Duisburg. Sie sind im Grundschulalter und haben einen Angehörigen verloren. Profis der Kindertrauergruppe helfen ihnen, Erinnerungen zu Schätzen zu machen.
Heute ist nicht sein Tag. Tim ist einfach nur traurig, seine Augen sind rot, er kann die Tränen kaum zurückhalten und sprechen möchte er nicht. Die Schlüssel vom Schloss seiner Schatzkiste, die er so liebevoll bemalt hat, sind momentan nicht aufzufinden. So musste er das Kästchen zu Hause lassen – mit all’ den Erinnerungen darin.
Der Sechsjährige – die Namen der Kinder wurden zu deren Schutz verändert - ist eines der Kinder, die sich einmal im Monat im Malteser Hospizzentrum St. Raphael in Duisburg-Huckingen für anderthalb Stunden treffen. Alle haben einen engen Angehörigen verloren. Ein Jahr lang bekommen sie durch die Kinder-Trauerbegleitung „Bärenstark“ Hilfe, ein offenes Ohr und Ehrlichkeit im Umgang mit dem Tod.
In der Kindertrauergruppe wird der Tod konkret besprochen
Im Hospizzentrum stehen ihnen ausgebildete Kindertrauerbegleiterinnen zur Seite. In der Gruppe, die an diesem Tag am Tisch mit den knallgelben und orange leuchtenden Servietten sitzt, haben alle Kinder ihren Papa verloren. Zwischen sechs und elf Jahre alt sind die Kinder, die liebevoll begleitet und stark gemacht werden. Behutsam gehen Birgit Aulich und Elisabeth Buske mit den Kleinen um. Wer reden möchte, redet, wem nicht danach ist, wird in Ruhe gelassen, bis er von alleine die Initiative ergreift. Über den Tod wird nicht verklausuliert gesprochen, sondern erstaunlich konkret, offen und ehrlich. Aber immer mit Feingefühl.
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„Papa, ich vermisse dich soh sehr“, steht auf der Erinnerungskiste von Leonie. Ein pinkfarbenes und ein zerbrochenes Herz hat sie auf ihre Schatzkiste gemalt. Aus dem wertvollen Holzkästchen holt sie eine Sonnenbrille. „Die hat Papa immer getragen“, sagt die Neunjährige und zeigt allen Anwesenden stolz ihren Schatz. Krebs hatte der Vater zweier kleiner Töchter, der sich so jung von der Welt und der Familie verabschieden musste.
„Liebe dich“ hat die ältere Schwester auf ihre Schatzkiste geschrieben. Voll mit schönen Erinnerungen sind diese selbst bemalten Kästen. Alles, was den Kindern wichtig war vom Papa, legen sie da hinein. Bilder, Ringe, Brillen oder einen Reisepass – unglaubliche Schätze sind dort verborgen, die die Erinnerung wachhalten und beim Verarbeiten des Verlustes helfen.
Kreativ Kraftquellen erarbeiten und seine Trauer ausdrücken
Gelöst ist die Stimmung, leise, entspannt und friedlich die Atmosphäre. Erwartungsvoll verfolgen die Kinder, was die beiden geschulten Frauen für Überraschungen haben. Trauer kann man auf vielfältige Weise ausdrücken, Kraftquellen erarbeiten, aus denen man in schwierigen Situationen schöpfen kann.
Mit den Kindern wird gebastelt, eine kurze Geschichte wird vorgelesen, jede und jeder darf über seine momentanen Gefühle reden. Heute gibt es einen echten Meilenstein zur Bewältigung des Verlustes: Elisabeth Buske und Birgit Aulich haben Steine mitgebracht, die bemalt werden dürfen. Freier Lauf für Fantasie. „Sind die Farben wasserfest?“, fragt Lena spontan. Das ist ihr wichtig, denn auf ihrer Erinnerungskiste haben einige Regentropfen das bemalte Kunstwerk verwässert. Darüber ist sie traurig.
„Diese Acrylfarben halten auch Regen prima aus, da passiert gar nichts“, versichert Elisabeth Buske. „Ich brauch weiße Farbe“, ruft die Achtjährige und malt ihren Stein ganz weiß an. Dann kommt mit schwarzer Farbe ein Kreuz darauf. Stolz ist sie auf ihr Werk. Die Kinder werden aufgefordert zu erzählen, welchen Ehrenplatz der Stein bekommt. „Den leg’ ich aufs Grab“, sagt Lena spontan.
Vorher haben die Trauerbegleiterinnen über die Bedeutung von Allerheiligen und Allerseelen gesprochen. Beim nächsten Treffen geht es zum Bestatter, dann sehen sie, wie Särge und Urnen aussehen, bekommen alles rund um den Tod erklärt, damit sie eine realistische Vorstellung haben und nicht Schreckensfantasien entwickeln.
Unterschiedliche Erinnerungen an die Liebsten
Wie unterschiedlich Kinder mit dem Tod ihrer Liebsten umgehen, zeigt sich an der Bemalung der Steine. Tim hat ihn nur blau und grün verziert. Jedem Kind wird die Frage gestellt, warum es ein bestimmtes Motiv ausgesucht hat. „Papa fand die beiden Farben schön“, sagt der Kleine und ein Lächeln huscht über sein Gesicht. Julia hat ihren Stein ganz anders angemalt. An Silvester hat es mit Papa so ein schönes Feuerwerk gegeben. Das war richtig toll. Darum hab ich so viele bunte Punkte gemalt“, erklärt sie.
Ihren „Tränenteddy“ haben alle Kinder mitgebracht, den sie von der Gruppe „Bärenstark“ geschenkt bekommen haben. „Wir arbeiten auch eng mit der Forensik in Rheinhausen zusammen, die für uns die Schatzkästchen zimmern“, erklärt Elisabeth Buske. Reden, basteln, erzählen – alles hilft, den schmerzlichen Verlust zu verarbeiten. Zum Ende der anderthalb Stunden nimmt jedes Kind ein kleines Äffchen in die Hand, das von einem zum anderen weitergegeben wird und sagt kurz, wie die Gemütslage ist. Leonie geht es gut „weil ich euch alle so gerne hab“, sagt sie. Ein anderes Mädchen legt dem Stofftier beide Affenhände vor die Augen. „Ich bin traurig“, mehr will sie nicht sagen. Ein kleines Stückchen der Verarbeitung ist an diesem Tag wieder geschafft.
>>KINDERTRAUERBEGLEITUNG „BÄRENSTARK“
- Die Kindertrauerbegleitung „Bärenstark“ hilft, „der Trauer Ausdruck zu geben“. Andrea Kleinefehn ist Koordinatorin im Malteser Kinder- und Jugendhospizdienst, Katja Arens arbeitet als Leiterin Ambulante Hospizdienste für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Sie sind Ansprechpartner für Familien, deren Angehörige und Freunde und beraten telefonisch und im persönlichen Gespräch.
- Die Kindertrauergruppe der Sechs- bis Zehnjährigen bleibt immer ein Jahr lang geschlossen zusammen, um einen geschützten Raum zu haben.
- Wer mit einer Spende die Arbeit unterstützen möchte, findet alle Informationen unter www.malteser-straphael.de. Das Stichwort „Kindertrauerbegleitung Bärenstark“ muss unbedingt dazu geschrieben werden.