und alle hatten die Arme hoch."
Ein junger Mann habe ihr dann noch geholfen, ihren Kopf und die Haare hoch gehalten, damit sie atmen könne. Beim Versuch, die Treppe an der Rampe zu erreichen, sei sie dann aber auf der ersten oder zweiten Stufe gestürzt. “Links von mir lag ein junges Mädchen und rief: ‚Hilf mir, hilf mir.‘ Aber das ging nicht. Ich konnte mich selbst nicht befreien, weil Menschen auf mir lagen. Es wurde immer schwerer und schwerer.“ Dann brechen ihre Erinnerungen ab. „Wie ich da weggekommen bin, weiß ich nicht mehr. Ich bin dann im Krankenhaus auf der Intensivstation wach geworden“, erzählt die junge Frau. Sie ist sichtlich aufgeregt, eine Hand umklammert Taschentücher, mit der anderen greift sie immer wieder nach einem Ring, den sie trägt. Sie war bewusstlos, musste zwei Tage beatmet werden, hatte eine Gehirnerschütterung und massive Prellungen am Oberkörper.
Duisburgerin plagen Schuldgefühle, warum sie überlebt hat
Rosalinde B. wurde bei der Massenpanik aber nicht nur körperlich verletzt. Die Ereignisse zehren noch heute an ihr, sie war mehrfach in psychosomatischer Bahndlung. „Wenn ich etwas Bestimmtes rieche oder viele Menschen sehe, kommt das wieder.“ Ein Jahr habe sie gebraucht, um zu realisieren, "dass und warum ich überlebt habe." Und sie hat immer noch Schuldgefühle, weil sie der jungen Frau neben ihr nicht helfen konnte. „Ich hoffe, dass das Mädchen, das neben mir gelegen hat, am Leben ist."
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Den Worten folgten am Nachmittag schließlich Bilder, die das ganze Drama am 24. Juli 2010 zeigten: zu sehen waren Filmaufnahmen eines Zeugen, der damals Student in Heidelberg war und in Duisburg feiern wollte. Vier Video-Sequenzen zeigte die 6. Große Strafkammer, Aufnahmen, die der heute 34-Jährige selbst “Bilder einer Katastrophe” genannt hat. 40 Minuten Videos, die den Saal zu fassungslosem Schweigen bringen und eine Schöffin zum Weinen. So viele hilflos gereckte Arme, gequetschte Gesichter voller Panik, Bewusstlose, die über die Treppe gezogen werden, auf Leinwänden vielfach vergrößert, und dann: Schreie, Schreie, Schreie.
“Hilfe!”, “Polizei!”, “Ich kann nicht mehr!”, “Holt mich hier raus!”, ist da zu hören, es betäubt nicht nur die Ohren. Und danach: bleibt ein “Schlachtfeld”, wie der Zeuge selbst sagt. Der gibt sich so nüchtern wie seine Bilder grausam sind, spricht ruhig über die Filmchen, die er drehte als Tagebuch und später, weil er ahnte, “dass wir hier Beweismittel brauchen”. Und weil er mit 1,90 Metern groß genug war, den Kopf oben zu behalten. Stark genug, um Menschen wiederzubeleben, war er nicht: Er versuchte es bei zweien mit Mund-zu-Mund-Beatmung. “Es war”, sagt der angehende Lehrer, “leider zu spät.”
Fortgesetzt wird der Prozess am kommenden Dienstag, 16. Januar.