Duisburg. .
Sie wollte „nur mal die Stimmung auf der Loveparade erleben“, erinnert sich die Duisburgerin Monika Tietz. Doch dann entkam sie nur knapp dem Unglück. Einen Monat danach erzählt die Künstlerin, wie sehr sie die Tragödie bewegt.
Techno hört Monika Tietz selten, zur Raver-Szene gehört sie schon gar nicht. Trotzdem wollte die 52- jährige Duisburgerin vor einem Monat auf die Loveparade. Die Stimmung aufsaugen, einfach erleben, wie die Massen zu den dröhnenden Beats feiern. Doch es kam anders. Nur knapp entgingen Monika Tietz und ihr Ehemann dem Unglück. Sie waren auf der Rampe zum Festival-Gelände, auf der 21 Menschen ihr Leben ließen, und kamen nicht mehr vorwärts.
Eigentlich wollten sie gar nicht bis auf das Gelände gehen, sondern nur das Treiben in der Stadt beobachten, erinnert sich Monika Tietz einen Monat nach dem Unglück. Doch dann ist es gar nicht so voll, wie sie erwartet hatten. Kurzerhand entschließen sie sich, doch bis zu den Floats zu gehen. Im Karl-Lehr-Tunnel sind zwar viele Leute unterwegs, aber eng wird es erst auf der Rampe: „Wir kamen nicht mehr vorwärts. Die Menge staute sich die Rampe hinunter.“ Auf der Hälfte der Strecke blieben alle Besucher plötzlich stehen. Dicht an dicht.
Im oberen Teil der Rampe klettern einige Raver über die Absperrung, während andere an den Zäunen wackeln. „Ich habe mich gewundert, dass weder Polizei noch Ordner diese Leute daran gehindert haben. Die Zäune hätten schließlich in die Menge fallen können.“ Überhaupt habe sie in der Masse keine Ordner und Polizisten ausmachen können. Es war voll, eng, stickig, aber die Stimmung bei den Feierlaunigen ist trotzdem gut gewesen. „Niemand hat großartig gemeckert oder war sauer. Alle wollten zu den Floats und tanzen.“
Mitten auf der Rampe drehen sie um
Weil es zum Partygelände nicht weiter geht, beschließt das Ehepaar gegen Viertel vor fünf, sich auf den Heimweg zu machen. Mitten auf der Rampe drehen sie um, quetschen sich zum Tunnel hinunter und drängeln sich in Richtung Düsseldorfer Straße durch - den selben Weg zurück, den sie gekommen waren. „Als ich mich umgedreht habe, war die Situation nicht wiederzuerkennen“, erinnert sich Monika Tietz heute. Innerhalb kurzer Zeit, so Tietz, habe sich die Lage zugespitzt: „Von Neudorf aus drängten unglaublich viele Menschen aus dem Tunnel auf die Rampe.“ Auch auf der Düsseldorfer Straße wird es eng, statt in Richtung Hauptbahnhof werden die beiden von der Polizei über Hochfeld geschickt und stranden schließlich am Dellplatz. Noch während das Ehepaar auf dem Weg ist, kommt es an der Rampe zur Katastrophe. Wo Tietz vor Minuten umgekehrt war, kämpften Menschen verzweifelt um ihr Leben.
Doch davon bekommt das Ehepaar nichts mit. Erst als Monika Tietz im Café Movie am Duisburger Filmforum Getränke holt, liest sie im Fernseher im Lauftext von der Tragödie. „Zehn Tote. Ich war total überrascht“, sagt Tietz. Mit ihrem Mann überlegt sie, wo es passiert sei könnte. „Wir dachten, dass die Menschen an den Floats ums Lebens gekommen seien. Denn in dieser Richtung war es ja zuerst voll.“
Auf die Idee, dass sich die Tragödie an der Rampe abgespielt hat, kommen die Duisburger gar nicht. „Den ganzen Abend habe ich immer wieder Berichte im Fernsehen angeschaut, um das irgendwie zu verstehen.“ Doch so ganz gelingt es ihr nicht. Erst als sie am Montag in den Tunnel geht.
Dort begreift sie, dass sie genau an der Stelle war, wo es passierte. Auf der Rampe. Nur wenige Minuten vor der Katastrophe. 21 Menschen starben dort, wo sie eben selbst noch auf ein Weiterkommen wartete. Monika Tietz ist der Massenpanik nur knapp entgangen. Ergriffen von den Hunderten Kerzen und Blumen keimt in der Malerin und Grafik-Designerin eine Idee: Sie müsse irgendetwas tun, damit die Rampe ein Ort der Trauer bleibt. Damit dieses überwältigende Gefühl angesichts der Trauergaben am Unglücksort bleibt. Damit die Erinnerungen nicht verblassen.
Ort der Stille und Besinnlichkeit
„Ich habe mich gleich daran gesetzt und eine Art Gedenkstätte entworfen“, sagt Tietz. „Auch als Verarbeitung der Geschehnisse für mich.“ Ihre Idee: eine mindestens 15 Meter hohe senkrechte Röhre aus Glas und Stahl, die von innen begehbar ist. Die hohlen Glaswände sollen mit den unzähligen Trauerkerzen gefüllt werden. „Dieser Ort soll die Beklemmung, die Platzangst im Tunnel erlebbar machen. Und gleichzeitig ein Ort der Stille und Besinnlichkeit sein.“ Die Röhre soll oben offen sein, so dass der Himmel zu sehen ist. Jeweils nur eine Person soll sich in der Gedenkstätte aufhalten können, auf Augenhöhe will Tietz auf 21 Tafeln die Namen der Opfer schreiben.
Ihre Idee hat sie in der Woche nach dem Unglück zahlreichen Personen und Institutionen in Duisburg vorgeschlagen, auch der Stadt – noch bevor es den Bürgerkreis Gedenken gab. Rückmeldung gab es nur wenig. „In der Zeitung habe ich dann gelesen, dass es einen gläsernen Gedenkkubus geben soll, in dem die Trauergaben aufbewahrt werden. Eine Idee, die meinem Entwurf sehr ähnlich sieht“, stellt Monika Tietz traurig fest. Ein wenig resigniert hat sie deshalb in ihrer Zusammenarbeit mit den Verantwortlichen. „An die entscheidenden Leute kommt man nicht ran.“ Man sei nie direkt auf ihre Vorschläge eingegangen, habe nie mit ihr gesprochen, sie nie eingeladen. Nur von den Kirchen und den Entsorgungsbetrieben bekam sie eine Zusicherung, dass die abgebrannten, roten Kerzenhalter aus dem Tunnel und von der Trauerfeier aufbewahrt werden.
„Ich will nur helfen“
Ins Rampenlicht will Monika Tietz nicht mit ihrem Entwurf. „Ich will nur helfen. Ich kann nicht verstehen, warum ein Wettbewerb für eine Gedenkstätte ausgeschrieben werden soll. Ums Geld darf es nicht gehen. Mit so etwas darf keiner Geld verdienen. Es geht nur um eine würdige Erinnerung.“ Ihre Idee versteht sie als Spende – und hofft, dass Unternehmen das Material für die Gedenkstätte spenden.