Duisburg. Am Tag des Brexits wird Robert Tonks 65 Jahre alt. Für den Vorsitzenden der Deutsch-Britischen Gesellschaft in Duisburg kein Grund zum Feiern.

Am Freitag, 31. Januar, wird Robert Tonks 65 Jahre alt. Am selben Tag verlässt das vereinigte Königreich die Europäische Union. Kein Grund zum Feiern für den Vorsitzenden der Deutsch-Britischen Gesellschaft in Duisburg. Ein Gastbeitrag zum Brexit.

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Heute leben in Deutschland 100.000 Menschen britischer Herkunft, davon 400 in Duisburg. Viele von ihnen sind ehemaliges Personal, sowie Familien der Britischen Rheinarmee, die direkt oder indirekt vom Brexit betroffen sein werden. Nicht wenige haben sich in Deutschland einbürgern lassen. Letztere sind zwar existenziell vom Brexit nicht bedroht, sind aber familiär und emotional tief involviert.

1973 wurde Großbritannien Mitglied der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft

Als britischer „Wahl- und Berufseuropäer“ habe ich die Geschichte der Europäischen Integration und des Brexit stets aufmerksam begleitet: Die Beziehung zwischen dem Vereinigten Königreich, Deutschland und der Europäischen Union und seinen Vorläuferorganisationen bildet die Klammer meines bisherigen Erwachsenenlebens. Erst 1973 wurde Großbritannien Mitglied der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), während ich in dem Jahr mit 18 Jahren direkt nach dem Abitur ein dreimonatiges Praktikum bei Siemens in Erlangen absolvierte. Das war der Beginn meiner „Karriere“ in Deutschland.

Das längste und nachhaltigste Friedensprojekt unter den historisch verfeindeten Nationen West-Europas, die Lokomotive der Hoffnung, die EU heißt, drohte dann 2016, mit dem Brexit allmählich angehalten zu werden. Mein Ideal, dass jede Bürgerin und jeder Bürger mit einem „EU-Pass“ das Wahlrecht am ersten Wohnsitz erhält, sollte nunmehr immer weiter in die Ferne rücken.

Seit 2009 ist Tonks deutsch-britischer „Doppelstaatler“

Auf dem Weg zum EU-Pass ist die doppelte oder mehrfache Staatsangehörigkeit lediglich ein Kompromiss: Seit 2009 bin ich deutsch-britischer „Doppelstaatler“. Nach 15 Jahren verlieren im Ausland lebende britische Bürgerinnen und Bürger das Wahlrecht im Vereinigten Königreich. In Deutschland hatte ich bei den Wahlen zum Bundestag und zum Landtag auch kein Wahlrecht und ließ mich schließlich einbürgern.

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Über ein Vierteljahrhundert engagierte ich mich beruflich, privat und ehrenamtlich für die Europäische Integration. Die Phase, in der letztere beinahe ununterbrochen mit einem starken Rückenwind fuhr, begann mit der deutschen Einheit und endete mit der sich zuspitzenden Euroskepsis der britischen Brexit-Befürworter, die vor allem die Angst vor der „bösen“ grenzenlosen EU schürte.

Nach 46 Jahren Studium und Berufstätigkeit in Deutschland im Ruhestand

Im Jahre 2019 ging ich nach 46 Jahren Studium und Berufstätigkeit in Deutschland in den Ruhestand. Ausgerechnet sollte jetzt, also ursprünglich am 29. März 2019, Großbritannien die EU verlassen, oder doch nicht? Es kam bekanntlich anders. Bislang zwei Mal – auf den 30. November 2019 und dann auf den 31. Januar 2020 - wurde das Ausscheidungsdatum verschoben.

