Duisburg. .
Die Etappenziele für ihre Tour durch Nordamerika sind fest terminiert. Als Marion Wittung-Halsband nach der Buchung kontrolliert, für wann der Zwischenstopp ihrer Reisegruppe in New York geplant ist, da liest die Neudorferin: 11. September 2001.
Erst Kanada, danach die Ostküsten-Metropolen in den USA: Diese ebenso verlockende wie verheißungsvolle Route war es, der Marion Wittung-Halsband und ihr Mann Klaus im Reisebüro den Zuschlag gaben. Alles war gebucht, die Reise bestätigt, die Vorfreude riesig. Doch dann kam drei Wochen später der entscheidende Anruf: Es gebe bislang zu wenig Teilnehmer, ließ ein Sprecher des Reiseunternehmens verlauten. Daher werde sich der Trip komplett um eine Woche nach hinten verschieben, weil es dann mehr Interessenten gebe. Abflugtermin zum Startpunkt Montreal war somit also nicht mehr der 3., sondern erst der 10. September 2001. Dieser Termin wurde auch eingehalten.
Kaum in Kanada angekommen, begann für die aus rund 50 deutschen Touristen bestehende Reisegruppe tags darauf – am Morgen des 11. September – eine Stadtrundfahrt durch Montreal. Gerade aufgebrochen, machte plötzlich im Bus eine Schreckensnachricht die Runde: In New York hat es Anschläge mit Passagier-Flugzeugen auf das World Trade Center gegeben.
Erst Unglaube. Dann kollektives Entsetzen.
„Und richtig flau im Magen ist mir geworden, als unser Reiseleiter dann sagte, dass bei dem ursprünglich geplanten Verlauf genau an diesem Tag die Manhattan-Besichtigung angestanden hätte – mit einem Besuch der Twin Towers“, sagt Wittung-Halsband. „Und da wurde uns allen schlagartig klar, dass wir wohl da oben auf den Hochhäusern gewesen wären.“ Die 59-Jährige muss schlucken, als sie das sagt.
Weil auch in Kanada niemand weiß, ob nicht auch dort entführte Flugzeuge in der Luft sind, die von Terroristen als Waffen genutzt werden, schließen bald alle Pforten zu Regierungsgebäuden und anderen beliebten Touristen-Zielen. Zurück im Hotel sieht das Ehepaar im TV erst das ganze Ausmaß der Katastrophe. Alle geplanten Ausflüge in den kommenden Tagen werden abgesagt. Kurz wird diskutiert, die Tour komplett abzubrechen. Eine Mehrheit spricht sich aber dagegen aus.
„Da war ein fürchterlicher Gestank“
Nach langen Verhandlungen erhält die Reisegruppe am 17. September die Erlaubnis, das Etappenziel New York ansteuern zu dürfen. „Das war in diesen Tagen die bestbewachte und meistgeschützte Stadt der Welt. Ich habe noch nie so viele Polizisten und Kontrollpersonal gesehen“, erzählt Wittung-Halsband von ihren ersten Eindrücken nach der Ankunft. Als sie mit der Fähre nach Staten Island übersetzt, kann sie einen Blick auf den Trümmerberg erhaschen, der auch eine Woche nach den Anschlägen noch immer vor sich hin qualmt. „Da war ein fürchterlicher Gestank“, erinnert sich die Augenzeugin.
Unvergessliche Bilder und Eindrücke
Auch sonst ist der Aufenthalt im „Big Apple“ geprägt von aufwühlenden Erlebnissen. „Wildfremde Leute sind auf uns zugekommen, alle mit einem Foto in der Hand.“ Und sie alle hätten dieselben Fragen gestellt: Haben sie meinen Sohn gesehen? Haben sie meine Frau gesehen? Könnten sie meinem Mann bitte sagen, dass er zu Hause anrufen soll, falls sie sie ihn sehen sollten? „Diese Eindrücke werden wir wohl nie mehr vergessen.“
Doch nicht die verzweifelt suchenden Angehörigen sind die erste Erinnerung, wenn Wittung-Halsband heute beim Stichwort „New York“ in ihrem Gedächtnis kramt. Nein, als erstes Bild hat sie die gigantische Qualmwolke und diesen beißenden Rauch vor Augen. Das Allerwichtigste sei aber, dass sie damals durch die Terminverschiebung vor dem Schlimmsten bewahrt wurden. „Da sind wir unserem Schutzengel wohl zu ewigem Dank verpflichtet.“