Duisburg. Die überraschende Route der Castor-Testfahrt „schockiert“ in Duisburg. Ein zweiter Termin steht schon fest. Planung: 152 Atommüll-Transporte.
Anti-Atomkraft-Aktivisten wussten: Die Probefahrt eines leeren Castor-Behälters von Jülich im Südwesten Nordrhein-Westfalens nach Ahaus im Münsterland wird wohl durchs westliche Ruhrgebiet führen. Nach der Testfahrt für den Ablauf möglicher Atommülltransporte in der Nacht auf Mittwoch aber „waren wir schockiert“, sagt Kerstin Ciesla aufgeregt. Sie ist die Vorsitzende des BUND in Duisburg. Der Grund für ihre Empörung: Der von einem massiven Polizeiaufgebot bewachte Schwertransport machte nach ihren Angaben einen Abstecher nach Duisburg – und rollte quer durchs Stadtgebiet. Soll über diese Strecke also bald Atommüll rollen?
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Der Schwertransport hatte am Dienstagabend gegen 22 Uhr das Gelände der Jülicher Entsorgungsgesellschaft für Nuklearanlagen (JEN) verlassen. In Jülich lagern rund 300.000 Brennelement-Kugeln aus einem früheren Versuchsreaktor in 152 Castor-Behältern.
Wichtig: Über den Verbleib der 152 Behälter ist noch nicht endgültig entschieden. Eine Möglichkeit ist der Transport nach Ahaus. Diese Variante bevorzugen (anders als die NRW-Landesregierung) die Bundesministerien für Forschung, Umwelt und Finanzen.
Castor-Testfahrt von Jülich nach Ahaus: 170 Kilometer durch NRW – und etliche Kilometer durch Duisburg
Die Entfernung von Jülich nach Ahaus beträgt etwa 170 Kilometer. Der Schwertransport darf nur in der Nacht auf die Straße. Die Fahrt sei störungsfrei verlaufen, sagte eine Sprecherin der zuständigen Polizei Münster am Mittwoch.
Die Polizei hatte den Transport ebenfalls behandelt wie einen mit gefülltem Castor-Behälter. Dementsprechend war der Konvoi unter anderem mit Kräften einer Einsatzhundertschaft und geschätzt 30 Begleitfahrzeugen abgesichert worden.
Mehrere Initiativen von Atomkraftgegnern sprachen in einer Mitteilung von einem „massiven Polizeieinsatz“ auf den Autobahnen. Die Testfahrt sei damit „politisch gescheitert“. Den Initiativen gelang nach eigenen Angaben eine Dokumentation der Castor-Strecke von Jülich über die B56, die Autobahnen 44, 46, 57, 52, 3, 59 und 31 über Duisburg, Bottrop nach Ahaus.
Für Verwunderung und Entsetzen sorgte bei Duisburger Beobachtern die Route durch ihre Stadt, wie Kerstin Ciesla vom BUND diese schildert:
Demnach sei der Transport im Kreuz Breitscheid (A3/A52) nördlich von Düsseldorf auf die A3 Richtung Oberhausen gefahren.
Im Kreuz Kaiserberg (A3/A40), der Großbaustelle Spaghetti-Knoten, seien der Lkw und die Polizeieskorte nach „links“ auf die A40 Richtung Westen abgebogen.
Dort, wo bis Montagmorgen zehn Tage lang die Weiterfahrt Richtung Rhein abgeriegelt war, habe der Konvoi die A40 wieder verlassen und habe die Nord-Süd-Schlagader der Stadt genutzt, die A59.
In Fahrtrichtung Dinslaken habe die Kolonne vor der A59-Sperrung zwischen Marxloh und Fahrn erneut einen Richtungswechsel vollzogen: Über das Kreuz Nord (A42/A59) sei die Testfahrt „über die A42 zurück auf die A3 gegangen“, so Ciesla.
BUND-Vorsitzende: „Wollen die mit hochradioaktivem Material mitten durch Duisburg fahren?“
Die Erklärung für den Abstecher hinein nach Duisburg? Die BUND-Vorsitzende spekuliert: „Es könnte sein, dass der Castor zu schwer für andere Brücken auf dem Weg über die A3 war.“
Ein beladener Castor aus Jülich wiege 25 Tonnen, „eine beladene Transporteinheit insgesamt 130 Tonnen“, erklärt JEN-Sprecher Jörg Kriewel auf Nachfrage zum Hightech-Lastzug. Dieser sei etwa 30 Meter lang und habe 13 Achsen.
