Duisburg. .
Es wird scharf geschossen in der Annastraße im Stadtteil Rheinhausen. Und es sind nicht die ersten Vorfälle. Das Milieu in Duisburg bleibt sich selbst überlassen.
Neun-Millimeter-Munition gefällig? Dieses unmoralische Angebot hat man Karsten Vüllings erst kürzlich unterbreitet – in seiner eigenen Redaktion, bei Echo West, einer Stadtteilzeitung für Rheinhausen. Der Waffendealer fand auch nichts dabei, hat sich noch gewundert, als er hochkant rausgeworfen wurde: „Wie, Sie haben keine Waffe?“
Vüllings hatte nie das Gefühl, eine Waffe zu brauchen in Rheinhausen, genauer Hochemmerich. Auch jetzt nicht, da hier am Sonntagabend scharf geschossen wurde, quer über die Annastraße. Eine Kugel hat das Schild eines Friseurgeschäfts durchlöchert. Duisburgs wilder Westen? Wenn der Besitzer das Einschussloch in seiner gelben Reklametafel präsentiert, bekommt man dieses Gefühl.
Acht bis zehn Schüsse haben Zeugen gehört. Mehrere Patronenhülsen fand die Polizei, die sofort und massiv einrückte mit über hundert Beamten, aber keine Verletzten und keine Waffen. Und die zwei Verdächtigen, die zwischenzeitlich festgenommen wurden, sie tragen nicht zur Aufklärung bei. Ein dritter Mann wird gesucht.
Die Schießerei am Sonntag war nicht der erste Vorfall
Vüllings weiß, dass die Annastraße und die Atroper Straße ein gefährliches Pflaster sind. Ein Milieu rund um einen türkischen „Sporttreff“, Milchglas, kein Einblick. Ein dubioser Winkel. Die Schießerei am Sonntag war nicht der erste Vorfall. Vor einem halben Jahr schoss jemand vom Gehweg der Annastraße auf einen vorbeifahrenden Mercedes. Das Projektil blieb in der Fahrertür stecken, verletzt wurde niemand. Und im April 2009 stürmte ein Spezialeinsatzkommando ein Wohnhaus, brach Türen mit einer Ramme auf, nahm drei Männer fest. Die Nachbarn wussten von Beteiligungen an Drogengeschäften, Glücksspiel und Autoschiebereien.
Wer will hier wem mit Schüssen drohen?
Die Polizei wollte das damals nicht bestätigen. Sie äußert sich auch jetzt nur zurückhaltend zu den Gerüchten um zwei Banden, die sich hier bekriegen. Verweist darauf, dass „erstmal nur dieser eine Fall bearbeitet wird“ – aber Ermittlungen gegen die organisierte Kriminalität würde man auch kaum bestätigen. Es mag sein, gibt Polizeisprecher Ramon van der Maat immerhin zu, dass es sich „um Drohgebärden oder Imponiergehabe handele“, wenn jemand so viele Schüsse abgebe und nichts treffe. Wer will wem also drohen?
Karsten Vüllings spricht aus, was die meisten in der Straße wohl wissen: Demnach sind es drei Brüder, die hier krumme Geschäfte treiben. Und eine Bande von „sieben oder acht Brüdern aus Friemersheim“, die in diesen Kiez drängt. Die Geschäftsleute an der Straße klagen unter der Hand über Schutzgelderpressung. Das einzige, was wohl helfen würde, sei eine stärkere Präsenz von Polizei und Ordnungsamt, sagt Vüllings, Redakteur, Vorsitzender des Werberings und liberaler Bezirkspolitiker in Personalunion. „Aber überall wurden Stellen abgebaut.“
Die meisten Anwohner machen mittlerweile einen Bogen um den zwielichten Winkel. Für Monika Cinzyk ist die Annastraße seit Sonntagabend „gestrichen“, für ihren Mann ebenso. „Wir nehmen jetzt die Bertastraße zum Markt“, sagt die 55-Jährige. „Wie in Klein-Chicago“ habe sich die gebürtige Rheinhauserin gefühlt, als sie von den Schüssen gehört hat.
Auf der Atroper Straße gibt es einen türkischen Supermarkt, einen türkischen Friseur, ein türkisches Reisebüro. Wettbuden, Spielhallen und Internetcafes: fest in türkischer Hand. Wer einmal um die Ecke geht, findet auf der Annastraße die weniger beliebten Läden, bei denen von außen nicht zu erkennen ist, was eigentlich hinter den zugeklebten Schaufenstern vor sich geht. Erst wenn es dunkel wird, erwacht das Treiben vor den Hauseingängen.
Politik und Stadt haben so gut wie aufgegeben
Dabei waren die beiden Straßen bis in die 1980er-Jahre hinein fester Bestandteil des Rheinhauser Einkaufszentrums. Dann setzte der Schrumpfungsprozess ein, Ketten verdrängten die inhabergeführten Geschäfte, dann kamen die Leerstände. Obwohl der Marktplatz nur einen Steinwurf entfernt liegt, haben die Straßen den Anschluss verloren.
An dieser Stelle gegenzusteuern, haben Politik und Stadt so gut wie aufgegeben. Der Fokus liegt woanders. Während die Stadt den Marktplatz im Vorjahr aufwändig umgestaltet hat, der Bauverein die Fassaden seiner Häuserzeilen saniert und am Markt für zwölf Millionen Euro ein neues Geschäftshaus und Pflegeheim entsteht, bleibt die Entwicklung wenige Meter weiter sich selbst überlassen.