Duisburg. IS-Kämpfer Tarik S. (29) wohnt in einem Mehrfamilienhaus Tür an Tür mit einer jungen Familie. Spurensuche bringt Überraschendes ans Licht.
Die Spuren des rigorosen Anti-Terror-Einsatzes sind auch am Morgen danach unübersehbar. Eine Schreinerfirma hat die Wohnungstür dort geflickt, wo die Ramme der Polizei mehrmals einschlug. Am frühen Dienstagabend holten die schwer bewaffneten Spezialkräfte Tarik S. überfallartig aus der Wohnung im dritten Stock des Eckhauses an der Ecke Cecilienstraße/Mercatorstraße im Duisburger Dellviertel. Ein ausländischer Geheimdienst hatte zuvor den Hinweis gegeben, dass der vorbestrafte IS-Kämpfer plane, mit einem Lkw in eine Pro-Israel-Demo zu rasen.
Zwölf Parteien leben in dem vor nicht allzu langer Zeit renovierten Wohn- und Geschäftshaus im Dellviertel. Im Erdgeschoss bieten ein Beauty-Salon und eine Lohnsteuerhilfe ihre Dienste an. Das Duisburger Polizeipräsidium liegt nur wenige Hundert Meter entfernt. Der Verkehr auf der Mercatorstraße rauscht am vierstöckigen Wohnhaus vorbei, zum Steinbart-Gymnasium läuft man von hier keine Minute.
Hier lebte Tarik S.. Und das relativ unauffällig, wie mehrere Hausbewohner berichten. Schnell wird klar: In der Hausgemeinschaft herrscht Anonymität. Die Vorgeschichte ihres Nachbarn kannten die Menschen nicht – bis Dienstagabend.
Tarik S. aus Duisburg kämpfte jahrelang in Syrien für den IS
Der 29-Jährige wächst in Bielefeld auf. Alles ist zunächst unauffällig. Der Islam soll nach Angaben eines Spiegel-Berichtes in seinen Jugendjahren keine große Rolle gespielt haben. Seine Mutter ist wie er auch deutsche Staatsbürgerin. Nach dem Hauptschulabschluss findet der junge Mann keine Arbeit, es folgt ein Bruch: In seiner Moscheegemeinde eckt er an, wird immer unzugänglicher, nimmt schließlich den Weg in den Dschihad, den „Heiligen Krieg“.
2013 geht er nach Syrien, um für die Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) und deren Ziele zu kämpfen. Immer öfter taucht er in Propaganda-Videos auf. In einigen hält er die Köpfe enthaupteter Männer in die Kamera. Er macht sich einen Namen als „Osama al Almani“ – Osama, der Deutsche.
Nach übereinstimmenden Medienberichten kehrt Tarik S. 2016 nach Deutschland zurück. Am Frankfurter Flughafen wird er festgenommen. 2017 folgt der Prozess im Hochsicherheitstrakt des Düsseldorfer Oberlandesgerichtes. Dort gibt er zu, sich dem IS angeschlossen zu haben. Das Urteil: fünf Jahre Jugendhaft wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung.
Seit wann lebt Tarik S. in dem Duisburger Mehrfamilienhaus?
Von da an ist seine Spur schwieriger nachzuverfolgen. Eine zentrale Frage: Wie lange wohnte der vorbestrafte Islamist schon in Duisburg? Wann kam er frei? Eine konkrete Antwort darauf gibt es noch nicht.
„Wir wohnen seit einem Jahr hier. Als wir einzogen, war er schon da“, sagt eine Frau, die unter einem Dach mit dem 29-Jährigen lebt. Angesprochen auf dessen Gräueltaten in Syrien und die Bilder mit den verstümmelten Todesopfern, schlägt sie die Hand vor den Mund. „Das wussten wir nicht. Niemand hat so etwas geahnt – einfach furchtbar. Hoffentlich kehrt er nie zurück“, sagt sie. Auf der gleichen Etage würde auch eine junge Familie leben.
Für sie ergibt sich mit den Nachrichten über den Terrorverdächtigen und Gefährder ein vollkommen neues Bild von dem jungen Mann: Er sei immer freundlich gewesen. Allerdings habe man ihn selten gesehen – und wenn nur tagsüber. Vor seiner Wohnungstür stehen, anders als vor den anderen Wohnungen, keine Schuhe. Seine Fenster wirken von außen betrachtet unpersönlich, der Balkon ebenfalls. Keine Deko, keine Blumentöpfe, nichts.
[Duisburg-Newsletter gratis abonnieren + Seiten für Duisburg: Blaulicht-Artikel + MSV + Stadtteile: Nord I Süd I West + Themenseiten: Wohnen & Immobilien I Gastronomie I Zoo]
Die Haare trage der junge Mann mittlerweile kurz. Im Netz kursieren Fotos von ihm mit langer Mähne und Bart aus der Zeit in Syrien. Als die Polizei den 29-Jährigen am Dienstagabend aus dem Haus führt, hat er eine grüne Jacke der Outdoor-Bekleidungsmarke „The North Face“ über den Kopf gezogen.
Abends habe der stille Bewohner kaum das Haus verlassen. Lebte er allein? „Ich glaube schon. Besuch ist mir nie aufgefallen“, berichtet seine Nachbarin.
Tarik S. war nicht der Mieter der Wohnung
Ob Tarik S. aktuell einen Job hatte, ist – Stand: Dienstagvormittag – noch unklar. Das NRW-Innenministerium sprach davon, dass er zwischenzeitlich eine Arbeitsstelle gehabt habe. Überraschend: Nach Informationen unserer Redaktion war der 29-Jährige nicht der Mieter der Wohnung, sondern seit 2018 das Duisburger Diakoniewerk.
In welcher Form Tarik S. Kontakt mit dem kirchlichen Sozialverband hatte, das ist noch unklar. „Nach Auskunft der Polizei Essen gab es am Dienstag Hinweise auf einen möglichen geplanten Anschlag in Duisburg, die zur Ingewahrsamnahme einer Person in Duisburg geführt haben. Die Person ist im Umfeld des Diakoniewerks Duisburg bekannt“, erklärt Geschäftsführerin Pfarrerin Barbara Montag auf Nachfrage. Aufgrund der laufenden Ermittlungen könne die Diakonie zum jetzigen Zeitpunkt keine weiteren Auskünfte geben. „Die Behörden werden von uns umfassend unterstützt. Mehr können wir im Moment nicht sagen“, so Montag.
Das Diakoniewerk hilft unter anderem bei der Suche nach Arbeit und Ausbildung und der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt.
Vor dem Haus auf der Straße ist der SEK-Einsatz das Gesprächsthema unter Passanten. „Nicht schon wieder Ärger“, sagt eine Anwohnerin. Was sie meint: Im Haus gegenüber tötete ein 29-Jähriger im Frühling seine eigene Mutter mit einem Messer. Seit dem 12. Oktober läuft der Mordprozess gegen ihn.