Duisburg. .
Bei der Trauerfeier in Duisburg haben Angehörige, Rettungskräfte und Spitzenpolitiker der 21 Todesopfer der Loveparade gedacht. Ministerpräsidentin Kraft versprach in einer bewegenden Ansprache die Aufklärung der Geschehnisse.
Am Ende verneigen sie sich alle vor den 21 Kerzen, die kurz zuvor einzeln für jedes der Opfer der Loveparade angezündet wurden. Mit einem ökomenischen Gottesdienst in der Salvatorkirche gedachte Duisburg, gedachte Nordrhein-Westfalen, ja, das ganze Land den Toten dieser Party, die vor einer Woche in eine Massenpanik mündete.
Schweren Ganges hatten sie eine Stunde zuvor das gotische Kirchenschiff durch einen Seitengang betreten, nun werfen sie mit erstarrten Gesichtern, mit Tränen in den Augen, zum Teil gestützt auf ihre Liebsten, einen letzten Blick auf diese Kerzen, die ihre Kinder, ihre Geschwister, ihre Enkel und ihre Freunde symbolisieren sollen. Auch Kanzlerin Angela Merkel, Bundespräsident Christian Wulff, Bundestagspräsident Norbert Lammert haben sich da schon vor den Toten verneigt.
„Mein Gott, diese jungen Menschen.“ Anneliese Müller sagt das mit leiser, leicht zitternder Stimme und Tränen in den Augen, während ihr Mann ihr beruhigend die Hand tätschelt. Das ältere Ehepaar gehört zu den etwa 2000 Trauergästen, die sich am Samstagvormittag in der MSV-Arena versammelt haben, um der 21 Toten und mehr als 500 Verletzten der Loveparade zu gedenken.
Getrauert haben an diesem Samstag viele Duisburger
Auch wenn nicht so viele zu den öffentlichen Gedenkfeiern gekommen sind: getrauert haben an diesem Samstag viele Duisburger. Selbst in der Innenstadt auf der Königstraße reicht der Geräuschpegel bei weitem nicht an den „normalen“ Krach eines Samstags heran.
Nur einige Dutzend Trauernde kamen vor der offiziellen Trauerfeier zur Karl-Lehr-Straße, legen an der Gedenkstelle Blumen ab oder zünden Kerzen an. Unter ihnen auch Ruhr2010-Chef Fritz Pleitgen, der einen Kranz niederlegt, eine Weile verharrt und die Kommentare an Wänden und auf dem Boden studiert. Schließlich bringt ein Notfallseelsorger die große Gedenkkerze mit einem Bus in die MSV-Arena. Danach sperrten Polizeibeamte endgültig den Tunnel.
Auf einen regelrechten Massenansturm hatten sich die Sicherheitskräfte im Vorfeld eingestellt. Dutzende DVG-Busse, die die Trauernden vom Hauptbahnhof zum Stadion bringen wollten, bleiben leer, die Parkplatzflächen vor dem Stadion, auf denen der Trauergottesdienst aus der Salvatorkirche ebenfalls übertragen wurde, sind, bis auf wenige Personen, verwaist. Dafür jede Menge Polizei, Ordner und Rettungsdienst-Kräfte. Klar, diesmal wollte niemand etwas dem Zufall überlassen. Eine Woche nach der Katastrophe war das Motto „Lieber zuviel als zuwenig“.
Viele derjenigen, die in die Arena gekommen sind, um der Toten und Verletzten zu gedenken, sind irritiert über die wenigen Anwesenden. „Ich hab extra mein Auto schon ganz am Anfang abgestellt, weil ich dachte, dass es hier richtig voll werden würde“, erzählt Timo Schnettger und spekuliert: „Wahrscheinlich sind viele zuhause geblieben, weil sie eben nicht in Menschenmassen geraten wollten.“ Andere wie Thomas Wallkötter halten dagegen: „Es scheint, als ob die Katastrophe für viele schon abgehakt ist.“
Bei denen, die an diesem Morgen zu der Trauerfeier gekommen sind, allerdings ist von „abgehakt“ keine Spur. Die Stimmung ist gedrückt, einige haben Rosen mitgebracht, viele lauschen den Worten, die in der Salvatorkirche gesprochen werden. Da passt es ins Bild, dass ein martialisch aussehnder Biker „2010 Death-Parade - in erfürchtigem Gedenken an die 21 Todesopfer“ in weiß auf seine schwarze Kutte geschrieben hat.
„Die Loveparade wurde zum Totentanz“
„Die Loveparade wurde zum Totentanz, liebe Gemeinde“, hat Nikolaus Schneider, der Präses der evangelischen Kirche im Rheinland seine Predigt begonnen, mitten hinein in ein Fest überbordender Lebensfreude habe der Tod allen sein schreckliches Gesicht gezeigt. „Wir ringen um Fassung und suchen nach Trost, nach Verstehen und Verständnis“, sagt er. Und auch der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck bemüht sich in seiner Predigt, Trost zu spenden: „Es bleibt schwer, mit dem zu leben, was geschehen ist. Und doch bleibt etwas und geht weiter, was auch der Name der Loveparade zum Ausdruck bringt: die Liebe“.
Trost und Trauer, das Miteinander und das sich gegenseitig Stützen sind ihre Themen an diesem Morgen, aber auch nach Schuld und Verantwortung fragen sie in ihren Gebeten. Nicht nur weil die Frage des Warum noch immer ungeklärt ist, auch weil es Menschen gibt, die „an Schuld zu zerbrechen drohen“. Weil in diesem Unglück, in all dem Leid auch eine Neigung zur vorschnellen Verurteilung bestehe: „...damit Wut und Zorn nicht die Stadt regieren“.
