Duisburg. Der Landschaftspark Duisburg-Nord ist längst ein Hotspot der Artenvielfalt in Nordrhein-Westfalen. Warum das wichtig ist und woran es liegt.
20 Jahre Naturschutz im Landschaftspark Duisburg-Nord. Ein Erfolg? „Wir sind zufrieden“, sagt Tobias Rautenberg, Mitarbeiter der Biologischen Station Westliches Ruhrgebiet. Früher ging es laut und heiß zu im Hüttenwerk in Meiderich. Kein Vogel hätte sich da wohlgefühlt. Heute bringt es die alte Industriebrache, die jährlich eine Million Besucherinnen und Besucher anlockt, auf 100 verschiedene Vogelarten. 40 davon brüten sogar dort.
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Zum Beispiel der seltene und stark gefährdete Gartenrotschwanz mit braunem Outfit und rotem Schwanz. Oder die Heidelerche. Sie ist unspektakulär, aber trotzdem ganz hübsch. Das unscheinbare Aussehen ergibt Sinn. Der Vogel nistet am Boden und kann es sich nicht leisten, schön und bunt zu sein. Er darf nicht entdeckt werden.
Woher wir das dennoch wissen? Von Rautenberg. Der Forscher beobachtet und lauscht im Park. Wenn ein Männchen singt, hat es dort sein Revier. Dann können die Experten davon ausgehen, dass dort auch Weibchen leben. Rautenberg erkennt fast jede der mehr als 400 in Deutschland lebenden Vogelarten am Singsang. „Das trainiere ich seit meinem zehnten Lebensjahr, als ich in der Jugendgruppe des Naturschutzbundes war“, sagt der 39-Jährige. Die Vogelstimmen sind alle auf der Festplatte im Kopf abgespeichert. Eigentlich ein Fall für „Wetten, dass..?“, falls es die Sendung doch nochmal geben sollte.
Biologische Station Westliches Ruhrgebiet ist seit 20 Jahren in der Region aktiv – und der Landschaftspark Duisburg-Nord ein wichtiger Standort
Heute arbeitet Rautenberg, der in Trier das seltene Fach Biogeographie studiert hat, bei der Biologischen Station Westliches Ruhrgebiet. Der Verein mit Hauptsitz in Oberhausen kümmert sich seit 20 Jahren in Bottrop, Duisburg, Essen, Mülheim und Oberhausen um die Vielfalt von Tieren und Pflanzen. Vor allem auch auf ehemaligen Industrieflächen, die besonders viele unterschiedliche Lebensräume bieten. Deswegen siedeln sich dort auch Pflanzen an, die eigentlich auf anderen Kontinenten zuhause sind. So kommt Multikulti in die Pflanzenwelt des Ruhrgebiets.
Seit 2005 steht Tobias Rautenbergs Schreibtisch im Landschaftspark, mit Blick auf den mittlerweile seit beinahe 40 Jahren erkalteten Hochofen. Vor ein paar Jahren glotzt plötzlich ein Uhu zurück. Der wollte wohl im alten Hüttenwerk ein neues Revier besetzen. Solche Momente machen Rautenberg besonders glücklich.
Der Vogelexperte pflegt sogar eine Excel-Liste mit allen Arten, die er vom Bürostuhl gesehen hat. Bisher stehen 56 verschiedene darauf, der Uhu ist einer davon. Der Vogel mit dem großen Kopf zog zwar nach ein paar Wochen weiter. Aber sein Foto hat es auf den Titel des Jahresberichts über die Artenvielfalt im Landschaftspark geschafft.
Gut 600 Pflanzenarten gibt es auf der alten Industriebrache – ein Viertel aller Arten in ganz NRW
Wie sähe der Landschaftspark wohl ohne die Arbeit der Biologischen Station aus? „Es würde weniger Pflanzen- und Tierarten geben, also weniger Biodiversität“, sagt Rautenberg. Auf den 180 Hektar der alten Industriebrache gedeihen heute 600 verschiedene Pflanzen. Das sind ein Viertel aller Arten, die es in Nordrhein-Westfalen gibt. Der Grund für die Vielfalt: Im Park gibt es trockene Böden, Feuchtgebiete und nass-dunkle Ecken, mit denen nur Spezialisten klarkommen. Also ein Tummelfeld für wildes Gewächs.
„Wenn wir hier nichts machen würden, hätten wir nur Büsche und Wald“, sagt Rautenberg. Deswegen setzen sich die Experten der Biologischen Station regelmäßig mit den Landschaftsgärtnern des Parks zusammen und besprechen, wie die unterschiedlichen Böden und Pflanzen gehegt und gepflegt werden. „Ein konventioneller Ansatz wäre in der Regel zu intensiv.“ Im Landschaftspark wird zwar auch gemäht und geschnitten. Aber nicht, wenn die Pflanzen blühen oder Vögel nisten. Und auch nicht überall gleich.
Selbst Pfützen haben ihren Sinn. Die finden zum Beispiel Kreuzkröten wunderbar. Also sorgen die Landschaftsgärtner dafür, dass es genügend davon gibt. Es klingt paradox: Aber das Gute am Wasser in der Pfütze ist, dass es im Idealfall nach ein paar Wochen verdunstet. Sonst schleichen sich auch Konkurrenten wie Wasserkäfer oder Libellenlarven hinein. Die Kreuzkröte geht also voll aufs Risiko. Ihr Nachwuchs braucht ein paar Wochen in einem am besten 30 Zentimeter tiefen Wasser. Aber dann sollte das Nass auch möglichst schnell wieder verschwinden.
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Um die Libellen muss sich aber trotzdem niemand Sorgen machen. Davon gibt es im Landschaftspark viele, nämlich 37 nachgewiesene Arten. 25 davon pflanzen sich jedes Jahr dort fort. Sie legen ihre Eier in Pflanzen, daraus entstehen Larven, die ein oder zwei Jahre im Wasser leben und andere fressen – mitunter auch ihre Artgenossen. Aus der Larve schlüpft dann die Libelle, die traurigerweise aber nur ein kurzes Leben in freier Flugbahn genießt: Je nach Art nur für ein paar Tage oder Monate.
Die herumliegenden Larven machen es den Experten der Biologischen Station wiederum leicht, den Bestand der Libellen zu erfassen: pro Libelle eine Larve. Ist also der Landschaftspark der Libellen-Hotspot von NRW? Rautenberg überlegt kurz. „Ich würde eher sagen, der Park ist ein Hotspot der Biodiversität.“ Und das sei besonders wichtig. „Denn je artenreicher ein Ökosystem ist, umso widerstandsfähiger ist es – auch gegenüber den Folgen des Klimawandels.“