Duisburg. Die beiden Schwestern Giusi und Rosalinda Barbasola aus Duisburg steckten am 24. Juli 2010 inmitten des tödlichen Loveparade-Gedränges.

Rosalinda Barbasola schließt die Augen. Das tut die 31-Jährige immer, wenn sie als Beifahrerin im Auto sitzt und durch den Karl-Lehr-Tunnel fährt. Denn wenn sie an jenem Punkt vorbeikommt, an dem sich einst die Rampe zum Loveparade-Gelände befand, kehren sofort die Erinnerungen zurück. Die Erinnerungen an den 24. Juli 2010. Die Erinnerungen an das tödliche Gedränge, in das sie mit ihrer älteren Schwester Giusi (38) geriet. Die Erinnerungen an die Extremsituation des Ausgeliefertseins und der Todesangst. Auch sieben Jahre nach der Katastrophe ist vieles noch so präsent, als habe es sich erst neulich ereignet. „Und diese Erlebnisse“, erzählen die Schwestern kurz vor dem Jahrestag, „sie werden auch immer ein Teil unseres Lebens bleiben“.

Die große Sorge um die Schwester

Pflegen eine innige Verbindung: Giusi und Rosalinda Barbasola aus Duisburg.
Pflegen eine innige Verbindung: Giusi und Rosalinda Barbasola aus Duisburg. © Tanja Pickartz | FUNKE Foto Services

Beide Frauen haben am Katastrophentag schwerste Verletzungen erlitten. Rosalinda lag sogar lange auf der Intensivstation. „Das Schlimmste war für mich, dass ich zunächst nicht wusste, wo meine Schwester war und ob ihr etwas zugestoßen ist“, erinnert sich die in Rheinhausen lebende Giusi. Sie bekam Panik. Ein Arzt konnte sie beruhigen: Rosalinda war zufällig ins selbe Krankenhaus eingeliefert worden. Und erst als sie erfuhr, dass ihre Schwester lebt, konnte Giusi sich etwas beruhigen. Und aufatmen.

„Die ersten zwei Jahre nach der Katastrophe waren am schlimmsten“, erzählt Giusi. Sie absolvierte über Monate eine Therapie und Reha-Maßnahmen. Sie lernte dort, über das Erlebte zu sprechen – und welch befreiende Wirkung das haben kann. Geändert hat sich nachhaltig ihr Ausgehverhalten. „Heute vermeide ich jede Situation, wo ich denke, dass es komisch werden könnte und wo ich nicht weiß, was mich dort erwartet“, erzählt Giusi. Rosalinda nickt zustimmend.

Katastrophe spielte sogar eine Rolle bei der Berufswahl

Die jüngere Schwester verließ Duisburg, wollte den Ort der Katastrophe hinter sich lassen. „Ich bin vor der Angst geflohen“, sagt sie. In ihrer neuen Heimat Kaiserslautern absolvierte Rosalinda ihre Therapie, lernte dort auch ihren heutigen Partner kennen. Inzwischen sind beide zurück nach Duisburg gezogen. „Ich brauche meine Familie bei mir. Und auch meine Freunde.“

Die gelernte Friseurin absolviert derzeit ihre zweite Ausbildung am Sana-Klinikum in Wanheimerort. Rosalinda will Krankenschwester werden. Viele der neuen Kollegen wissen, was ihr damals passiert ist. Sie fragen auch nach. Nicht immer kann und will Rosalinda antworten. Hat das damals Erlebte denn eine Rolle bei ihrer neuen Berufswahl gespielt? „Ich glaube ja!“

Sie werden den Prozess verfolgen

Dass es nun doch einen Loveparade-Prozess gegen zehn Beschuldigte vor dem Landgericht Duisburg geben wird, war für die Barbasola-Schwestern zwingend erforderlich. Ob denn da nun die richtigen Personen auf der Anklagebank Platz nehmen müssen, können beide nicht zweifelsfrei beurteilen. „Mich hat nur gewundert, wie sauber der damalige OB Sauerland aus der Sache herausgekommen ist“, sagt Giusi Barbasola. Es sei so viel gepfuscht worden. An diesem Tag. Und auch davor. Mit Blick auf die „wahren Verantwortlichen“ dieser Katastrophe sagt Rosalinda: „Mich interessiert, ob und was diese Leute heute empfinden? Reue? Haben die ein schlechtes Gewissen?“ Dann muss sie kurz stocken, bricht ihre Stimme: „Die wissen gar nicht, was sie uns angetan haben.“

Nun steht am Montag also der siebte Gedenktag an. Am Abend zuvor steigt im Tunnel die „Nacht der 1000 Lichter“. An letzterer Veranstaltung wollen die beiden Schwestern teilnehmen, gemeinsam mit ihrer Mutter, ihren eigenen Kindern und ihren Partnern. „Ich war im letzten Jahr zum ersten Mal nach der Katastrophe wieder dort“, sagt Rosalinda. Schwierig sei die Rückkehr gewesen. Und emotional. Dank der moralischen Hilfe ihrer Liebsten hat sie es aber geschafft. So soll es auch diesmal wieder sein.

Rosalinda Barbasola will ihre Augen an diesem Ort nie mehr schließen müssen.

Großer Dank gilt den unbekannten Helfern

Obwohl sie sich aneinander geklammert hatten, wurden die Schwestern im Gedränge vor der Ein- und Ausgangsrampe voneinander getrennt. Beide wussten lange nicht um das Schicksal der anderen. Ein Junger Mann half der gestürzten Rosalinda, sich wieder aufzurichten. Er sprach ihr in den Momenten des Eingeklemmtseins Mut zu, hielt ihren Kopf hoch, damit sie Sauerstoff bekam und nicht ohnmächtig wurde. „Ich habe ihn bis heute nie mehr wieder gesehen, weiß auch nicht, wer er war. Ich würde mich so gern bei ihm bedanken“, sagt Rosalinda.

Die frühere NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft wird – wie in den Vorjahren auch – wieder als Privatperson an den Gedenkfeierlichkeiten am Sonntag und Montag teilnehmen.