Duisburg.

Die Schlange vor dem Grammatikoff reicht bis auf den Dellplatz. Lauter gut gelaunte Menschen jeder Altersklasse, die geduldig auf den Einlass warten. „Anjas Singabend“ hat sich binnen sechs Jahren zum Publikumsmagneten entwickelt.

Anja Lerch, die Duisburger Sängerin mit der markanten Stimme, gibt die Chorleiterin 2.0 am Keyboard, wirft die Liedtexte per Beamer an die Wand - und das 260-köpfige Publikum singt. Oder die Jungs vom Tresen, oder der Mann am Mischpult, oder die Mädels von der Empore, abwechselnd, gemeinsam. Laut und lustig. Manchmal mit Hüfte kreisen, gerne mit Schunkeln und schwappendem Bier.

Einfach drauf los singen

Birgit Paar und Marta Hoffmann genießen das: „Man muss nicht besonders schön singen, sondern einfach drauf los - und das unabhängig von einem Chor, ohne Zwang, feste Termine, einfach weil man Lust hat“, erzählen die zwei. Auch Männer lassen sich nicht lumpen. Jörg Götte etwa hat sich von seiner Frau locken lassen. Er singe unheimlich gern und unheimlich laut, aber eigentlich recht schlecht. Das macht hier nichts. Kumpel Eduard Patzelt ist schon in der Pause heiser gesungen. „Ich mach morgen Stillarbeit“, kündigt der Lehrer an.

Die monatliche Song-Auswahl ist geprägt von den Wünschen der Stammgäste - und davon, was spontan singbar ist: „Anastacia geht gar nicht, die singt zu viele Schlenker“, weiß Lerch. Was immer geht, sind: Abba, die Beatles - und Hildegard Knefs Rote Rosen. Es kommen aber nicht nur alte Kamellen zum Zug. Aktueller Pop wie „Alles nur in meinem Kopf“ von Andreas Bourani funktioniert mit diesem heterogenen Publikum, das grob geschätzt von 16 bis 80 reichen dürfte.

Immer im Programm ist was aus der Kategorie klassisches Liedgut, ein Gruß aus der Mundorgel, immer dabei auch etwas, das nicht zwingend Lied zu nennen ist. Das Intro aus der Fernsehserie Flipper etwa, die Star-Wars-Melodie. Und zu „Laurentia“ gehen alle in die Knie - und singen mit. Je nach Temperament hochkonzentriert oder mitgroovend, volltönend, brummbassig, glockenhell.

"Aus Spaß anne Freud"

Für den alten Max-Werner-Schlager „Rain in May“ soll der „Chor“ klatschend das markante taktak-taktak des Schlagzeugs simulieren, der Rhythmus geht allerdings zwischen zwei Strophen verloren und schon entrüstet sich Anja Lerch: „Das ist ja hier wie inner Schule, wenn man euch nicht in den A... tritt, macht ihr nix.“ Die Gescholtenen lachen, die Neudorfer Kodderschnauze grinst, trinkt einen Schluck Bier und greift wieder in die Tasten. „California dreaming“ von The Mamas & The Papas sitzt dann so gut, dass Lerch am liebsten den Buzzer wie bei Voice of Germany drücken würde. Ohne Jury beklatscht man sich eben selbst, und den Nebenmann, den Saal, die Idee.

„Meine Omma hat beim Spülen gesungen, einfach aus Spaß anne Freud“, erzählt Anja Lerch von ihren Ursprüngen. Und das tut auch sie, lässt sich von ihren drei Kindern begleiten und dann wird die Küche gerockt. Das räumt sie innerlich auf. „Wenn man singt, kann man nix Böses denken“, ist sie sicher und erzählt stolz, das ihr Publikum beglückt nach Hause geht, weil „es einfach gut tut, kein Zwang ist“.

Ihre Gage ist der Hut - in Form von Spardosen, die durch die vollen Reihen kreisen. Eigentlich dürfte man über die Veranstaltung gar nicht berichten, sonst kommen ja noch mehr Menschen. Das sieht Anja Lerch aber locker, die Mercatorhalle oder das Stadion würde sie auch zum Singen bringen.