Essen. Corona, Energiekrise, Inflation: FFF-Sprecherin Linda Kastrup im Sommerinterview über die Ziele der Bewegung in der aktuellen Krise.

Fridays for Future hat die Sicht vieler Menschen auf die Klimapolitik verändert. 2019 erlebte die Bewegung einen enormen Zuspruch, der Klimawandel war über Monate das bestimmende Thema in der Gesellschaft und auch die Politik stellte sich den Forderungen der jungen Klimaaktivisten. Dann kam Corona, der Ukraine-Krieg, die Energiekrise und Inflation. Wo steht die Bewegung heute, im Sommer 2022. Das fragen wir im Sommer-Interview FFF-Bundes- und Landessprecherin Linda Kastrup aus Duisburg.

Frau Kastrup: Fliegen Sie in den Urlaub?

„Nein, der Plan ist mit dem Interrail zu fahren. Fliegen war noch nie wirklich ein Thema bei uns, wir sind immer campen gefahren mit den Eltern oder mit dem Auto.“

Warum engagieren Sie sich bei FFF?

„Ich fing an, mich für Nachhaltigkeit zu interessieren, und habe viel versucht, bei meinem Leben umzustellen, habe in Unverpackt-Läden gekauft, habe Bio gekauft, soweit es ging, weil es ja auch immer mit einer finanziellen Note verbunden ist. Aber man kommt schnell an Grenzen. Ich habe gemerkt, dass das, was man selbst machen kann, nicht ausreicht, habe andere Möglichkeiten gesucht, und bin dann bei Fridays for Future aktiv geworden.“

Warum FFF und nicht eine Partei?

„Unsere Kritik gilt den Parteien, alle Parteien tun zu wenig, ich wollte was parteiloses und übergreifendes haben. Deshalb war FFF für mich richtig.“

Die Bewegung ist schnell gewachsen, dann kam Corona. Wie hat die Pandemie die Bewegung verändert?

Wir sind unheimlich kreativ mit den Aktionsformen geworden, haben gemerkt, dass Lauf- oder Fahrraddemos nicht der einzige Weg sind. Wir haben Livestreams und Kunstaktionen durchgeführt, große Straßenbilder in Berlin und Hamburg gemalt. Es musste umgedacht werden.

Geht es nach Corona wieder zu den Laufdemos zurück?

Ja, aber nicht nur. Auch die anderen Formen haben sich etabliert und bleiben Teil unseres Protestes. So erreichen wir noch einmal andere Gruppen. So hatten wir auf der Documenta eine Ausstellung.

Vor Corona waren der Klimawandel das beherrschende Thema in der Gesellschaft und den Medien. Wie nehmen Sie das nach zwei Jahren Pandemie wahr?

Die gesellschaftlichen Interessen haben sich verschoben und Klimagerechtigkeit ist nicht mehr das eine entscheidende Thema. Das ist verständlich. Jedoch dürfen solche Krisen nicht getrennt gedacht werden, sondern müssen gemeinsam gelöst werden.

Was hat FFF bereits erreicht?

Das ist immer beim Klimaaktivismus schwierig und manchmal auch frustrierend, weil man den Output nicht sofort sieht. Man sieht ja den Wandel in den Köpfen nur schwer. Studien belegen aber, dass Klimagerechtigkeit eines der wichtigsten Themen ist, seit wir auf die Straße gehen. Dass, was wir erreicht haben, kann man an Momenten festmachen, wie jetzt, wo die Klage des BUND gegen den Ausbau der A 20 Erfolg hatte und ein Gericht die Baupläne so in der Form für rechtswidrig erklärt hat. Das sind Erfolgsmomente.

FFF ist 2019 gestartet – vor Corona, vor dem Ukraine Krieg, vor den steigenden Energiekosten. Wie geht FFF damit um?

Wir fordern nicht weniger, weil es jetzt andere Krisen gibt. Wir wollen nach wie vor, dass mindestens das Pariser Klimaabkommen eingehalten wird. Deutschland verfehlt aber diese Ziele. Unsere Ziele haben sich dahingehend verändert, dass wir die Krisen zusammendenken müssen. Die Themen hängen zusammen, was man daran sieht, dass wir bislang ja stetig fossile Energien aus Russland gekauft haben. Hätten wir längst mehr in erneuerbare Energien hierzulande gesetzt, wären wir bei diesem Thema weiter.

Klimaschutz gibt es nicht zum Nulltarif. Kann FFF angesichts der hohen Inflation und den steigenden Lebenshaltungskosten zu den Menschen durchdringen, die sparen müssen?

