Duisburg. . Im Winter 1987/88 tobt der Arbeitskampf in Duisburg-Rheinhausen. Das Krupp-Werk soll dicht gemacht werden, 6300 Beschäftigte könnten ihren Job verlieren. Damals war Manfred Vollmer mittendrin. Seine Fotos gingen in das kollektive Gedächtnis ein. Eine Erinnerung.

Rheinhausen vor 25 Jahren: Das Krupp-Werk soll dicht gemacht werden, 6300 Beschäftigte sollen ihren Job verlieren. Beides wird Wirklichkeit, später. Davor: Ein Arbeitskampf, wie es ihn noch nie in Deutschland gab. Der Mann, der die Bilder für das kollektive Gedächtnis machte: Manfred Vollmer.

Was denken Sie heute, wenn Sie die vielen Geschichten über Rheinhausen sehen – bebildert mit Ihren Fotos?

Manfred Vollmer: Sofort ist alles wieder da. Die Ereignisse in Rheinhausen haben sich tief bei mir eingebrannt. Dieser Arbeitskampf war etwas Besonderes, er war einer der intensivsten, den ich je erlebt habe.

Welche Ihrer Bilder von damals haben Sie selbst heute noch im Kopf?

Vollmer: Zum Beispiel die junge Frau mit der geballten Faust, die ein Kind vor ihrer Brust trägt. Das Bild ist beim Solidaritätsfest „Rheinhausen ist überall“ entstanden. Es steht für die damalige Fraueninitiative. Es transportiert die Stimmung, die dort herrschte: Entschlossenheit! „Keiner schiebt uns weg“, wie es in dem Lied hieß, das damals oft gesungen wurde.

Kennen Sie die Frau eigentlich?

Vollmer: Nein. Sie hat sie nie bei mir gemeldet. Und niemand hat mir bisher sagen können, wer das ist. Eigentlich verrückt.

Welches Bild noch?

Vollmer:Der Vorstandsvorsitzende Gerhard Cromme, der sich wegduckt, weil er von den Arbeitern mit Eiern beworfen wird.

Warum gerade dieses Bild?

Vollmer: Es zeigt die Wut der Menschen. Und das, obwohl man die Menschen darauf gar nicht sehen kann. Man sieht nur Cromme, der schon etwas auf seinen Mantel abgekriegt hat. Daneben steht Manfred Bruckschen, der Betriebsratsvorsitzende, er hält seine Hände schützend hoch.

Wie war die Stimmung an diesem Abend vor der Krupp-Verwaltung in Rheinhausen, einen Tag nach Bekanntwerden des Schließungsplans?

Vollmer: Die Menschen, die gekommen sind, waren entsetzt und unglaublich wütend. Die Stimmung war hochexplosiv! Aufruhr pur.

Aus Ihrer Kamera stammt auch das berühmte Bild von der besetzten Brücke der Solidarität.

Vollmer: Ich habe es am 20. Januar 1988 gemacht, als die Rheinbrücke in „Brücke der Solidarität“ umgetauft wurde. Ja, es stimmt wohl, es ist das (!) Bild, das die Solidarität und die Breite der Bewegung zeigt.

Wann war Ihnen bewusst: Das ist das (!) Symbolbild dieses Arbeitskampfes?

Vollmer: Als ich auf den Laster geklettert bin und die vielen Menschen gesehen habe, habe ich geahnt, dass dies ein besonders aussagestarkes Motiv ist. Ich bin dann noch auf das Fahrerhäuschen geklettert, um einen noch bessern Blick zu haben. So konnte ich die unglaublich vielen Menschen zeigen, diese Masse, die protestiert. Und im Hintergrund sieht man noch die Kulisse des Stahlwerks in Rheinhausen.

Welche anderen Bilder haben daneben noch Platz?

Vollmer: Ein Bild von der Erstürmung der Villa Hügel. Allein die Tatsache, dass die Arbeiter in der Villa Hügel sind! Sie stehen dort, an der Wand hängt das Bild von Alfred Krupp, der Patriarch guckt dem Geschehen zu. Die Erstürmung war ein symbolischer Akt. Aber kein Akt der Gewalt, die Menschen verhielten sich ruhig und sehr besonnen.

Wird das bekannte Bild, das die Kommissare Schimanski und Thanner bei den streikenden Arbeitern zeigt, überbewertet?

Vollmer: Ja und nein. Einerseits steht für die Strahlkraft der Rheinhauser Stahlarbeiter, kurz: für die Solidarität. Selbst Prominente haben sich für Rheinhausen eingesetzt. Das war keine PR-Geschichte, die beiden haben sich ehrlich engagiert. Später erfuhr ich, dass sie Geld für die Arbeiter gesammelt haben. Toll. Andererseits finde ich dieses Foto eher durchschnittlich.

Krupp-ArbeitskampfWelches Bild haben Sie damals nicht fotografiert?

Vollmer: Zum Beispiel eines vom Betriebsleiter Helmut Laakmann am 30. November 1987, an dem er seine unglaubliche Rede hielt. Er redete frei, aber jedes Wort war wie in Stein gemeißelt. Nach dieser Rede war die Resignation weg, danach ging der Kampf los. Idiotischerweise habe ich Laakmann dabei nicht fotografiert.

Es ärgert Sie!

Vollmer: Ja, sicher! Aber gut, es ist vorbei. Es gibt in meinem Leben vielleicht zehn, zwölf Fotos, die ich nicht gemacht habe.

Welches Rheinhausen-Bild fehlt Ihnen noch?

Vollmer: Die brennende Cromme-Puppe. Es war an dem Abend vor der Krupp-Verwaltung in Rheinhausen, ich stand am anderen Ende des Platzes, als Arbeiter eine Strohpuppe mit einem Cromme-Schild anzündeten.

Wer hat das Bild gemacht?

Vollmer: Manfred Scholz. Er ist, glaube ich, der einzige Fotografenfreund, den ich je hatte. Leider ist er schon vor langer Zeit gestorben.

Also gönnen Sie ihm dieses Bild?

Vollmer: Aber ja!

Es klingt so, als standen sie damals an und auf der Seite der Kruppianer.

Vollmer: Ja, sicher.

Es gibt den Leitsatz von Hanns Joachim Friedrichs: „Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache; dass er überall dabei ist, aber nirgendwo dazugehört.“

Vollmer: Natürlich kenne ich diesen Satz. Aber für mich war klar, dass ich auf Seiten der betroffenen Menschen stehe. In Rheinhausen und in allen anderen Arbeitskämpfen.

Wann waren Sie zuletzt in Rheinhausen?

Vollmer: Vor ein paar Tagen. Anlässlich der Ausstellung, mit der an den Arbeitskampf erinnert wurde.

Erkennen die Leute in Rheinhausen Sie heute noch?

Vollmer: Ja, schon. Menschen grüßen mich, kommen auf mich zu, reden mit mir. Manche in tiefster Vertrautheit. Das ist manchmal komisch für mich, nach so langer Zeit erkenne ich nicht sofort alle wieder. Doch wenn wir dann ein wenig miteinander reden, ist schnell wieder alles da.