Duisburg. Im Duisburger Norden kämpft eine Bürgerinitiative gegen den Abriss ihrer Siedlung zugunsten von Parkplätzen für ein geplantes Einkaufszentrum. Was die Mieter zusätzlich empört: Die Stadt hat sie nie über die Pläne informiert – Oberbürgermeister Adolf Sauerland stellte sie aber auf einer Fachmesse in Cannes vor.
Es ist die jüngste Bürgerinitiative des Ruhrgebiets, die sich in der Marxloher Kreuzeskirche versammelt hat. Aber die meisten der rund 200 Leute sind jenseits der 70, sind mit Hut, Stock oder gar Rollator gekommen. Konzentrierte Thyssen-Gesichter, die Münder zeigen nach unten. Sie sollen „vertrieben“ werden, so empfinden sie es. Ihre Siedlung im Duisburger Norden – 400 Wohnungen, etwa 1000 Mieter – soll einem „Factory Outlet Center“ weichen. Genauer: den Parkplätzen.
Das trifft die Würde: Sie, die das Ruhrgebiet mit aufgebaut haben, umgesiedelt für die Parkplätze eines Einkaufszentrums für Markenwaren aus dem Vorjahr. Und man spricht nicht mal mit ihnen. Die Stadt ignoriert sie einfach. Von ihrem geplanten Umzug haben sie aus der Zeitung erfahren. Obwohl die Politik ihn lange vorbereitet hat.
Wer die Siedlung „Zinkhüttenplatz“ in Obermarxloh das erste Mal betritt, der darf sich fragen, was die Leute hier hält: Blocks, die meisten mit sechs Geschossen oder mehr, umriegeln eine große Wiese. Alles atmet die 50er-Jahre. Der Niedergang begann schon, als die Siedlung noch einer Thyssen-Tochter gehörte, bevor sie 2004 an „Immeo Wohnen“ überging, und bevor Immeo zwei Jahre später von einem französischen Fonds geschluckt wurde. Den Rosenpavillon gibt es längst nicht mehr.
Die meisten Bewohner sind alt und gebrechlich
Aber gepflegt ist die Anlage, nur wenige Gebäude wirken sanierungsbedürftig. „Das ist doch alles in Ordnung“, sagt Werner Braasch. „Warum soll das denn weg?“ Der 70-Jährige teilt seine Geschichte mit den meisten Nachbarn: Sechzig Prozent sind über 70 Jahre alt, rund zwei Drittel haben bei Thyssen malocht. Sind im harten Winter 1978/79 durch den Schnee zum Werkstor gestapft, um zu streiken. Viele haben am Zinkhüttenplatz ihre erste eigene Wohnung gefunden – viele haben ihr Leben hier verbracht.
„Sozialverträglich“ soll die Umsiedlung ablaufen. Immeo will bald an die German Development Group verkaufen, die das Center plant, macht den Mietern bereits Angebote, organisiert Wohnungsbesichtigungen. Aber viele fürchten eben höhere Mieten und die Kosten einer neuen Einrichtung, fürchten Treppenstufen und keinen Anschluss mehr zu finden. „Die Witwen hier leben knapp über dem Sozialsatz“, sagt Helga Vocke, die fast 50 Jahre hier wohnt. Manche Mieter sprechen von „minderwertigem Wohnraum“, der ihnen angeboten werden soll. Immeo erklärt das Gegenteil, der Ton wird schriller.
Aber im Kern geht es um Heimat und Stolz.
„Und dann für Parkplätze!“
Auch der Werksfahrer Braasch hat sich lange bemüht um eine Thyssen-Wohnung, Erst als seine Frau Margret 1966 schwanger wurde, legte der stellvertretende Direktor ein gutes Wort für ihn ein, aber erst nachdem er den dicken Bauch mit eigenen Augen gesehen hatte. Einen „guten Leumund“ musste man haben. Ein ehrlicher, ein tüchtiger Arbeiter sein. Das alte Ruhrgebiet.
„Und dann für Parkplätze!“ Diesen Satz hört man immer wieder. Und: „Warum redet keiner mit uns?“ Oder: „Besser sollen sie mich mit den Füßen voran hier raustragen“, sagt eine 80-jährige Frau.
Tatsächlich sind die Mieter überrumpelt worden. Als der Stadtrat im März 2010 erstmals einen Plan für das Outlet-Center beschließt, soll es noch Platz finden auf dem Gelände der Rhein-Ruhr-Halle und des maroden Stadtbads, das zum Parkhaus werden soll. Erst Ende September 2011 gelangt die Information an die Öffentlichkeit, dass das Outlet-Center doch größer werden soll. Dass Mieter in zwei oder drei Ausbauphasen umgesiedelt werden sollen – im ersten Rutsch für Shops, im zweiten für Parkplätze. Politiker aller Parteien haben sich da schon mehrere Monate mit diesem Plan beschäftigt. Und am 17. Oktober wird er beschlossen. Gültig wird er aber erst nach dem üblichen Bürgerbeteiligungsverfahren, das bald beginnt.
Karlheinz Hagenbuck von der unabhängigen Wählergemeinschaft SGU hat als einziger Ratsherr dagegen gestimmt. Er war für den Erhalt der Rhein-Ruhr-Halle, sagt aber auch: „Wenn man sich die ersten Vorlagen genau angeschaut hat, konnte man sehen, dass die vorgesehenen Parkplätze nie gereicht hätten.“
Tatsächlich hatte die Stadtverwaltung unter Oberbürgermeister Adolf Sauerland schon in ihrer Ausschreibung vom Juni 2011 eine Erweiterung vorgeschlagen: Der Investor könne ja entsprechende private Verträge schließen.
Damit begründen nun auch die Befürworter ihr bisheriges Schweigen. Frank Börner, planungspolitischer Sprecher der SPD: „Es ist erst mal das Handeln von privaten Leuten.“ Stadtsprecherin Anja Huntgeburth: „Das ist nicht Sache der Stadt ... eindeutig Privatrecht.“ Aber Börner sagt auch: „Würde es eine funktionierende Stadtspitze geben, würde man versuchen, die Information der Mieter zu koordinieren.“
Tatsächlich gibt es nun diesen Versuch von Seiten der Stadt und der SPD, nachdem die Mieter sich organisiert haben. Doch kaum ein Befürworter hat sich ihnen bisher gestellt. Bis auf SPD-Ratsherr Manfred Slykers, der bei einer der ersten Mieterversammlungen dazu aufrief, sich zu organisieren, obwohl er kurz zuvor für den Abriss gestimmt hatte: „Ich hatte im Unterbewusstsein, dass es noch länger dauert, bis das Outlet in den Bereich der Wohnungen ausgeweitet werden soll.“
Unterstützung kommt vom Mieterbund
In der Kreuzeskirche bekam die Bürgerinitiative auch Unterstützung vom Deutschen Mieterbund. Vorstand Jürgen Effenberger: „Vorm Bundesgerichtshof wäre eine ,bessere wirtschaftliche Verwertung’ des Grundstücks schwer nachzuweisen, wenn Parkplätze gebaut werden.“ Auch er sieht die Stadtspitze in der Pflicht, zu informieren. „Der Oberbürgermeister ist den Bürgern verpflichtet. Es geht um ihre Heimat.“
Oberbürgermeister Sauerland stellte das erweiterte Outlet-Center allerdings Mitte November auf einer Immobilien-Fachmesse in Cannes vor. Und so hängen nun neue Anti-Sauerland-Plakate am Zinkhüttenplatz, die mal nichts mit der Loveparade zu tun haben – außer, dass auch hier die Übernahme von Verantwortung eingefordert wird.