Duisburg. Rund 2400 Contergangeschädigte leben derzeit in Deutschland. Die Duisburger Firma Paradicta bringt nun den Betroffenen den Umgang mit einer Spracherkennungssoftware bei. Künftig sollen sie Briefe diktieren oder chatten können ohne vor der Tastatur zu sitzen.

Stephan Hafeneth zündet sich eine Kippe an. Die Zigaretten steckt zwischen dem dicken und dem zweiten Zeh. Der 50-Jährige raucht, isst und tippt sogar SMS mit dem rechten Fuß. Hafeneth ist einer der jüngsten Contergangeschädigten in Deutschland. Im November 1961 wurde das Medikament vom Markt genommen, einen Monat vorher wurde seine Mutter schwanger. Ihm fehlen beide Arme, das linke Bein ist verkürzt. Um zu laufen, braucht er eine Prothese.

„Viele Conterganopfer haben Folgeschäden, etwa am Rücken, weil sie sich immer so krümmen müssen.“ Zumindest für dieses Problem gibt es jetzt eine Lösung. Die Duisburger Firma Paradicta bringt im Auftrag von Grünenthal den Betroffenen den Umgang mit einer Spracherkennungssoftware bei. So können sie künftig Briefe diktieren oder chatten und müssen nicht mehr vor der Tastatur sitzen. Es ist ein Pilotprojekt.

Mitarbeiter ist selbst Betroffener

Rund 2400 Contergangeschädigte leben derzeit in Deutschland, etwa 800 wohnen in NRW. Stephan Hafeneth ist einer von ihnen. Er gehört zu den Contergan-Aktivisten, die sich für eine Verbesserungen der Versorgungssituation der Contergangeschädigten einsetzen – und auf eine angemessene Entschädigung von der Firma Grünenthal pochen.

Grünenthal sponsert

Viele Verbände, die die Contergangeschädigten vertreten, sehen das Engagement von Grünenthal kritisch und wollen trotz der zusätzlichen Hilfe eine höhere Entschädigung der Betroffenen erreichen. Grünenthal verweist allerdings auf Entschädigungszahlungen in der Vergangenheit. „Contergan bleibt Teil der Unternehmensgeschichte und wir wollen mit dem Thema verantwortungsvoll umgehen. In Gesprächen mit Betroffenen haben wir viel über die Schwierigkeiten gelernt, die sich für die Betroffenen bei der Bewältigung des Alltags ergeben“, erklärt Grünenthal-Sprecher Frank Schönrock. Deshalb habe man sich entschlossen, ein solches Projekt zu unterstützen. Die Duisburger Firma ist dem Konzern empfohlen worden.

„Ein Traum wäre es, wenn Spracherkennung irgendwann in den Heilmittelkatalog aufgenommen würde. Schließlich wäre so eine Software auch eine Hilfe für Schlaganfallpatienten, die zwar noch sprechen, aber ihre Arme nicht mehr bewegen können“, erklärt Thomas Mack. Dazu müsste der Bundestag eine entsprechende Erweiterung auf den Weg bringen. Würden Schulungen dieser Art anerkannt, könnten die Krankenkassen die Kosten übernehmen.

Er hat einen ebenso bunten Lebenslauf wie Paradicta-Chef Thomas Mack. Hafeneth studierte Sprach-, Literatur- und Politikwissenschaften, arbeitete im Büro, machte sich mit einer Rohrreinigungsfirma selbstständig und heuerte zuletzt beim Architekten an. Briefe tippte er mit dem Fuß. Dann machte er eine Schulung bei Mack mit und wurde prompt von ihm eingestellt. Nun schult er selbst und macht anderen Betroffenen Mut.

Teure Austattung

Sein Chef ist gelernter Medizinisch-Technischer Assistent, hat Sport studiert und, bevor er die Firma gründete, als Systemadministrator gearbeitet. Nun will er den technischen mit dem sozialen und gesundheitlichen Aspekt verbinden. „Wach auf“, spricht Mack in sein Headset und fordert den Computer damit auf, zu starten. „Sehr geehrte Damen und Herren Komma“, setzt Mack fort. Der Cursor bewegt sich wie von Geisterhand über das virtuelle Blatt und schreibt den Brief. Später kann man noch einzelne Passage markieren, umstellen – alles funktioniert auf Kommando.

„Am Anfang muss man den Computer an die Stimme gewöhnen, dann klappt das gut.“ Paradicta arbeitet mit dem Spracherkennungsprogramm „Dragon Naturally Speaking“, dem Marktführer. Rund 4500 Euro kostet das Equipment und die Einführung in das Programm. Für 15 Betroffene übernimmt Grünenthal die Kosten. In anderen Fällen könnte das Arbeitsamt helfen.

„Das erleichtert das Leben sehr“

„Das erleichtert das Leben schon sehr“, sagt Stephan Hafeneth, schließlich braucht er sich nun nicht mehr über eine Tastatur zu beugen, sondern kann beispielsweise auch im Stehen oder Liegen schreiben. Zudem sind für viele Betroffene die diktierten Mails oder Chats eine Möglichkeit, Freundschaften zu pflegen.

Hafeneth ist trotz seiner Behinderung ein aktiver Mensch. Er hadert nicht mit seinem Schicksal.