Duisburg. Er geht gern zur Schule, obwohl ihn ein Schüler angegriffen und krankenhausreif geschlagen hat. Wie sich der Lehrer heute schützt.
Als Spiegelbild der Gesellschaft sind Schulen kein Bullerbü. An Gymnasien, Realschulen, Gesamt- und Hauptschulen passiert Gewalt. Wie geht es einem Lehrer, der an seinem Arbeitsplatz von einem Schüler krankenhausreif geschlagen wird?
Einer von ihnen wollte sich damals schon nicht äußern, auch jetzt will er seine Erlebnisse nur ungern zum Thema machen, deshalb bleibt er hier anonym. Dafür ist er einfach nicht der Typ. „Ich mache sowas mit mir selbst aus“, betont der Mittvierziger, der weiterhin Lehrer an einer Schule in Duisburg ist. Wie kann man nach so einer Erfahrung wieder seinen Job machen, täglich mit Schülern umgehen?
Gewalt an Schulen: Jugendbanden tragen Konflikte auf dem Schulhof aus
An diesem Tag vor ein paar Jahren setzt er sich nach der ersten Aufregung stark blutend in ein Taxi und lässt sich in ein Krankenhaus fahren. Die körperlichen Wunden sind längst verheilt. Was genau passiert ist, habe er verdrängt. Die Hintergründe erinnert er noch: Dass ein Schüler von einer anderen zu seiner Schule wechselte und in der neuen Klasse einem Mitschüler begegnete, mit dem es eine Vorgeschichte gibt: Sie gehörten zu zwei rivalisierenden Duisburger Jugendbanden.
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Ihren Zoff tragen sie auch an der Schule körperlich aus. Die Klopperei, an der sich auch noch andere beteiligen, kann aber rasch gestoppt werden. Als Vertreter der Schulleitung schließt der Lehrer zunächst die beiden Hauptkontrahenten vom Unterricht aus. Der eine akzeptiert den Rauswurf. Der andere ist sehr aufgebracht, berichtet der Pädagoge.
Getrennt voneinander schickt er sie nach Hause. Der erste geht freiwillig. Der wütende Zweite bekommt eine Eskorte zum Schultor. Im Treppenhaus kommen ihnen jedoch Mitschüler entgegen, was zu einer Kurzschlussreaktion des Schülers führt: „Mit der Faust schlug er mir aufs Auge und auf die Nase. Das habe ich absolut nicht kommen sehen“, sagt der Lehrer.
Schule bekommt Unterstützung von Polizei, Jugendamt und Schulaufsicht
Was dann passiert, bleibt ein bisschen unklar, jedenfalls ist schnell die Polizei vor Ort. Stadt und Bezirksregierung stellen zeitnah ein Krisenteam auf. In den folgenden Tagen zeigen Schulpsychologen, Jugendamt, Polizei und Schulaufsicht in der Schule Präsenz. Die Gesprächsangebote seien für die Schulgemeinschaft gut gewesen: „Wir haben transparent und offen gehandelt.“
Der junge Täter sei der Schule verwiesen worden. Mit ihm gesprochen habe er nicht mehr, es gab keine Entschuldigung. Der Lehrer sagt, es sei ihm auch lieber, wenn der junge Mann auf Distanz bleibt, „ich möchte ihn nicht noch mal sehen“.
Immerhin hörte er, dass er die Kurve kriegte und inzwischen in einer Ausbildung ist. Ein Schüler richtete mal „schöne Grüße“ aus. Ob es juristische Folgen gab, weiß der Lehrer nicht, „ich habe bis heute nichts mehr dazu gehört“.
Bewährungsstrafe für den jugendlichen Schläger
Die Staatsanwaltschaft kann nach einiger Recherche aber berichten: Der Beschuldigte wurde zu einer Jugendstrafe von einem Jahr verurteilt. Statt die Strafe zur Bewährung auszusetzen, wurde eine Vorbewährung verhängt. Strafrechtlich gilt das als verschärfte Bewährung, in der ein Jugendlicher unter der besonderen Aufsicht der Jugendgerichtshilfe steht und sich die Bewährung erst verdienen muss. Das ist ihm offenbar gelungen: Die Vollstreckung sei später zur Bewährung ausgesetzt worden, schreibt Staatsanwalt Felix Bachmann. Parallel wurden zwei Freizeitarreste für beteiligte Jugendliche verhängt.
Der Lehrer denkt auch jetzt, ein paar Jahre später, immer noch „jeden Tag an diesen Vorfall, dann kommt plötzlich der Moment hoch“. Dennoch „macht mir meine Arbeit Spaß“. Man sieht es ihm an. Er beantworte Schülerfragen auch am Wochenende, sei immer ansprechbar. Die Tür zu seinem Büro: Immer offen. „Hier soll niemand mit Bauchschmerzen nach Hause gehen.“
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Sicherheitsleute und Deeskalationstraining
Sicherheitsleute, die beispielsweise im letzten Jahr an der Grillo-Gesamtschule eingesetzt wurden, um Drogendealer und andere Schulfremde vom Schulhof fernzuhalten, sind nicht seine erste Wahl. Das pädagogische Handwerkszeug sei ihm wichtiger, um sich an Schulen sicher zu fühlen. Anti-Aggressionstrainings wie die Fortbildung „Duisburg schlägt keiner“ des Jugendamts Duisburg könne den Kollegien ebenfalls helfen.
Ob er heute bei einer Klopperei dazwischen gehen würde? „Das muss jeder individuell einschätzen, es ist ja ein Unterschied, ob sich Fünft- oder Zehntklässler prügeln.“ Klar ist, dass es um gemeinsame Reaktionen gehen muss, um Schnelligkeit. Und um sofortige Konsequenzen durch Polizei, Eltern, die Möglichkeiten des Schulgesetzes. „Wir müssen weiter daran arbeiten“, ist er sich sicher, „gemeinsam“.
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>>GEWALT AN SCHULEN: FALLZAHLEN SINKEN
- Statistische Zahlen zu gewaltbedingten Unfällen an Schulen gibt es aus dem Jahr 2021 von der Deutschen Gesetzlichen Unfallkasse. Verbale bzw. psychische Aggressionen gegen Mitschüler und -schülerinnen, Vandalismus sowie Gewalt gegen Lehrkräfte sind darin allerdings nicht erfasst.
- Demnach gab es deutschlandweit 473.679 meldepflichtige Schülerunfälle, 32.864 davon waren gewaltbedingt, knapp 7 Prozent also.
- Seit 2008 sank die Zahl der gewaltbedingten Schülerunfälle kontinuierlich. Waren es da etwa 11 je 1000 Versicherte, so waren es kurz vor Beginn der Pandemie noch 8 pro 1000 Versicherte. Drei Viertel davon gehen auf das Konto von Jungen.
- Tödliche Unfälle passieren laut Unfallkasse besonders selten. Zuletzt starb 2011 in Köln ein 14-Jähriger an seinen Verletzungen nach einer Schulhofschlägerei.
- Laut Innenministerium haben 2022 fast 400 Lehrer Anzeige erstattet, weil sie bedroht oder verletzt wurden. In 55 Fällen handelte es sich um gefährliche Körperverletzung.