Ruhrgebiet. Neue Klimaprognosen für das Ruhrgebiet zeigen, dass Innenstädte zu Hitzeinseln werden können. Der RVR warnt vor extremen Belastungen im Sommer.

32 Grad, und es wird noch heißer. An diesem Samstag könnte man den Sommerhit mit diesem leicht abgewandelten Titel wieder hervorkramen – gesungen wurde gar von 36 Grad – und sich barfuß zurücklehnen. Doch wir müssen Eiswürfel in den Wein schütten. Neue Klimaprognosen für das Ruhrgebiet zeigen, dass Tage wie dieser in Zukunft normal werden könnten. Im ungünstigen Fall wären ganze Monate über 30 Grad möglich. Und das wäre wohl keine erfreuliche Abwechslung mehr, sondern eher eine Belastung für Gesundheit und Wohlbefinden.

„32 Grad, und zwar immer öfter“, könnte man also über die Klimakarten des Regionalverbandes Ruhr (RVR) stellen. Die sind unter klima.geoportal.ruhr frei zugänglich und zeigen erstmals Klimaschutz-Szenarien: Was würde passieren, wenn wir so weitermachen wie bisher (und die globale Mitteltemperatur bis 2100 um vier Grad steigt). Und wie würden sich die Temperaturen abhängig von der Bebauung entwickeln, wenn Klimaschutz besser gelingt (und der Anstieg unter dem Zwei-Grad-Ziel bleibt).

Arbeit in Gewerbegebieten könnte belastender werden

Auch im günstigeren Fall erhöht sich die Zahl der „Heißen Tage“ auf 25 bis 30. Dies schon im Schnitt der nächsten 20 Jahre – und so könnte es bis zum Ende des Jahrhunderts bleiben. Im ungünstigen Fall würden sich die dicht bebauten Innenstädte zu Hitzeinseln mit südeuropäischen Temperaturen entwickeln, mit etwa 50 Heißen Tagen im Schnitt der Jahre 2071-2100.

Klimaprognose fürs Ruhrgebiet
Klimaprognose fürs Ruhrgebiet © funkegrafik nrw | Anna Stais

In den äußeren Stadtteilen differenziert sich das Bild je nach Bebauung. Auffällig ist der Hitzeanstieg in den Gewerbegebieten, etwa in Duisburg entlang des Rheins oder im Chemiepark Marl. „In Industriegebieten können die Temperaturen sich hochschaukeln, wenn es sich nachts nicht abkühlt“, erklärt Thorsten Stock, Leiter Klimaanpassung beim RVR. „Das ist insbesondere für die Menschen belastend, die dort womöglich mit Helm und Schutzkleidung arbeiten müssen.“

„Wenn wir so weitermachen wie bisher, wird es aus thermischer Sicht dramatisch“, sagt Thorsten Stock, der beim RVR das Team „Klimaanpassung“ leitet. „In Zukunft wird quasi der ganze Sommer extrem – oder was wir heute noch als extrem empfinden.“ Das Ruhrgebiet bekäme Temperaturen wie in Südfrankreich.

Der Trend zeigt nach oben

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Tatsächlich ist der Wandel heute schon spürbar. Tage über 30 Grad waren in den Jahren 1981 bis 2010 selten, in Dortmund gab es nur sechs bis acht heiße Tage. In den Sommern 2015 und 2018 waren es deutschlandweit schon 18 bis 20. Ihre Zahl schwankt stark, doch der Trend zeigt laut Umweltbundesamt eindeutig nach oben

Auch das Landesumweltamt stützt die Erkenntnisse des RVR: Bereits heute sind 6,9 Millionen Menschen in NRW aufgrund ihrer Wohnlage bei sommerlichen Temperaturen „von besonders großen Hitzebelastungen“ betroffen, heißt es in einer Klimaanalyse. Erhöhe sich die Temperatur nur um ein Grad bis zur Mitte des Jahrhunderts würde sich ihre Zahl auf 11,1 Millionen erhöhen.

„Der Befund hat mich nicht überrascht“, sagt denn auch Nina Frense, die beim RVR die Bereiche Umwelt und Grüne Infrastruktur leitet. Er deckt sich mit dem, was Wissenschaftler schon seit langem vorhersagen – und mit den Szenarien, auf die sich die Klimaschutzbewegung „Fridays for Future“ bezieht. „Es sind keine politischen Werte, es ist ein Szenario, das wir gerechnet haben, aufgrund der Daten, die wir vorliegen haben. Wir als Region sollten das sehr ernst nehmen.“ Es gehe nun darum, erneuerbare Energien auszubauen, Freiräume zu schützen, und Grün in die Städte zu tragen.

