Essen. Tom Novy war 2010 als DJ auf der Loveparade in Duisburg. Als bereits bekannt war, dass Menschen gestorben sind, musste er weiter Platten auflegen.

Tom Novy war als DJ bei der Duisburger Loveparade. Als bereits Gerüchte über Tote die Runde machten, legte er weiter Platten auf, um eine Panik in der tanzenden Menge zu verhindern. Wir haben fünf Jahre nach der Katastrophe mit ihm gesprochen.

Wissen Sie noch, wann Sie erfahren haben, dass es auf dem Gelände eine Massenpanik gegeben hat?

Tom Novy: Das war, als ich auf der hinteren Bühne Platten aufgelegt habe. So am späten Nachmittag kamen schon die ersten SMS von Freunden: „Hey, da ist was passiert, check das mal ab und verschwinde da lieber, wenn das gefährlich ist“ und so was halt.

Wie haben Sie reagiert?

Novy: Ich bin zum Stage-Manager gegangen und hab gesagt: „Ey, was ist denn das bitte? Kannst du mir das mal erklären? Nicht, dass hier eine Panik ausbricht.“ Und er meinte: „Ich hab keine Ahnung.“ Der hatte natürlich auch kein Funkgerät und konnte das nicht crosschecken. Die waren megaschlecht aufgestellt. Und dann kamen irgendwann die ersten Nachrichten, dass es Tote und Verletzte gegeben hat.

Tom Novy war 2010 als DJ auf der Loveparade in Duisburg.
Tom Novy war 2010 als DJ auf der Loveparade in Duisburg. © Tom Novy

Hatten Sie Angst?

Novy: In dem Moment nicht, nein. Ums eigene Leben hab ich nicht gefürchtet. Aber es lag so eine Beklemmung in der Luft. Ich hab auf anderen Events im Ausland auch schon üble Geschichten erlebt. In Kolumbien hat’s mal eine Schießerei gegeben, da ist einer angeschossen worden. Aber selbst da war die Stimmung nicht so bedrückend. Es gab ja schon Gerüchte, dass es Tote gegeben haben soll. Das merkt man ganz einfach, da liegt eine ganz andere Energie in der Luft, als wenn eine Party glatt läuft.

Haben Sie dann noch weitergespielt?

Novy: Ja, ich hab dann noch eine Stunde gespielt. Ich hab da schon überlegt, ob ich eine Durchsage machen soll, hab es dann aber doch nicht gemacht, weil ich dachte: Wenn ich jetzt die Musik ausmache, drehen die Leute komplett durch. Bei mir auf der Area waren ja allein fast 30.000 Leute. Wenn die jetzt in Panik geraten wären, wäre das alles ja vielleicht noch dramatischer geworden.

Kann man dann als DJ noch Party-Stimmung machen?

Novy: Nee, natürlich nicht. Ich war da schon wie paralysiert. Wir wollten wissen, was los ist, und haben nicht so richtig erfahren, was denn jetzt passiert ist. Man hat es ja nicht direkt mitbekommen. Der Tunnel selbst war ja einige Hundert Meter von der Bühne entfernt.

Kannten Sie das Festival-Gelände schon vorher?

Novy: Am Freitag davor hat die Zeitschrift Raveline ein Barbecue veranstaltet. Auf dem Weg dahin sind Kollegen von mir und ich schon an dem Gelände vorbeigefahren und haben uns darüber gewundert, dass das eingezäunt ist. Und naja, eine eingezäunte Loveparade, das kam uns schon sehr komisch vor.

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Von Felix Laurenz, Peter Sieben

Und das Gelände selbst war zwar groß, aber für eine Million Leute, die erwartet wurden, oder auch nur ein paar Hunderttausend, schien uns das doch etwas klein. Am Tag selbst hab ich als einer der ersten auf den Wagen gespielt, nachmittags bin ich dann auf die Bühne. Da mussten wir dann durch die Menge und haben gesehen, wie wenig Platz jeder einzelne an der Rampe hatte. Das war schon irgendwie beängstigend.

Was haben Sie nach Ihrem Auftritt gemacht?

