Duisburg. Ein Weißwal im Rhein? Zu dieser Sensation kam es im Mai 1966 in Duisburg. Im damaligen Zoodirektor hat die wahre Geschichte auch ihren Bösewicht.

„Bei Rheinkilometer 778,5 haben wir einen weißen Wal gesichtet.“ Mit diesen Worten meldete sich am 18. Mai 1966 die Besatzung des Tankschiffes „Melani“ bei der Wasserschutzpolizei. War denn schon um 9.30 Uhr die Sicht der Schiffer so vernebelt? Die Beamten schnupperten ungläubig, ob die Matrosen nicht doch nach Alkohol rochen. Dann aber entdeckten auch sie den vier Meter langen Beluga im trüben Rhein. Die Sensation vor der Duisburger Industriekulisse war perfekt.

„Es dürfte seit Menschengedenken das erste Mal sein, dass ein Wal den Rhein hinaufschwamm“, schrieben die Redakteure dieser Zeitung. Immer wieder tauchte das Tier im damals noch schmutzigen Strom auf und der arktische Gast war im Nu zu einem medialen Ereignis geworden. Kamerateams, Fotografen und natürlich Hunderte Schaulustige pilgerten zum Rheinufer. Schnell wurde „Moby Dick“, wie der Wal von der Presse getauft worden war, von Schiffen umkreist. Auf einem der Boote: Dr. Wolfgang Gewalt.

Ein Weißwal im Rhein – die Hetzjagd beginnt

Er war dann wohl der Bösewicht dieser wahren Geschichte, denn à la Kapitän Ahab versuchte sich der Duisburger Zoodirektor an Bord eines Feuerlöschbootes als Walfänger. Die Chance, vor den Toren des Tierparks am Kaiserberg einen Weißwal einzufangen, wollte sich der damalige Leiter nicht nehmen lassen.

Mit zwei Booten der Wasserschutzpolizei und dem Feuerlöschboot versuchte die erste Walfangflotte des Rheins, das Tier einzukreisen und vom Strom in den Außenhafen zu drängen – vergeblich. Doch Wolfgang Gewalt gab nicht auf.

Mehrere Tage versuchte Dr. Wolfgang Gewalt und seine Besatzung den Wal im Rhein zu fangen.
Mehrere Tage versuchte Dr. Wolfgang Gewalt und seine Besatzung den Wal im Rhein zu fangen. © WAZ | Rolf Preuß

Dann ging man dazu über, dem Tier improvisierte Barrieren aus Tennisnetzen in den Weg zu legen. Doch die Fangversuche scheiterten abermals. Und „Moby Dick“ narrte seine Jäger: Immer nur für Bruchteile von Sekunden leuchtete hier und da der schneeweiße Rücken des Tieres aus der schmutzigen Brühe auf. Aber Wolfgang Gewalt gab noch nicht auf. Der Zoodirektor damals: „Wenn der Wal wüsste, wie gut wir es mit ihm meinen, würde er sich nicht so zieren.”

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Am zweiten Tag griff Gewalt zur Narkosepistole. „Auf dem Bug eines der Boote lag er auf der Lauer, neben ihm ein Tierpfleger mit Pfeil und Bogen. Am Ende des Pfeils eine lange Nylon-Leine mit einer Boje“, heißt es am 20. Mai 1966 in dieser Zeitung. Mit der Markierungsboje sollte die Route des Tieres leichter verfolgt werden, doch die in den Walspeck geschossene Beruhigungsspritze verfehlte ihre Wirkung: Moby Dick verschwand in den Wogen und wurde eine Stunde später in der Nähe von Xanten gesichtet. Wolfgang Gewalt hatte da schon Verstärkung angefordert.

Nachricht vom Wal im Rhein ging um die Welt – viele Schaulustige am Ufer

Am dritten Tag traf der amerikanische Kapitän James Tiebor, ein bekannter Delfinfänger, zur Unterstützung in Duisburg ein. Er schlug vor, ein schwimmendes Gatter aus mit Steinen beschwerten Holzpfählen zusammenzusetzen, um den Wal damit einzukreisen. Doch auch diese Maßnahme der tagelangen Hetzjagd, die zunehmend Kritiker mobilisierte, war erfolglos.

Nicht nur auf dem Wasser, sondern auch an Land brach in jenen Maitagen das Walfieber aus. Von Duisburg bis hinter Bonn standen die Menschen in Scharen am Flussufer. Tausende von Ausflüglern in langen Autokolonnen hielten am ersten Sonntag nach der Sichtung am Rhein in der Hoffnung, einen Blick auf den Wal zu erhaschen.

Die Presse mietete sogar ein Luftschiff an, um das Tier zu erspähen. Die Nachrichten vom Weißwal im Rhein liefen um den Erdball, „Moby Dick“ schaffte es sogar auf die Titelseite der britischen „Times“. Und am Ufer wurde auch der Protest lauter. Der Duisburger Zoodirektor sah sich Anfeindungen und Drohungen ausgesetzt.

„Moby Dick“ konnte Wolfgang Gewalt entkommen

Und die Geschichte sollte ein Happy End haben: „Moby Dick” schafft es rheinauf bis in die damalige Hauptstadt Bonn, stolze 400 Kilometer vom Meer entfernt. Dann drehte er um, und ziemlich genau einen Monat nach seinem ersten Auftauchen in deutschen Gewässern kam aus den Niederlanden die Meldung, der Meeressäuger habe wieder die offene Nordsee erreicht. Bis heute ist unklar, warum sich das Tier in den Rhein verirrte. Es wurde sogar gemutmaßt, der Wal sei von einem schiffbrüchigen Dampfer entkommen, der Tiere für ein britisches Ozeanarium geladen hatte.

„Moby Dick“ hat auch 57 Jahre später bei den Menschen einen bleibenden Eindruck hinterlassen: „In den folgenden Jahren entstanden Karnevalslieder, die den Wal besangen und ein Ausflugsschiff in Bonn trägt noch heute seinen Namen“, erklärt das Kultur- und Stadthistorische Museum. Die Einrichtung widmet „Moby Dick“, dem tierischen Helden aus dem Rhein, derzeit eine Ausstellung. Es sind Bücher über den Beluga entstanden, sogar ein Theaterstück. Und „Moby Dick“ sei auch ein Symbol: „Der Beluga machte deutlich, dass die Gewalt, die der Mensch über die Natur hatte, begrenzt war.“

Ein Teil der Ausstellung „Tierische Typen“ im Stadthistorische Museum in Duisburg thematisiert „Moby Dick“ aus dem Rhein.
Ein Teil der Ausstellung „Tierische Typen“ im Stadthistorische Museum in Duisburg thematisiert „Moby Dick“ aus dem Rhein. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

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