Duisburg-Ruhrort. An Bord der MS Rheinfels unternahmen 90 Gäste ab Duisburg-Ruhrort eine „Literatour zu Orten des Klimawandels“ – mit erschreckenden Erkenntnissen.

Zu einer besonderen Hafenrundfahrt brachen an diesem Wochenende Kultur-, Natur- und Hafeninteressierte ab Duisburg-Ruhrort auf: Kaum hat das Fahrgastschiff „Rheinfels“ abgelegt, da fliegen den 90 Literaturbegeisterten Fakten, Vergessenes und Vergnügliches um die Ohren. Kapitän Walter Moser (58), der aufmerksame Routinier, ist ein wandelndes Geschichtslexikon mit hohem Unterhaltungswert. Während er ganz gelassen am riesigen (Steuer-)Rad dreht, gibt er schon die ersten Informationen preis. Dreieinhalb Stunden liegen vor den Gästen, um „die Tour der Häfen des Wandels am Rhein“ mitzuerleben. Diese Schifffahrt ist Teil von „ClimaX – Literatouren zu Orten des Klimawandels“, das das Netzwerk Literatur Rheinland ins Leben gerufen hat.

[Nichts verpassen, was in Duisburg passiert: Hier für den täglichen Duisburg-Newsletter anmelden.]

Ausverkauft: 90 Gäste erlebten eine besondere Rundfahrt, die vom Kreativquartier in Kooperation mit der Zentralbibliothek organisiert wurde.
Ausverkauft: 90 Gäste erlebten eine besondere Rundfahrt, die vom Kreativquartier in Kooperation mit der Zentralbibliothek organisiert wurde. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

Die MS Rheinfels, das Kreativquartier Ruhrort und die Stadtbibliothek Duisburg haben es geschafft, mit ihrem attraktiven Programm die Kajüte zu füllen: „Ausverkauft“ hieß es schon bald nach Bekanntwerden der Tour. Initiator der abendlichen Reise ist Heiner Heseding, Moderator und Geschäftsführer des Kreativquartiers Ruhrort. Kurz hinter dem Steiger Schifferbörse treffen die Gäste auf den Klimawandler numero eins: „Die Baldeney ist der Tesla auf dem Wasser. Sie ist umweltfreundlich und voll elektrisch“, sagt Moser.

Den Duisburger Pegel-Tiefststand gab es 2022: „1,51 Meter haben wir noch nie erlebt“

Und dann gibt es gleich Erschreckendes, woran man den Klimawandel festmachen kann. „Wie man an der Anzeige rechts sieht, beträgt der Pegelstand aktuell 4,63 m. Da kann auf dem Rhein jedes Schiff fahren. Aber im vergangenen Jahr hatten wir den niedrigsten Stand, der jemals gemessen wurde: 1,51 m. Eine Dürre, wie wir sie noch nie erlebt haben“, ruft der Kapitän allen ins Gedächtnis.

Kapitän Walter Moser hatte allerhand zu erzählen – und kennt zahlreiche Schiffe und Schiffer auf dem Wasser.
Kapitän Walter Moser hatte allerhand zu erzählen – und kennt zahlreiche Schiffe und Schiffer auf dem Wasser. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

Duisburger Kapitän Walter Moser hat Hobby zum Beruf gemachtWas für eine unglaublich befahrene Wasserstraße der Rhein ist, merkt man deutlich, wenn man selbst auf dem Wasser ist. Der Kapitän kennt unglaublich viele Schiffe, die Breite, die Länge und oft auch, wem sie gehören. „Duisburg ist die einzige Ausbildungsstelle in Deutschland für Binnenschiffer, erzählt Walter Moser stolz. Schöne Kunstwerke stehen am Rhein, die der 58-Jährige sehr schätzt. Natürlich liefert er gleich die Namen der Künstler mit.