Besonders bewegend ist die Rede von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft. Sie, die vor einer Woche selbst lange auf Nachrichten von ihrem Sohn warten musste, hat in den vergangenen Tagen mit vielen Angehörigen der Opfer persönlich gesprochen. Sie sucht Worte des Trosts, ringt mit Worten, nach Erklärungen und mahnt, die Worte eines betroffenen Vaters zitierend, zur Umkehr. Wenn der grausame Tod seiner Tochter im Nachhinein noch einen Sinn bekommen könne, dann den, „unser aller Wertesystem zu überdenken“. Da spricht Hannelore Kraft mit belegter Stimme, müht sie sich um Fassung.
Einer ist in dieser für die Stadt so schweren Stunde nicht anwesend: Adolf Sauerland.
Tatsächlich ist an diesem Morgen die politische Elite des Landes in Duisburg vertreten. SPD-Chef Sigmar Gabriel, Außenminister Guido Westerwelle, Grünen-Chef Jürgen Trittin, Gesine Lötsch von der Linken und neben der fast vollständig erschienen NRW-Landesregierung auch Karl-Josef Laumann, der Fraktionschef der NRW-CDU und Gerhard Papke, Fraktionschef der NRW-FDP. Auch die beiden Geschäftsführer der Ruhr 2010 GmbH, Fritz Pleitgen und Oliver Scheytt, verharren vor dem Tisch mit den 21 brennenden Kerzen.
Einer jedoch ist in dieser für die Stadt so schweren Stunde nicht anwesend: Duisburgs erster Bürger Adolf Sauerland. Der Oberbürgermeister könne, wenn er teilnehme, so hieß es vor dem Gottesdienst, womöglich die Gefühle der Angehörigen verletzen, da die Frage der Verantwortung doch sehr auf der Stadt als Mitveranstalter laste.
Szenenwechsel: Noch während der Trauergottesdienst läuft, besuchen einige Dutzend Menschen die Unglücksstelle. Die Tunnel selbst sind gesperrt, ein großes Polizeiaufgebot steht bereit, aber an der Karl-Lehr-Straße leuchtet ein Kerzenmeer, das sich weiter vergrößert. Ein junger Mann hält seine Freundin im Arm, während diese unter Tränen mit einem der Notfallseelsorger spricht, die auch hier vor Ort sind. Immer wieder Kopfschütteln, ernste Mienen. An der Straße hängen Zettel und Schilder, die die Trauer der Menschen ausdrücken. Aber auch die Wut. „Steht endlich ALLE zu dem, was ihr unterlassen habt und erspart den Angehörigen diese Farce“ ist dort genauso zu lesen wie „Im stillen Gedenken“.
Tag der Loveparade-Tragödie als Gedenktag einrichten
Stadtdirektor Dr. Peter Greulich und Bürgermeister Benno Lensdorf standen auch eine Dreiviertelstunde noch ganz unter dem Eindruck der bewegenden Gedenkfeier. Greulich sprach von einer würdigen Feier, die ihn sehr aufgewühlt habe. Als bewegendsten Augenblick empfand Bürgermeister Benno Lensdorf (CDU) das Anzünden der 21 Kerzen. Jede stand für ein Todesopfer. Auch Greulich ging dieser Augenblick regelrecht unter die Haut: „Ein schmerzliches, aber schönes Zeichen.“ Lensdorf: „Ich habe innerlich eine totale Leere und bin wie gelähmt.“
Lensdorf hoffe nur, dass man recht schnell zu einer sachlichen Aufarbeitung der Tragödie komme. Auf die Frage, ob es richtig war, dass Oberbürgermeister Adolf Sauerland die Gedenkfeier gemieden hat, sage Lensdorf: „Es steht mir nicht zu, darüber zu entscheiden. Diese Entscheidung muss jeder für sich selbst selbst treffen.“ Aus Kreisen der Spitzenbeamten war zu hören, die Stadtverwaltung agiere führungslos. Dazu Dr. Peter Greulich: „Es bedarf einer aufräumenden Hand. Und die biete ich an.“
Der Stadtdirektor plädierte auch dafür, den Tag der Loveparade-Tragödie als Gedenktag einzurichten. „Das ist ganz wichtig.“ Er begrüßt den Vorschlag des Möbelunternehmers und künftigen Grundstücksbesitzer Krieger, bei der künftigen Planung des ehemaligen Güterbahnhofgeländes eine Kapelle einzurichten. „Der Vorschlag ist weitsichtig und angemessen“, erklärte Greulich. Bischof Dr. Franz-Josef Overbeck teilt diese Ansicht, wie er zuvor auf Anfrage erklärte. Bürgermeister Benno Lensdorf regte an, dass man andere Städte wie Eschede oder Solingen besuchen sollte, um in Erfahrung zu bringen, wie diese Orte des Schreckens ihre Tragödien verarbeiten konnten.
Präses Schneider: „Auch einzelne, die versagt haben, bleiben Menschen!“
Und als in der Salvatorkirche das Violoncello längst verstummt ist, die prominenten Gäste abgereist, da steht Präses Schneider noch vor den Kirchentüren und mahnt vor laufenden Kameras vor einer Hetzjagd auf „einzelne, die versagt haben. Auch sie bleiben Menschen!“