Die vielfältigen starken Beziehungen zwischen Großbritannien und Deutschland, insbesondere Nordrhein-Westfalen, sind historisch gewachsen. Ich denke zum Beispiel an die „Operation Marriage“ der britischen Militärregierung 1946, in dessen Rahmen unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg die Regionen Nordrhein und Westfalen unter neuem Namen als das „Land“ Nordrhein-Westfalen „getraut“ wurden und Düsseldorf als dessen Hauptstadt festgelegt wurde. Das unter der Regie der Briten neu geschaffene Bundesland ist ohne Zweifel ein Stabilisierungsfaktor und eine nachhaltige Erfolgsgeschichte der Entwicklung Deutschlands bis heute.

3.500 Briten bei den britischen Streitkräften in Nordrhein-Westfalen

Noch heute arbeiten 3.500 Briten bei den britischen Streitkräften in Nordrhein-Westfalen, wobei die Zahl seit Ende des Kalten Kriegs Anfang der 1990er Jahre kontinuierlich gesunken ist. Insgesamt leben in Deutschland 100.000 Briten, von denen 25.000 in Nordrhein-Westfalen ihre Wahlheimat gefunden haben. Zwischen den nordrhein-westfälischen und britischen Gemeinden werden 140 Städtepartnerschaften aktiv gepflegt, was in den vergangenen mehr als 70 Jahren zu unzähligen Austauschen führte. Gleiches gilt in der Bildung, Forschung und Lehre, insbesondere im schulischen und universitären Bereich, ganz zu schweigen von der Bedeutung der Verflechtung von Wirtschaft und Handel zwischen den beiden Ländern.

Gegründet im Dezember 2006

Die Deutsch-Britische Gesellschaft Duisburg e.V. konstituierte sich im Dezember 2006, als 14 Enthusiasten beschlossen, einen German-British Club zu gründen, der sich mit englischer Sprache und Kultur befasst.

Dabei steht der einmal monatliche Gedankenaustausch abwechselnd in englischer und deutscher Sprache im Vordergrund. Landeskundliche, kulturelle und politische Themen aus den englischsprachigen Ländern und Deutschland werden bei den Treffen diskutiert.

Dabei ist der Verein ausdrücklich nicht politisch gebunden. Heute verfügt der Verein über einen großen internationalen Freundeskreis und fällt durch seine alljährlichen „Fun Events“ auf. Weitere Infos gibt es auf www.deutsch-britische-gesellschaft.de.

In diesem Jahr finden zwei wichtige deutsch-britische Jubiläen statt: Vor 75 Jahren wurde Deutschland von der Nationalsozialistischen Diktatur durch die Alliierten befreit; vor 70 Jahren wurde die Städtepartnerschaft zwischen Portsmouth und Duisburg gegründet. Die Freundschaft unter den im Zweiten Weltkrieg von gegenseitigen Bombenangriffen zerstörten Städten ist und bleibt eine Säule der deutsch-britischen Versöhnung und Verständigung.

„Bei aller Betroffenheit und Enttäuschung sehen wir das Ganze optimistisch“

Bei aller Betroffenheit und Enttäuschung über den Brexit sehen wir das Ganze also optimistisch. Der Brexit muss keinesfalls den Abschied von den Freunden und Partnern in Europa bedeuten. Im Gegenteil. Neulich unterstrich Rafe Courage, der britische Generalkonsul in Düsseldorf, die Absicht der britischen Regierung, die ausgezeichneten Beziehungen mit den europäischen Nachbarn Post-Brexit fortzusetzen. Deutschland spiele dabei eine zentrale Rolle. Schauen wir mal, was die Brexit-Verhandlungen bis Ende des Jahres bringen.

Seit der Brexit-Entscheidung vor mehr als dreieinhalb Jahren erfahren zahlreiche deutsch-britische Städtepartnerschaften und zivilgesellschaftliche Organisationen eine Wiederbelebung. Auch die Universitäten und Unternehmen forcieren bestehende Verbindungen, Initiativen und Projekte und suchen nach neuen Kooperationsmöglichkeiten. Ob solche Maßnahmen ausreichen, um die durch den Brexit verursachten Defizite und Nachteile auszugleichen, sei dahingestellt. Aber die Not macht bekanntlich erfinderisch.