Novy: Als ich zu Ende gespielt hab, bin ich von der Bühne und hab einen Freund getroffen, der beim Fernsehen arbeitet, und der meinte: Ey, komm, lass uns mal vom Gelände runter. Oben auf einer Anhöhe haben wir dann schon zwei Rettungshubschrauber gesehen, vom ADAC und vom Roten Kreuz. Wir sind dann mit dem Auto Richtung Düsseldorf, da hatte ich mein Hotel. Da sind uns mindestens 30, 40 Rettungswagen entgegengekommen, und wir dachten: Ach du meine Güte, was ist denn hier los? Als wir im Hotel angekommen sind, haben wir erst einmal den Fernseher angestellt und die Bilder gesehen. Das war dann ein richtiger Schock.

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Nach der Katastrophe haben Sie gefordert, dass die Loveparade trotzdem wieder veranstaltet werden soll. Sehen Sie das immer noch so?

Novy: Das ist natürlich ein zweischneidiges Schwert. Da muss man aus Respekt vor den Opfern natürlich ganz genau drüber nachdenken. Da muss ich auch weiter ausholen: Was ich nie verstanden habe, ist, dass die Loveparade von da, wo sie erfunden wurde, und wo sie auch funktioniert hat, ins Ruhrgebiet gezogen ist.

Das ist nichts anderes, als schlechte Politik und Geldmacherei gewesen, das kreide ich der Politik und den geldgierigen Veranstaltern an. Von der Idee her ist die Loveparade ja ein Get-together, wo Menschen für Frieden demonstrieren. „Friede, Freude, Eierkuchen“, das war ja das Motto der ersten Loveparade. Daran kann ja nichts Schlechtes sein. Ich glaube, in unserer heutigen Zeit passieren so viele miese Sachen, da kann es nur sinnvoll sein, Menschen unter einem guten Motto zusammenzubringen.

Nacht der 1000 Lichter in Duisburg

Ein Lichtermeer für die Toten der Loveparade 2010: Fünf Jahre...
Ein Lichtermeer für die Toten der Loveparade 2010: Fünf Jahre... © dpa
... nach dem tödlichen Gedränge auf der Techno-Party...
... nach dem tödlichen Gedränge auf der Techno-Party... © dpa
... haben die Hinterbliebenen und Verletzten am Vorabend des Jahrestags an jene 21 Menschen erinnert, die genau an dieser Stelle ihr Leben verloren. An der Rampe,...
... haben die Hinterbliebenen und Verletzten am Vorabend des Jahrestags an jene 21 Menschen erinnert, die genau an dieser Stelle ihr Leben verloren. An der Rampe,... © Ralf Rottmann/Funke Foto Services
... die am 24. Juli 2010 Zu- und Ausgang fürs Loveparade-Gelände auf dem alten Güterbahnhof war,...
... die am 24. Juli 2010 Zu- und Ausgang fürs Loveparade-Gelände auf dem alten Güterbahnhof war,... © Ralf Rottmann/Funke Foto Services
... trafen sie sich wie in den Vorjahren zum stillen Gedenken. Zur Rampe...
... trafen sie sich wie in den Vorjahren zum stillen Gedenken. Zur Rampe... © Ralf Rottmann/Funke Foto Services
... kamen die Besucher damals durch einen Tunnel - an dessen Ausgang bildete sich am Nachmittag das tödliche Gedränge.
... kamen die Besucher damals durch einen Tunnel - an dessen Ausgang bildete sich am Nachmittag das tödliche Gedränge. © Ralf Rottmann/Funke Foto Services
13 Frauen und acht Männer starben, mehr als 500 weitere wurden verletzt.
13 Frauen und acht Männer starben, mehr als 500 weitere wurden verletzt. © Ralf Rottmann/Funke Foto Services
An der Unglücksstelle erinnert seit dieser Woche eine neue Gedenkplatte des Duisburger Künstlers Rüdiger R. Lorenzo Eichholtz an die Toten. Der Satz...
An der Unglücksstelle erinnert seit dieser Woche eine neue Gedenkplatte des Duisburger Künstlers Rüdiger R. Lorenzo Eichholtz an die Toten. Der Satz... © Ralf Rottmann/Funke Foto Services
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... "Liebe hört niemals auf" in sieben Sprachen - den Muttersprachen der Gestorbenen - soll den Trauernden Trost zusprechen. Über dem Trauerort... © Ralf Rottmann/Funke Foto Services
... wurden zudem acht Nationalfahnen gehisst.
... wurden zudem acht Nationalfahnen gehisst. © Ralf Rottmann/Funke Foto Services
Auf der Treppe an der Seite der Rampe...
Auf der Treppe an der Seite der Rampe... © dpa
... stellten Angehörige 21 Blumentöpfe ab. Jeder Topf steht symbolisch für ein Todesopfer. Am Ort der Massenpanik...
... stellten Angehörige 21 Blumentöpfe ab. Jeder Topf steht symbolisch für ein Todesopfer. Am Ort der Massenpanik... © dpa
... legten Menschen zudem Blumensträuße und Kerzen nieder oder stellten Fotos ihrer Angehörigen auf. Einige weinten. Andere...
... legten Menschen zudem Blumensträuße und Kerzen nieder oder stellten Fotos ihrer Angehörigen auf. Einige weinten. Andere... © Ralf Rottmann/Funke Foto Services
... suchten Trost durch Gespräche oder Umarmungen.
... suchten Trost durch Gespräche oder Umarmungen. © Ralf Rottmann/Funke Foto Services
Die juristische Aufarbeitung der Katastrophe...
Die juristische Aufarbeitung der Katastrophe... © dpa
... ist auch fünf Jahre danach noch lange nicht abgeschlossen - noch ist nicht einmal klar, ob es überhaupt zu einem Strafprozess gegen die Verantwortlichen kommt.
... ist auch fünf Jahre danach noch lange nicht abgeschlossen - noch ist nicht einmal klar, ob es überhaupt zu einem Strafprozess gegen die Verantwortlichen kommt. © imago/Revierfoto
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"Ich glaube, dass der Sinn und Zweck der Loveparade verkauft worden ist" 