Nicht so zugebaut wie Paris

Nina Frense, RVR-Beigeordnete für Umwelt.
Nina Frense, RVR-Beigeordnete für Umwelt. © FUNKE Foto Services | Lukas Schulze

„Ein Riesenpfund ist, dass wir nicht eine zugebaute Megacity sind wie Paris oder London“, sagt Frense. Nun sehe man, „dass den Grünzügen eine große Bedeutung zukommt für die Frischluftzufuhr und auch für die Erholung der hitzegestressten Menschen. Wir müssen diesen Freiraum schützen und nicht weiter zersiedeln.“

Um das hinzubekommen, müsse man die bereits bebauten Flächen verdichten – „allerdings mit klugen Lösungen“. Wohnen überm Supermarkt, Fassadenbegrünung und „mehr Grün in die Innenstädte“ sind die Schlagworte. Natürlich kennt Nina Frense die Konflikte gut, die mit diesem Ansatz einhergehen. „Jeder Baum nimmt Parkplätze weg.“ Hier müsse man zu anderen Lösungen kommen.

Zum Umbau der Städte gehöre auch Entsiedelung, so Frense, also die Schaffung von mehr Parks, Gärten und Wäldern. Für die meisten Städte und Kreise im Kernruhrgebiet hat der RVR bereits detaillierte Klimaanalysen erstellt (ebenfalls frei zugänglich), die zum Beispiel Abwärme von Gebäuden, Windänderungen, klimatische Belastungen für Bewohner und Parkoasen berücksichtigen. Sie geben auch Hinweise, wo aus klimatischer Sicht nicht dichter gebaut werden sollte, aber auch wo dies noch möglich ist.

Auch die Zahl der Tropennächte über zwanzig Grad soll im Schnitt der nächsten dreißig Jahre auf rund zehn steigen. Für die Jahre 2071 bis 2100 soll sie sich dann im ungünstigen Szenario noch einmal verdoppeln. Besonders betroffen sind auch hier Industriegebiete etwa entlang des Rheins. Wie auch die Ruhr kühlt er in solchen Nächten nicht mehr, je nach Windbedingungen strahlt das aufgeheizte Wasser eher Wärme ab. Auch in kleineren Städten kann es je nach Bebauung zu Hitzeinseln in der Nacht kommen, etwa in Gelsenkirchen Schalke, Bochum-Eppendorf oder rund um die Mülheimer Innenstadt. Auch in den moderaten Stadtteilen hat man dann regelmäßig um die 15 Tropennächte.

Ältere Prognosen wirkten noch dramatischer

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Ältere Prognosen des RVR, über die wir 2018 berichteten, sagten einen noch dramatischeren Anstieg voraus. Schon im näheren Szenario sollte die Zahl der „Heißen Tage“ auf bis zu 45 steigen. Doch die Berechnungen sind nicht so weit auseinander wie es scheint. Heiße Tage sind ein Indikator, der Durchschnittstemperaturen anschaulich machen soll. Doch aufgrund des Schwellenwerts schwankt er stark: Ab 30 Grad haben wir einen Heißen Tag, mit 29,9 Grad nicht. Weichen die Prognosen nur um Zehntelgrade ab, kann das bei der Zahl der Heißen Tage einen großen Sprung ausmachen.

„Damals war auch die Methodik eine ganz andere“, erklärt Thorsten Stock. Vereinfacht hat man die vor Ort gemessenen Verhältnisse mit einem Aufschlag versehen, der in globalen Klimamodellen berechnet wurde. „Heute werden hochauflösende Simulationen genutzt, um die Ergebnisse der Globalmodelle zu verfeinern.“ Die neuen Prognosen seien deutlich genauer.

Von einer Entwarnung kann also keine Rede sein. Dass die Temperaturen steigen werden, bestätigen die neuen Berechnungen – auch im Szenario mit besserem Klimaschutz. „Die Städte“, sagt Nina Frense, „müssen wissen, dass so oder so schon bald Veränderungen auf sie zukommen.“