Kleve. . Im deutsch-niederländischen Grenzraum ist schon lange zusammengewachsen, was zusammengehört. Ein Besuch bei der Euregio Rhein-Waal.
An der Bundesstraße 220, die hier Emmericher Straße heißt, liegt kurz vor Kleve ein hübsch anzusehendes, hellgelbes Rokoko-Schlösschen. Vor ein paar hundert Jahren, bevor der Rhein seinen Verlauf änderte, stand ganz in der Nähe eine Zollstation. Das ist deswegen von einer gewissen Ironie, weil Haus Schmithausen heute Sitz der Euregio Rhein-Waal ist, einem Zweckverband, in dem die Idee eines grenzen- und schrankenlosen Europas gelebt wird.
Sjaak Kamps und Robert Tonks sitzen im Jagdzimmer, hohe Decke, knarzender Holzboden, prächtige Wandreliefs. Auf dem runden Konferenztisch stehen kleine Flaggen, die niederländische, die deutsche und die Europafahne. Kamps ist Niederländer und Geschäftsführer der Euregio, Tonks ist Brite, konkreter: Waliser mit deutschem Pass und Botschafter der Euregio. Beide Männer sind vom europäischen Gedanken beseelt, das wird im Gespräch schnell klar.
Nach dem Krieg herrschte hier im deutsch-niederländischen Grenzraum Funkstille. Das Misstrauen der Niederländer gegenüber den Nachbarn, die sie 1940 überfallen hatten, saß tief. „Es gab kaum Kontakte über die Grenze hinweg“, erzählt Sjaak Kamps. Pragmatismus beendete die Sprachlosigkeit. Niederländischen und deutschen Kommunen wurde rasch klar, dass es klug ist, zusammen zu arbeiten, etwa beim Hochwasserschutz. Wasser kennt keine Grenzen.
Städte wie Kleve und Emmerich auf deutscher, Arnheim und Nimwegen auf niederländischer Seite ergriffen die Initiative, gemeinsam mit den Handelskammern. Für die Wirtschaft sind Grenzen und Zölle Gift. Anfang der siebziger Jahre wurde die Euregio aus der Taufe gehoben. Heute gehören ihr 49 Städte und Gemeinden an, von Duisburg und Düsseldorf im Osten bis Wageningen im Westen.
„Zusammenarbeit in allen Bereichen“
Seit 1993 ist die Euregio Rhein-Waal ein öffentlich-rechtlicher Zweckverband, finanziert von den Kommunen, die sich in ihr zusammengeschlossen haben, einzelne Projekte werden aus Töpfen der EU oder deutschen und niederländischen Ministerien gezahlt. Sie ist eine von insgesamt vier Euregios in Nordrhein-Westfalen. „Unser Ziel ist die Förderung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in allen gesellschaftlichen Bereichen“, sagt Kamps.
Auch interessant
Ein wichtiges Feld: die Arbeit jenseits der Grenze. Im Bereich der Euregio Rhein-Waal arbeiten 20.000 Menschen im Nachbarland. 14.000 Deutsche in den Niederlanden, 6000 Niederländer in Deutschland. „Es gibt leider immer noch Hemmnisse, unterschiedliche Regelungen zu Rente, Steuern, Kindergeld. Wir helfen den Grenzgängern und beraten sie.“
Die Euregio hilft Gesundheitsnetzwerke zu knüpfen, arbeitet an grenzüberschreitenden Umweltprojekten, und, ganz wichtig: sie ebnet die Gräben des Krieges vor fast 80 Jahren ein, durch Schüleraustausche beispielsweise. „Unsere Arbeit hilft dabei, die jeweils andere Kultur besser kennen zu lernen. Das ist eine Bereicherung“, schwärmt Sjaak Kamps.
Wie er ist auch Robert Tonks davon überzeugt, dass es nicht weniger, sondern mehr Europa braucht. Tonks, Jahrgang 1955, kam als junger Mann nach Deutschland, seit 40 Jahren lebt und arbeitet er hier, zuletzt als Europa-Referent der Stadt Duisburg. Für die Euregio tritt er als Botschafter auf, weil die „Zugehörigkeit zu Europa die Klammer meines Erwachsenenlebens ist“.
Die Brexit-Entscheidung hat Tonks, der die doppelte Staatsbürgerschaft besitzt, tief enttäuscht. Er erinnert daran, dass Großbritannien erst 1973 der europäischen Gemeinschaft beitrat, der Franzose Charles de Gaulle hatte sich zuvor gegen den britischen Beitritt gewehrt.
„Man muss Argumente austauschen“
1973, das war das Jahr, in dem Tonks das erste Mal in Frankreich war. Dass seine Landsleute die Union jetzt wieder verlassen wollen, stößt ihm bitter auf. Europa, das ist für Tonks ein Friedensprojekt, eines, das half, die Militärdiktaturen in Griechenland, Portugal und Spanien zu überwinden.
Tonks und Kamps hoffen beide, dass der Brexit nicht endgültig ist, dass es ein Zurück gibt. Und dass die Nationalisten, die derzeit auf dem Vormarsch sind, zurückgedrängt werden. „Die Grenzen schließen, das bringt es nicht“, sagt Kamps. Er plädiert aber dafür, mit jeden zu sprechen, die das Projekt destabilisieren wollen, dem sie beide so zugetan sind: „Man muss Argumente austauschen.“
Tonks aber warnt. Seine Mutter habe einmal gesagt: „Wenn die Kriegsgeneration ausstirbt, dann ist der Friede in Gefahr.“