Musikerin und Autoren sorgen für das künstlerische Rahmenprogramm

Dann wird seine spannende Informationsflut für Gesang und Literatur unterbrochen. Immer wieder unterhält die ukrainische Musikerin Marie Hellstein die Gäste mit selbst geschriebenen Kompositionen und Texten und begleitet sich selbst auf dem Keyboard. Oft sind es sehnsuchtsvolle Lieder, die sie mit ihrer warmen Stimme eindrucksvoll interpretiert. Die 27-Jährige wurde in Charkiw, einer 1,5-Millionenstadt im Nordosten der Ukraine geboren. „Schon früh wurde ihr künstlerisches Talent entdeckt, sie lernte mit fünf Jahren Klavier“, sagt ihre Mutter Okeksandra stolz. Die 51-Jährige ist an Bord mit ihrem achtjährigen Sohn Patrick und ihrem Enkelkind (5). Tochter Marie, die zum Studium nach St. Petersburg gegangen war und ihren Abschluss als Schauspielerin und Regisseurin machte, war im Februar 2022 gerade bei ihrer Mutter in Duisburg zu Besuch, als der Krieg ausbrach. Seitdem lebt sie in der Stadt am Rhein und hat viele Auftritte im Ruhrgebiet.

Dann kommt Ralf Koss zu Wort, der Schriftsteller und Blogger. Relativ kurze Sequenzen sind es immer, die die Künstler den Gästen vortragen, mal kritisch, mal launig, aber immer mit Bezug zum Klimawandel. Noor Roelofs trägt Gedichte vor. Spannende Texte sind es, die zum Nachdenken anregen, aber auch freche, lustige Vorträge, bei denen die Gäste aus dem Lachen nicht mehr herauskommen, so wie bei Thomas Fram, der gleich zur großen Freude des Publikums mit vollem Körpereinsatz agiert.

Durch die vielen Stunden führen sehr aufmerksam, aber zurückhaltend Heiner Heseding und Organisatorin Barbara Hayck und freuen sich über so viele begeisterte Gäste. Roland Böhm zum Beispiel, findet die Veranstaltung einfach großartig. Er ist sicher, dass Ruhrort ein Stadtteil ist, der mehr und mehr von und mit Künstlern lebt, in der Öffentlichkeit absolut unterschätzt wird.

Gäste an Bord sind begeistert von der abwechslungsreichen Fahrt

Und Doris Lapschies (88), die gleich mit einer Familienkombo von insgesamt sechs Mädels auf dem Schiff ist, ist einfach nur glücklich. Sie ist auf der MS Rheinfels mit Tochter Ina (63), deren gleichaltriger Freundin Gabi, und den Enkelkindern Svea (25) und Jule (23). „Mein Mann hat sein Leben lang hier im Hafen gearbeitet, hat Spundwände eingesetzt, wir haben immer einen Bezug zum Wasser und zum Rhein gehabt“, sagt die 88-Jährige. „Als ich von der Veranstaltung in der Zeitung gelesen hab, haben wir sofort Karten gekauft, weil wir das nicht verpassen wollten.“ So eine tolle Veranstaltung auf dem Wasser haben sie noch nicht erlebt und sind heilfroh, dass sie dabei sind.

Für „The Curve“ am Innenhafen hat Kapitän Moser nur noch Hohn und Spott übrig.
Für „The Curve“ am Innenhafen hat Kapitän Moser nur noch Hohn und Spott übrig. © www.blossey.eu / FUNKE Foto Services | Hans Blossey

Nach vielen Informationen über den größten Binnenhafen der Welt, kann sich Kapitän Walter Moser ein paar bissige Bemerkungen nicht verkneifen. Als sein Schiff in den Innenhafen schippert, kommentiert er: „Was man hier gut sehen kann – immer wieder, wenn in Duisburg Bauprojekte anstehen, werden Treppen in die Gegend gesetzt. Wir hoffen mal, dass irgendwann irgendjemand begreift, dass dieser Boden nicht zu bebauen ist. Ich kauf das und hab ruckzuck ausgerechnet, wie viele Zuschauer hier sitzen könnten. Man muss die Durchschnittsbreite eines deutschen Gesäßes nehmen, es sind dann 10.000 Menschen, die hier sitzen könnten. Und das mal 120 Euro für Helene Fischer, ich wäre reich.“

Zum Abschluss der gelungenen Tour gab es noch ein Naturschauspiel fürs Herz. Die Gäste waren ergriffen von einem atemberaubenden Sonnenuntergang in gelb und orange.