Duisburg. Beim 6. Philharmonischen Konzert in Duisburg waren alle zentralen Rollen weiblich besetzt. Wie das Orchester für einen Gänsehauteffekt sorgte.

So viel Frauenpower gab es bei einem Konzert der Duisburger Philharmoniker selten: Mit Dirigentin Anu Tali, Geigerin Candida Thompson und Cellistin Harriet Krijgh waren die zentralen Rollen in der Mercatorhalle weiblich besetzt. Umso erstaunlicher war, dass auf den Notenpulten nur die Werke männlicher Komponisten wie Johannes Brahms und Edward Elgar lagen.

Mit der estnischen Dirigentin Anu Tali steht eine der erfahrensten und erfolgreichsten Vertreterinnen ihrer Zunft an diesem Abend am Pult der Duisburger Philharmoniker. Anu Tali war hier in den letzten 15 Jahren schon zweimal zu Gast, und stets hat sie auch Werke ihres Landsmannes Erkki-Sven Tüür im Gepäck. So auch diesmal: „Tormiloits. Incantation of Tempest“ ist ein kurzes aber fulminantes Werk.

Philharmonie Duisburg: Im Forte mit viel Druck, im Piano mit viel Gefühl

Die Streicher legen zackige Rhythmen über die pulsierende Pauke, wozu sich dann aufbäumende Melodien gesellen. Die Harmonik ist herb und kühl, aber nicht atonal. Das ist zeitgenössische Musik, die man sich gut anhören kann. Anu Tali führt die Philharmoniker mit großen und energiegeladenen Bewegungen durch die Musik.

Am Mittwoch fand in der Mercatorhalle das sechste von insgesamt sieben Philharmonischen Konzerten in der Saison 2022/23 statt.
Am Mittwoch fand in der Mercatorhalle das sechste von insgesamt sieben Philharmonischen Konzerten in der Saison 2022/23 statt. © André Symann

Ganz anders geartet ist Tüürs „Passion“. Das Stück für 30 Streicher entwickelt sich aus kaum hörbaren Celloakkorden, aus denen dann eine düstere Melodie emporsteigt. Tonfolgen spalten sich ab und verdichten sich zu einer Klangfläche. Diese Musik, die immer in sich ruht, ist einfach gehalten, berührt dadurch aber umso mehr.

Die beiden kurzen Kompositionen Tüürs werden jeweils Klassikern der Romantik vorangestellt. Im ersten Teil des Abends erklingt das Konzert für Violine, Violoncello und Orchester a-Moll op. 102 von Johannes Brahms. Harriet Krijgh spielt ihr Cello mit einem geschmeidig-dunklem Klang. Im Forte musiziert sie mit viel Druck, im Piano mit viel Gefühl. Geigerin Candida Thompson lässt ihren Part in funkelnden Sphären schweben.

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Großartig-festliche Melodie steigert sich bis zur großen Hymne

Das Zusammenspiel beider Solistinnen ist punktgenau abgestimmt. In den schnellen Ecksätzen geben sie sich expressiv und dramatisch, im Andante-Mittelsatz spielen sie ein warmherziges Duett. Dirigentin Anu Tali lässt den Solistinnen stets den klanglichen Vortritt. In den reinen Orchesterpassagen gibt es einen opulenten Streicherklang, über dem die Bläser farbenfrohe Akzente setzen. Die beiden Solistinnen werden vom Duisburger Publikum ausgiebig gefeiert, auf eine Zugabe verzichten Thompson und Krijgh aber.

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Edward Elgars „Enigma-Variationen“ sind hier zuletzt 2018 unter Axel Kober gespielt worden. Dass ein Stück nach einer Zeit, die nach philharmonischen Maßstäben sehr kurz ist, erneut auf dem Programm steht, ist ungewöhnlich. Die abwechslungsreichen und kurzweiligen Variationen bieten aber den Orchestermusikern viele Möglichkeiten, sich solistisch zu präsentieren. Elgar hat hier nämlich auch befreundete Musiker porträtiert, und wenn diese Bratschist oder Cellist waren, so haben heute die entsprechenden Instrumente einen besonderen Auftritt.

Auch wenn man als Hörer nicht jede musikalische Anspielung auf Elgars Freundeskreis versteht, macht das Zuhören Spaß, und bei der berühmten Nimrod-Variation gibt es sogar einen Gänsehauteffekt: Anu Tali lässt die großartig-festliche Melodie ganz ruhig im Piano spielen und steigert sie bis zur großen Hymne. Fulminant ist der Höhepunkt, wenn auch noch die Blechbläser in die Melodie miteinstimmen – viel Beifall für die Duisburger Philharmoniker und Dirigentin Anu Tali.

>>ANU TALI DIRIGIERT NICHT ZUM ERSTEN MAL IN DUISBURG

Die aus Estland stammende Dirigentin Anu Tali studierte in Tallinn und Sankt Petersburg. Mit ihrer ebenfalls dirigierenden Zwillingsschwester Kadri gründete sie 1997 das Nordic Symphony Orchestra.

Bereits 2008 und 2012 dirigierte sie Konzerte der Duisburger Philharmoniker. In der laufenden Saison stand auch Rossinis „Barbier von Sevilla“ an der Berliner Staatsoper Unter den Linden auf ihrem Terminplan.