Wir fordern: Klimaschutz muss die einfachste, die bequemste und günstigste Variante sein. Niemand kann der alleinerziehenden Mutter von zwei Kindern, die kaum über die Runden kommt, erklären, dass sie jetzt auch noch Biofleisch und Biogurke kaufen muss. Aber es ist die Aufgabe der Politik, dies möglich zu machen, die Subventionen so zu richten, dass dies möglich ist. Gerade die Menschen, die schon jetzt wenig Ressourcen haben, werden diejenigen sein, die unter der Klimakrise am meisten leiden werden. Der alte Mann, der zur Miete in der Stadt wohnt, erlebt die Klimakrise stärker, als die Familie im Grünen, die einen Pool im Garten hat. Deshalb muss der Klimawandel mit der Sozialpolitik zusammen gedacht werden, damit sich jeder klimafreundlich verhalten kann.

Was erwarten Sie von der Schwarz-Grünen Landesregierung?

Wir erwarten vollste Ambitionen, klimagerecht zu handeln. Man sieht erste gute Ansätze, wie dass die Abstandsregelungen für Windräder fallen sollen oder der Kohleausstieg 2030 festgelegt wurde. Wir erwarten aber auch, dass es ein Abriss-Moratorium für Lützerath gibt. Selbst die Bundesregierung will Erkelenz-Lützerath erhalten.

Fühlen Sie sich ernst genommen von den Parteien? Oder belächelt?

Ich glaube, dass wir als Aktivisten ernst genommen, aber oft mit nur leeren Versprechungen abgefrühstückt werden. Ich war vor der Landtagswahl auf einer Podiumsdiskussion mit allen demokratischen Parteien, und die haben mir alle zugestimmt, dass wir mehr machen müssen. Aber da waren auch Vertreter von der CDU und FPD dabei, die in den vergangenen Jahren hier in NRW einfach viel in den Sand gesetzt haben, was Klimapolitik angeht. Da fühlt man sich dann doch eher belächelt, weil man weiß, was im Hintergrund passiert.

Was sind Beispiele dafür, was in den Sand gesetzt wurde?

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Was auf jeden Fall von der letzten Landesregierung noch einmal verstärkt wurde, sind die Abstandsregeln für Windräder. Und unter Hendrik Wüst wurden Rekordsummen in den Autobahn- und Straßenausbau gesteckt, was nicht mehr sein darf. Wir brauchen einen Ausbau des ÖPNV. Man sieht an dem 9 Euro Ticket, dass der ÖPNV viel genutzt wird. Aber wenn in einem Dorf nur zweimal am Tag der Bus kommt, dann geht der Umstieg nicht.

Kritiker wie der ehemalige FFF-Aktivist Clemens Traub werfen der Bewegung moralische Überheblichkeit vor, dass sich das Denken zunehmend auf ein Gut gegen Böse konzentriert und es zumeist Gymnasiasten, aber keine Hauptschüler, Hochschuldozenten, aber keine Kfz-Mechaniker mitlaufen. Was entgegnen Sie solchen Stimmen?

Wir haben auf jeden Fall auch Auszubildende. Viele meiner Mitaktivisten in Duisburg haben eine Ausbildung gemacht. Aber es ist auch kein Geheimnis, dass Fridays for Future eine privilegierte Bewegung ist. Wenn man sich wenig Gedanken in seinem Leben um grundsätzliche Dinge machen muss, macht man sich eher Gedanken darüber, was gerade klimatechnisch auf der Welt abgeht, als wenn man schauen muss, wie man die nächste Mahlzeit zusammenbekommt und die Miete zahlen kann. Aber wir müssen alle Menschen ansprechen.

Wie?

Ich glaube, es geht ganz viel darum, klar zu machen, dass Klimaschutz kein Jobkiller ist. Ich komme aus Duisburg, weiß wie wichtig die Stahlindustrie für die Menschen ist. Wir wollen nicht, dass Arbeitsplätze verloren gehen. Aber niemand wird auf dem Weg zur klimaneutralen Industrie seinen Job verlieren müssen. Man muss umschulen.

Sie sind in den Sozialen Medien schon öfter beleidigt und verbal angegriffen worden. Wie gehen Sie damit um?

Ich versuche zu unterscheiden, zwischen konstruktiver Kritik, auf die ich eingehe, und einfach nur Beleidigungen, die mich verletzen sollen. Wenn ich mir jeden dieser Kommentare zu Herzen nehmen würde, dann hätte ich wenig Zeit, für den Klimaaktivismus.

Was ist ihr persönliche Beitrag zum Klimaschutz?

Auf jeden Fall der Vollzeitaktivismus. Ich glaube da erreicht man mehr mit als mit kleinen Umstellungen, die wieder mit vielen Privilegien einher gehen. Eine Zahnbürste aus Bambus ist teurer als die Plastikbürste im Dreierpack. Ich bin Veganerin, was auch eine der einfachsten Möglichkeiten, seinen persönlichen ökologischen Fußabdruck zu reduzieren. Aber der ökologische Fußabdruck ist eine der größten Greenwashing-Kampagnen von einem der größten Ölkonzerne der Welt, um den Klimaschutz auf uns als Individien abzuwälzen. Deshalb werbe ich dafür, sich als Aktivist für den Klimaschutz einzusetzen.