Was Ciesla in Alarmstimmung versetzt: „Ziel der JEN war es, die Abläufe zu testen, die später mit Atommüll folgen sollen. Wollen die also 2024 mit hochradioaktivem Material mitten durch Duisburg fahren? Ich kann nur hoffen, dass die Stadt Duisburg sich gegebenenfalls dagegen wehrt!“ Die Anti-Atom-Initiativen warnen vor einem „enormen Risiko“ durch Transporte über Autobahnen in NRW.
Das sagt ein JEN-Sprecher zu Risiken und zur Strecke
Zum Risiko sagt JEN-Sprecher Kriewel: „Die Radioaktivität am Castor-Behälter unterscheide sich nicht von der natürlichen Umgebungsstrahlung.“ Und: Die deutschen Sicherheitsvorschriften für den Transport von Kernbrennstoffen seien im internationalen Vergleich „mit die strengsten“.
Zur Streckenführung leerer und möglicherweise später befüllter Castor-Transporte könne er dagegen gar keine Auskunft geben, so Kriewel: Diese sei „Teil des Genehmigungsverfahrens“ durch das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) und unterliege darum der Geheimhaltung.
Der Sprecher bestätigt zur Einordnung immerhin: Ja, die Strecke, die jetzt abgefahren wurde, wäre im Falle der Castor-Transporte von Jülich nach Ahaus „eine mögliche Route“.
152 Transporte ab dem Frühjahr 2024 geplant
Kriewel verdeutlicht zudem, wie oft es solche Castor-Transporte geben würde, falls sie beschlossen und genehmigt werden: Der Projektplan der Entsorgungsgesellschaft für Nuklearanlagen sieht 152 Einzeltransporte ab dem Frühjahr 2024 vor. Etwa zwei Jahre später wären alle Brennelement-Kugeln in Ahaus.
Die zweite Option ist ein Verbleib des radioaktiven Mülls in Jülich. Diese Variante wird von CDU und Grünen, den Regierungsparteien in NRW, in ihrem Koalitionsvertrag aus dem Jahr 2022 bevorzugt.
Dazu bräuchte es allerdings ein neues Zwischenlager in Jülich. Die Genehmigung für das jetzige war schon Mitte des vergangenen Jahrzehnts abgelaufen. Jülichs Bürgermeister Axel Fuchs ist für einen Verbleib in der Stadt: Die Bevölkerung sehe das Thema unaufgeregt, in der Kommune gebe es Expertise.
Wie der mühsame Entscheidungsprozess zwischen Bund und Land, Behörden und Gerichten ausgeht, ist weiter ungewiss (siehe Infobox).
Zweite Testfahrt noch im November – wieder durch Duisburg?
Der Termin für eine zweite Testfahrt von Jülich nach Ahaus steht dagegen fest: In der Nacht von Dienstag, 21., auf Mittwoch, 22. November, fahren Vertreter der Atomaufsichtsbehörde mit, also des nordrhein-westfälischen Wirtschaftsministeriums.
Bei dieser „Kalthandhabung“ wird erneut kein nukleares Material transportiert, sondern nochmals ein leerer Behälter. Ob auch dieser wieder eine Stadtrundfahrt durch Duisburg macht? JEN-Sprecher Jörg Kriewel kann dies „weder bestätigen noch dementieren“.
Die Stadt Duisburg übrigens auch nicht. Das Bürger- und Ordnungsamt ist bei Großraum- und Schwertransporten zwar einzubinden und genehmigungsbefugt. Allerdings nur, wenn Duisburger Straßen „in kommunaler Hand“ betroffen seien, erläutert Stadtsprecher Peter Hilbrands:
„Autobahnen sind davon ausgeschlossen, weil diese im Besitz der Autobahn GmbH sind. Sofern ein Transport nur über Autobahnen geleitet wird, ist die jeweilige Kommune nicht anzuhören/eingebunden – und hat somit auch keine Kenntnis von einem derartigen Transport.“
>> ANTI-ATOMKRAFT-INITIATIVEN GEGEN DEN TRANSPORT NACH AHAUS
■ Die Anti-Atomkraft-Initiativen kritisieren an einem Zwischenlager in Ahaus auch eine fehlende Reparaturmöglichkeit für defekte Castoren. Zudem sei vor einer Endlagerung eine Neuverpackung der rund 300.000 Brennelement-Kugeln notwendig, die in Ahaus nicht möglich sei.
■ Weiterhin sei eine Klage der Stadt Ahaus gegen die Einlagerungsgenehmigung für die Jülicher Castoren vor dem Oberverwaltungsgericht Münster anhängig. (mit dpa, epd)