Duisburg. Aus der Not geboren: Wie sich ukrainische Frauen in Duisburg in einem Verein engagieren, was ihre Ziele sind und welches Erbe sie damit antreten.

Nach der Flucht vor dem Krieg in ihrer Heimat haben ukrainische Frauen in Duisburg einen Verein gegründet, um sich selbst und anderen ukrainischen Geflüchteten zu helfen: die „Ukrainische Frauen Union in Deutschland e.V.“. Hilfe bei der Integration und interkultureller Austausch gehören ebenso zu ihren Zielen wie die Bewahrung der eigenen Kultur und Identität.

Die Idee, einen Frauenverein zu gründen, hatte Viktoriia Grygorieva aus Kiew. Die 40-Jährige ist Juristin und kam gemeinsam mit ihrem Mann und ihrem Sohn nach Duisburg. Dem Einfall, einen solchen Verein zu gründen, geht eine bewegte Familiengeschichte voraus.

„Ukrainische Frauen Union in Deutschland e.V.“: Erbe einer unterdrückten Frauenbewegung

„Es gab schon einmal eine Ukrainische Frauenunion“, beginnt Viktoriia ihre Erzählung. „Die wurde während des 1. Weltkrieges in der Westukraine gegründet.“ Eine Vorfahrin von Viktoriia gehörte zu den Gründerinnen. Viktoriia stieß auf die Geschichte, als sie sich durch die Archive wühlte, um die eigenen Wurzeln zu ergründen:

Viktoriia Grygorieva ist von Kiew nach Duisburg geflüchtet.
Viktoriia Grygorieva ist von Kiew nach Duisburg geflüchtet. © Duisburg | Alexandra Roth

„Die Frauen hatten sich damals zusammengetan, um sich gegenseitig zu helfen und aufzuklären. Sie erlernten elementare Fähigkeiten wie einen Haushalt zu führen und die richtige Hygiene, politisierten sich aber auch und wirkten an der internationalen Frauenbewegung mit.“ Zu dem Zeitpunkt befand sich der Westen der Ukraine unter Österreich. Nach einer kurzen Periode der Eigenständigkeit als Westukrainische Republik fiel dieser Teil des Landes mit der sowjetischen Niederlage im sowjetisch-polnischen Krieg an Polen.

„Die Polen versuchten die ukrainische Identität zu unterdrücken“, erzählt Viktoriia. Das führte dazu, dass die Union 1938 von den Polen aufgelöst und viele ihrer Mitglieder verhaften wurden. „Nach einer kurzen Neugründung haben die Sowjets die Union 1939 schließlich vollends verboten.“

Auch interessant

Viktoriias Verwandte selbst wurde von sowjetischen Behörden verurteilt, weil man Bücher in ukrainischer Sprache in ihrem Schrank fand. Danach verliert sich ihre Spur. „Zu der Zeit wurde die Bevölkerung in der Westukraine durch sowjetische Soldaten in Massen erschossen. Ich denke, meine Vorfahrin wurde im Gefängnis ermordet, aber das werden wir nie erfahren“, sagt Viktoriia.

Auch wir sind Frauen im Krieg. Ich habe verstanden, dass es jetzt unsere Aufgabe ist, dieses Erbe aufrechtzuerhalten und die ukrainische Kultur und Identität zu bewahren
Viktoriia Grygorieva

Heute, rund 100 Jahre später, befinden sich ukrainische Frauen schon wieder in einer prekären Lage. Wieder werden die ukrainische Kultur und Nationalität von Vernichtung bedroht. „Auch wir sind Frauen im Krieg. Ich habe verstanden, dass es jetzt unsere Aufgabe ist, dieses Erbe aufrechtzuerhalten und die ukrainische Kultur und Identität zu bewahren.“ Und genau das machen die Frauen in Duisburg.

Auch interessant

„Unsere Ziele sind der Gemeindezusammenhalt, die Kultur- und Spracherziehung, Integrationshilfe, die Entwicklung handwerklicher und Kunstfertigkeiten und die Unterstützung der Frauenbewegung“, erklärt Viktoriia stolz. „Wir möchten einen Ort schaffen, an dem die Menschen ihr Selbstbewusstsein wiedererlangen können. Sich einfach unterhalten zu können und ein Draht zur Gesellschaft zu haben ist, was vielen Geflüchteten hier fehlt.“

Kinder- und Erwachsenentheater: Auch Deutsche sind willkommen

Eines der vielen Projekte der Union ist das Theater Kolodar. Vor kurzem führten die Kinder der Union das bekannte ukrainische Nationaldrama „Waldlied“ auf. „So ein Theater ist super für den Zusammenhalt“, erklärt Viktoriia. „Jeder hat eine Aufgabe. Die einen sind Schauspieler oder führen Regie. Die anderen basteln Bühnenbild und Kostüme, kümmern sich um Musik, Technik oder Verpflegung.“ Auch deutsche Kinder sind eingeladen an dem Theaterprojekt teilzunehmen. „So möchten wir den Austausch zwischen den Kindern und den Kulturen ermöglichen.“

Eine Lehm-Bastelaktion des Vereins für ukrainische Kinder und Jugendliche.
Eine Lehm-Bastelaktion des Vereins für ukrainische Kinder und Jugendliche. © Ukrainische Frauenunion Duisburg

Und auch für das kommende Jahr hat der Verein große Pläne. Viele Frauen und Kinder leiden an Kriegstraumata und können sich deshalb nur schwer in der neuen Umgebung zurechtfinden. „Wir werden ein wöchentliches psychologisches Training für Frauen und auch für Kinder anbieten, in dem sie lernen, mit ihrem Trauma umzugehen und wo sie Hilfe bekommen“, erzählt Viktoriia.

Auch interessant

Durchgeführt werden diese Trainings von einer ausgebildeten Psychologin, die selbst Mitglied der Frauenunion ist. Außerdem sollen Beratungen zum Thema Selbstständigkeit in Deutschland durchgeführt werden. „Viele Frauen haben ein Interesse daran, sich in ihrem Beruf selbstständig zu machen.“

Auch interessant

Wir machen, was jetzt wichtig ist. Was gemacht werden muss. Was danach kommt, kann keiner sagen.
Viktoriia Grygorieva

Trotz anhaltendem Krieg kehren viele Frauen in die Ukraine zurück. Auf die Frage, ob der Verein in Deutschland dennoch eine langfristige Zukunft habe, kann Viktoriia keine Antwort geben. „Wir machen, was jetzt wichtig ist. Was gemacht werden muss. Was danach kommt, kann keiner sagen.“

Aber je länger die Ukrainerinnen in Deutschland seien, desto unwahrscheinlicher würden sie zurückkehren, denkt Viktoriia. „Sicherheit ist momentan der wichtigste Faktor. Und in der Ukraine ist es für uns nicht sicher.“