Bei einer neuen Loveparade würden Sie also mitmachen?

Novy: Das kommt eben auf die Umstände an. Ich bin ein Kind der 90er, ich hab wahnsinnig viel Loveparade gefeiert. Ich glaub, bei der dritten war ich schon dabei. Die Loveparade war da noch ein Happening, das wirklich eine ganz tolle Energie hatte, und ich fand es einfach eine wunderschöne Sache. Wir hatten in den 90ern auch noch eine Message dahinter.

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Das ist heute nicht mehr so. Heute gibt’s hinter der elektronischen Musik oft nur noch die Message: Ich mach Kohle. Wenn es jetzt zum Beispiel einen gemeinnützigen Verein geben würde, der so eine Parade in Berlin wieder ins Leben rufen würde, wär ich sofort dabei. Aber wenn es nur dazu dient, dass sich irgendwelche Leute wieder bereichern, oder dass irgendwelche Festivalveranstalter meinen, sie könnten sich eine goldene Nase verdienen, dann ist das nicht der Sinn und Zweck der Loveparade.

War es ein Fehler, die Loveparade von Berlin ins Ruhrgebiet zu bringen?

Novy: Ein Riesenfehler. Das war der größte Fehler, den die Veranstalter je begangen haben. Ich meine, mal ehrlich, Duisburg gehört nicht zu den schicksten Städten in Deutschland und steht auch finanziell nicht so gut da, da haben sich die Verantwortlichen wahrscheinlich gedacht: Mensch, die Loveparade, das ist doch ein super Imageprojekt für uns, da kann man doch richtig was draus machen.

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Ich glaube, dass der Sinn und Zweck der Loveparade verkauft worden ist. Ich meine, Dortmund war ja noch ganz okay, weil die Parade da auf der Autobahn stattgefunden hat. Aber Essen war schon kacke, die Infrastruktur konnte so ein Event kaum auffangen. Die Stadt ist ja aus allen Nähten geplatzt. Dass in Essen nichts passiert ist, war ja schon ein Glück. Und dann die Katastrophe in Duisburg. Für die ja immer noch keiner verantwortlich gemacht worden ist.

Glauben Sie, dass die Katastrophe noch nicht genügend aufgearbeitet ist?

Novy: Absolut. Da muss man auch der Gerichtsbarkeit in Deutschland einfach einen Riesen-Vorwurf machen: Wieso geht es da nicht vorwärts? Was kann es bitte Fürchterlicheres geben, als wenn man auf eine Party geht, wo man Spaß haben will, wo man Leute treffen will, und man stirbt dann? Weil die Verantwortlichen zu blöd sind oder weil die das schlecht organisiert haben. Und am Ende will’s keiner gewesen sein. Dieser Schwebezustand jetzt, das ist eigentlich nichts weiter, als die Opfer zu verhöhnen. Ja, im Prinzip ist es einfach nur drauf gespuckt.