Mainz/Duisburg. . Für einen Skandal reichte es nicht, Aufsehen und -regung provozierte die Duisburger Folkpop-Band Mobilée im Fernsehgarten aber schon: Ohne Absprache zogen sich die Musiker selbst gebastelte Pussy-Riot-Sturmhauben über und führten die ZDF-Playback-Show ad absurdum.
Die Idylle im ZDF-Fernsehgarten hat schon etliche „Skandale“ überstanden: Moderatorin Andrea Kiewel machte einst Schleichwerbung für die Weight Watchers und wurde geschasst, 2010 knutschten zwei schwedische Musikerinnen vor laufenden Kameras so leidenschaftlich, dass die etwas Älteren und die ganz Jungen im Publikum erröteten, und jüngst sollen auch noch betrunkene Störenfriede die sommersonntägliche Familienunterhaltung auf dem Lerchenberg gestört haben. Für einen echten Skandal reichte da der Protest nicht, den sich die Mitglieder der Duisburger Band Mobilée für ihren Auftritt in der Live-Sendung vorigen Sonntag ausgedacht hatten. Ein Promoter ihrer Plattenfirma beklagte dennoch, er hätte während des Auftritts gleich „zwei Herzinfarkte“ überstehen müssen.
Wobei die Folkpop-Formation um Sängerin Caroline Wolter ohnehin keinen Krawall im Familienfernsehen anzetteln oder das ZDF vorführen wollte, wie Keyboarder Kai Schumacher im Gespräch mit der WAZ-Mediengruppe versicherte. Und ihre Solidarität mit den zu Haftstrafen verurteilten Mitgliedern der russischen Punkband „Pussy Riot“ haben in den vergangenen Tagen neben westlichen Politikern ja schließlich Popstars wie Madonna und Coldplay ebenso wie Anfänger auf Stadtfestbühnen bekundet. Mobileé aus Duisburg hatten sich also den ZDF-Fernsehgarten dafür ausgeguckt.
Als sie dort am Sonntag ihren Song „Lay down here“ vortrugen – die Single veröffentlicht Marktführer Universal Records übrigens kommenden Freitag –, zogen die Duisburger nach zwei Minuten ihre bunten Pussy-Riot-Sturmhauben aus den Taschen und über ihrer Gesichter. Ein Freund der Band, der bis dahin einen Waschbrettspieler dargestellt hatte, gab mit Putin-Maske den russischen Präsidenten, der ihnen den Mund verbieten will. Dabei konzentrierte sich Sängerin Caroline Wolter mehr auf ihre schauspielerische Einlage als auf das Playback und bemühte sich auch gar nicht mehr, ihre Lippen synchron zum vom Tonband abgespielten Song zu bewegen.
ZDF-Playback-Show ad absurdum geführt
„Von der Protestaktion wussten nur wir etwas, wir hatten sonst überhaupt niemanden eingeweiht“, sagt Keyboarder Schumacher. „Das ist ja schließlich unsere Meinung, da lassen wir uns weder von der Plattenfirma noch vom ZDF reinreden.“ Gleichwohl habe die Gruppe damit gerechnet, „dass die Security dazwischen geht“. Die Sendeleitung der Live-Show aber zeigte weiter den Auftritt. Danach erklärte Moderatorin Kiewel ahnungslosen Zuschauern mit Seitenhieb auf Putin auch noch routiniert die Botschaft der Performance. Einige Zuschauer hätten zwar gebuht, so der 32-Jährige, noch mehr aber applaudiert. „Viele sind dafür sogar extra aufgestanden.“
Dass sie nebenbei auch noch die ZDF-Playback-Show ad absurdum geführt hat, betrachtet die Band als weitere Metapher: „Wenn man Musiker mundtot macht, läuft die Musik trotzdem weiter.“ Dass Künstler im ZDF-Fernsehgarten, in dem das Publikum vor allem Schlagerstars feiert, nicht live auftreten, sei „ja eh ein offenes Geheimnis“, findet Kai Schumacher. Darauf deutet auch hin, was ein ZDF-Sprecher am Montag berichtete: „Am Zuschauertelefon hat es keine Reaktionen auf den Auftritt gegeben.“
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Was die Band allerdings wundert: In der ZDF-Mediathek ist ihr Auftritt noch immer nicht zu sehen. Vor einigen Monaten, bei ihrem ersten Gastspiel im Fernsehgarten, war er nach wenigen Stunden online. Der ZDF-Sprecher vermutet „verwertungsrechtliche oder vertragliche Gründe“, kann aber niemanden aus der Redaktion erreichen. Für die ist der Montag der freie Tag. Immerhin: Die ZDF-Kindernachrichten „Logo“ zeigten die Aktion.
Keyboarder: ehrlicher Protest statt Eigenwerbung
Auch die Sendeleitung habe am Sonntag noch das Gespräch mit der Band gesucht, so Schumacher, „aber überhaupt nicht so negativ reagiert wie wir erwartet hatten.“ Vielleicht auch, weil Pussy-Riot-Protest politisch korrekt und nun salonfähig ist. Dem Verdacht, dass die Aktion eine kalkulierte PR-Aktion für ihre neue Single und das am 14. September erscheinende Album „Walking On A Twine“ war, widerspricht der Musiker vehement: „Die Verurteilung der Pussy Riots und unser Auftritt lagen zufällig zeitlich nah beieinander. Wir haben diese große Plattform auch genutzt, weil wir überrascht sind, dass der Protest im Netz abflacht und dieser Skandal verharmlost wird. Wir sind aber nach wie vor der Meinung, dass die Verurteilung eine völlig überzogene Repression ist, eine Hetze der Regierenden.“
So wild und so politisch wie die Punks von Pussy Riot musizieren die sechs Duisburger, die in Rheinhausen proben, übrigens nicht. Ihren Gute-Laune-Folkpop garnieren sie mit Mandolinen und Akkordeon. Und obwohl das Sextett erst seit zwei Jahren zusammenspielt, wurde der Branchenriese Universal auf die Kapelle aufmerksam. Die ursprünglich für Mai geplante Veröffentlichung des Debütalbums verschob Universal auf Mitte September, wohl aus „marketingstrategischen Gründen“, vermutet Schumacher und bleibt tapfer höflich. Für die Newcomer lief es auch so bislang bestens: Zuletzt spielten sie im Vorprogramm von Tim Bendzko und Roxette.
Mitte November starten die Duisburger dann eine eigene Clubtour. Da kann man sie dann ohne Playback erleben. Zum Beispiel am 29. November, beim Heimspiel im Duisburger Grammatikoff.