Duisburg. . Am Lehrstuhl von Professor Kerres wird E-Learning nicht nur gelebt in Form von Vorlesungen auf Video-Portalen. Es wird auch erforscht und weiterentwickelt. Hörsäle ersetzen kann es jedoch nicht.

Vorlesungen nur noch per Video anschauen, Klausuren computergestützt schreiben - E-Learning klingt nach einem prima Mittel, der Studentenflut Herr zu werden. Dieser Idee schiebt Prof. Dr. Michael Kerres jedoch einen Riegel vor: „Es ist eine naive Vorstellung, zu glauben, dass E-Learning eine billige Alternative zum klassischen Unterricht ist“.

Er ist Professor für Mediendidaktik und Wissensmanagement an der Universität Duisburg-Essen und leitet hier das Duisburg Learning Lab sowie das Online - Studienprogramm „Master of Arts in Educational Media“. Er hält also nicht nur Vorlesungen, die später als Video auf Youtube oder Lernplattformen für Studierende abrufbar sind. Er forscht auch darüber, wie moderne Medien als didaktisches Mittel einsetzbar sind. „Ohne digitale Medien ist Lernen ja gar nicht mehr denkbar“, weiß Kerres. Aber: E-Learning ist keine Patentlösung für leere Hörsäle, sondern eine didaktische Variante, die das Studieren flexibler macht.

Flexibler Studieren

Sein liebstes Werkzeug ist aktuell „Drupal“, ein Community-System ähnlich wie Facebook, auf dem Netzwerke gebildet werden. Denn gezeigt hat sich, dass Studierende immer noch gern in Präsenzveranstaltungen gehen und mit Gleichgesinnten arbeiten, um echte Menschen zu erleben. „Die Abbrecherquote bei Fernstudiengängen liegt bei bis zu 90 Prozent“, sagt Kerres. An seinem eigenen Lehrstuhl liegt sie bei nur zehn Prozent, denn seine Forschungen ergaben, dass neben der Lernintensität die soziale Bindung existenziell ist.

Soziale Prozesse, die Studierenden im normalen Uni-Alltag gar nicht bewusst sind, werden für das virtuelle Lernen nachgebildet: „Man braucht das Gefühl, eingebunden zu sein, von Menschen angesprochen zu werden“, weiß der Forscher.

Wichtigstes Instrument ist deshalb das Learning-Lab, ein Labor, das eher wie ein Fernsehstudio aussieht. Mit Beamern und Beleuchtung, mit Kameras, separatem Regieplatz, mit Werkzeugen zur Bild- und Ton-Bearbeitung. Damit kann man sich den Menschen praktisch nach Hause holen. Ob zukünftig ein Studium ganz ohne persönliche und direkte Kontakte möglich ist, mag Kerres nicht prognostizieren. Sein zweitwichtigstes Kommunikationsmittel ist deshalb ein kapitaler Grill: An zwei Wochenenden im Semester treffen sich die Studierenden aus aller Welt in Duisburg und da gehört zum Fachgespräch auch das gemütliche Beisammensein.

Lernen ohne Grenzen

Dem E-Learning sind fachlich im Prinzip keine Grenzen gesetzt. Für Fachbereiche von der Landwirtschaft bis zur Zahnmedizin werden Möglichkeiten entwickelt. Ein Beispiel: Ein Gartenbauer entdeckt einen Schädling auf seinem Feld. Er fotografiert es mit seinem Smartphone, stellt es in ein Forum und die Gruppe diskutiert, was nun zu tun ist.

Studis reden Klartext

Cem (28), 8. Semester VWL:
Cem (28), 8. Semester VWL: "Am Anfang waren die Vorlesungen total überfüllt. Und manche Klausuren können nur einmal jährlich geschrieben werden, nicht einmal pro Semester. Da verliert man viel Zeit. Dafür ist die PC-Ausstattung in der Bibliothek gut." © WAZ FotoPool
Simon (30), 6. Semester WiWi:
Simon (30), 6. Semester WiWi: "Das Bachelor-Studium lässt keinen Platz für etwas anderes. Man muss kontinuierlich lernen, auch am Wochenende, auch abends. Aber ich habe es so gewollt, aus meinem früheren Beruf als Bankkauffrau wollte ich ‘raus." © WAZ FotoPool
Mneg (22), studiert Germanistik in Peking:
Mneg (22), studiert Germanistik in Peking: "Ich bin seit Herbst 2010 hier als Austausch-Studentin. Mir gefällt die Uni gut. Die meisten Kommilitonen sind nett. Also, fast alle. Am besten finde ich die Mensa, das Essen ist spitze." © WAZ FotoPool
Japeth (34), 6. Semester WiWi:
Japeth (34), 6. Semester WiWi: "Ich bin Vater einer Tochter. Ich habe sie hier an der Uni im Kindergarten. Das ist super. Wäre die Uni nicht so familienfreundlich, hätte ich nicht noch studieren können. In Kamerun habe ich früher in einer Bank gearbeitet." © WAZ FotoPool
Malte (25), studiert Primarstufe (Grundschul-Lehramt):
Malte (25), studiert Primarstufe (Grundschul-Lehramt): "Eigentlich nervt mich gar nichts an der Uni. Ich hätte ganz gern Lehramt nach dem Bachelor-/Master-System studiert, aber das fängt ja erst im Herbst an. Das Verschulte fände ich gut." © WAZ FotoPool
Jörn (23), Lehramt Sport und Mathe:
Jörn (23), Lehramt Sport und Mathe: "Ich bin froh, dass ich noch das Lehramt-Studium nach alter Art studieren kann. Ich habe mich auch extra darum bemüht, das war für die Wahl des Studienorts entscheidend." © WAZ FotoPool
Yeter (23), 6. Sem. Lehramt Germanistik:
Yeter (23), 6. Sem. Lehramt Germanistik: "Die Toiletten sind eine Zumutung. Die meisten sind sanierungsbedürftig, dreckig und kaputt. Die Türen kann man oft nicht schließen. Gut sind nur die neuen Klos im Audimax." © WAZ FotoPool
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Neben dem Lern- ist auch das Campus-Management ein Thema. Prüfungsergebnisse online abfragen, zu Seminaren anmelden, all das sollte möglichst einfach und selbst erklärend passieren. In einem speziellen Labor lässt sich die Nützlichkeit einer Internetseite testen, hier wird etwa die Blickrichtung der Probanden gemessen, wie lange sie wo hin schauen, wie sie mit den Anwendungen klar kommen.

Das alles klingt nicht nach einem reinen Internet-Freak. Was sind sie denn nun, Herr Kerres?

„Interdisziplinär, ich habe zehn Jahre in einer Informatik-Fakultät gelehrt, zehn Jahre in der Psychologie und Pädagogik, so können wir Themen breit anpacken“. Praktisch, Kerres und seine Mitarbeiter können nicht nur neue Methoden erforschen und bauen, sondern auch gleich ihre Nutzbarkeit evaluieren. Und dann im schlimmsten Fall auch selbst wieder löschen.

Die Universität Duisburg-Essen beschäftigt am Lehrstuhl von Prof. Dr. Kerres 20 Wissenschaftler, zehn weitere Mitarbeiter sowie regelmäßig Gastwissenschaftler aus der ganzen Welt. Jährlich nimmt er eine Million Euro ein und ist damit einer der großen Lehrstühle an der UDE.
Weitere Informationen über das Learning-Lab: http://mediendidaktik.uni-duisburg-essen.de/learninglab